Alex von Frankenberg

„Ein Muss, den IPO-Weg zu gehen“

Der Geschäftsführer des High-Tech Gründerfonds (HTGF), Alex von Frankenberg, sieht im insgesamt schleppenden IPO-Geschehen in Deutschland trotz aller Lichtblicke eine beunruhigende Tendenz. Im Interview der Börsen-Zeitung spricht er über Ursachen und Wege aus der Misere bei den Börsengängen.

„Ein Muss, den IPO-Weg zu gehen“

Franz Công Bùi.

Herr von Frankenberg, Börsenindizes weltweit haben zuletzt Rekordstände markiert. 2020 gab es global so viele Börsengänge wie seit 2007 nicht mehr, das IPO-Volumen in den USA kletterte auf rekordhohe 156 Mrd. Dollar. Doch in Europa schrumpfte es um 10%, und in Deutschland wurde mit rund einer Milliarde Euro so wenig Geld eingesammelt wie seit 2009 nicht mehr. Warum ist die Entwicklung hier so gegenläufig?

Das ist eine beunruhigende Tendenz, auch wenn wir aktuell wieder eine ganze Welle an Börsengängen sehen. Ein Hauptgrund ist wohl, dass die Amerikaner chancenorientierter an das Thema herangehen, während wir hier eher risikoorientierter agieren. Nehmen wir die Coronakrise: Wir lassen die Flügel hängen, und die IPO-Kandidaten dort machen so­zusagen das Beste daraus und ergrei­fen die Chancen, also Digitalfirmen oder Life-Science-Unternehmen. Dass sich trotz der Krise oder gerade deswegen Chancen ergeben, reflektiert vielleicht auch den reiferen, besser entwickelten Kapitalmarkt dort.

Die Perspektiven hellen sich doch auf. Für 2021 und 2022 sind gut ein Dutzend Börsengänge geplant, darunter auch größere.

Die kurz- und mittelfristige Perspektive ist relativ positiv. Wir sehen ja auch von 2019 auf 2020 einen ganz leichten Anstieg von IPOs, und dieser positive Trend wird sich fortsetzen. Allerdings ist das absolute Niveau immer noch viel zu niedrig. Das überschattet letztlich den positiven Trend. Doch das Thema wird stärker diskutiert unter Investoren und auch Gründern, von daher kann es durchaus ein, dass die leicht positive Entwicklung sich weiter beschleunigt.

Was fehlt in Deutschland für eine blühende IPO-Landschaft?

Zunächst die Bereitschaft von Gründern oder Investoren, überhaupt ein IPO in Erwägung zu ziehen. Im Jahr 2000 stand in fast allen Businessplänen, dass die primär präferierte Exit-Option der Börsengang ist. Das findet man so heute kaum mehr.

Aber es hat doch einen Grund, warum das nicht mehr so ist. Stichwort Dotcom-Blase beziehungsweise Neuer Markt.

Ich denke, es ist ein großer Fehler, immer wieder den Neuen Markt zu zitieren. Zum einen war das eine einzigartige Bubble. Zum anderen gibt es viele Unternehmen, die damals an die Börse gegangen sind und deren Kurse nun deutlich höher liegen als damals die Höchstkurse. Wenn man nur auf die natürlich zahlreich vorhandenen negativen Fälle schaut, erhält man ein völlig verzerrtes Bild. Man sollte den Neuen Markt einfach einmal abhaken, das ist jetzt 20 Jahre her. In den USA gab es 2000 auch eine Bubble und ein Trauma, doch dort gibt es mittlerweile mehr IPOs als damals. 1999 hatten wir in Deutschland 175, im Jahr 2000 noch 142 IPOs, doch 20 Jahre später, 2019, hatten wir gerade mal eine Handvoll Börsengänge, und letztes Jahr waren es auch nur sechs.

Was fehlt denn hier noch?

Diskutiert man das Thema Aktie, dann hört man immer: Aktien können auch fallen. Das stimmt natürlich. Aber sie können eben auch steigen, und das Gesamtbild ist positiv. Und zwar nicht nur bei den IPOs, der ganze Aktienmarkt weltweit ist positiv seit mindestens 2009, also schon seit relativ langer Zeit. Es gibt kaum einen Zehnjahreszeitraum, in dem Aktien nicht gestiegen wären, selbst wenn man zum Höchstkurs eingekauft hat. Zudem fehlt ein Ökosystem im Hintergrund. Es fehlen die Erfolgsgeschichten, die Analysten und die Small-Cap-Fonds, die im Pre-IPO und zum IPO investieren können. Da ist über die letzten 20 Jahre einiges verschwunden.

Wie können die Rahmenbedingungen verbessert werden?

Wenn man in Schweden für die private Altersvorsorge in Form von Aktien spart – und zwar langfristig, sind die Kursgewinne auf diese Aktien steuerfrei. Das sorgt unter anderem dafür, dass da ein sehr viel regerer IPO-Markt entstanden ist. Denn dadurch fließt zusätzliches Geld, das sonst nicht geflossen wäre. Und es entstehen Gewinne, die sonst nicht entstanden wären. Das führt auch zu einem erhöhten Steueraufkommen, gleichzeitig werden die Sozialsysteme entlastet.

An den Börsen kann es aber trotz allem enorme Rückschläge geben.

Die Rückschläge gibt es auch und wird es geben. Es ist aber ein Verständnis dafür nötig, dass dann nicht panisch gehandelt, also verkauft wird. Man muss die Statistik bemühen und zeigen, dass es in den großen Aktienmärkten keinen 10- oder 15-Jahres-Zeitraum gibt, in dem Aktien in Summe als Index gefallen sind.

Es gibt aber auch immer wieder schwarze Schafe, die abschrecken, wie zum Beispiel Wirecard.

Natürlich sollte eine Wirecard nicht passieren. Doch wenn ein Unternehmen unseriös ist, dann gilt das nicht auch für die anderen börsennotierten Firmen. Das muss man im Verhältnis sehen, und dann ist das Unseriöse nicht ausschlaggebend. Ausschlaggebend ist die Mehrheit der 99% oder noch mehr seriösen Unternehmen. Und die können den Ausfall von einem schlechten Unternehmen in einem ausgewogenen Portfolio im Schnitt überkompensieren. Der Dax hat sein Allzeithoch erreicht, obwohl es zuvor eine Wirecard gab.

Wie viele IPO-Kandidaten hat der HTGF derzeit in der Pipeline? Und aus welchen Branchen?

Wir haben aktuell gut 300 Unternehmen aktiv im Portfolio und etwa 15% davon, also circa 45, sind bezogen auf die nächsten fünf Jahre Börsenkandidaten. Natürlich werden davon vielleicht manche Gründer dann doch lieber verkaufen. Aber das ist das Potenzial. Und wenn wir davon ausgehen, dass wir einen Marktanteil von etwa 15% in Deutschland haben, und das überschlagen, dann reden wir in der deutschen Start-up-Szene insgesamt von ungefähr 250 bis 300 IPO-Kandidaten in den nächsten fünf Jahren. Das ist leider nicht sehr viel. Dabei ist es aus meiner Sicht eigentlich ein Muss, den IPO-Weg zu gehen, selbst wenn man am Ende sein Start-up in einem Trade Sale verkauft.

Warum?

Weil dadurch der Kaufpreis höher wird, da man dem Käufer den Wettbewerb darstellen kann. Die Daten der vergangenen Jahre zeigen, dass die Bewertungen an der Börse höher sind. Das heißt, wirtschaftlich ist ein Börsengang einfach besser. Und es gibt Beispiele, die zeigen, wie man statt einer mühsamen Finanzierungskette über ABCD-Runden mit einem sehr frühen Börsengang operativ viel schneller wachsen kann. Ich finde es wichtig, einen IPO nicht nur als Exit, sondern als eine hervorragende Wachstumschance für das Unternehmen zu sehen.

Und wie sehen Sie die Perspektiven für Fintechs?

Wir werden im Fintech-Bereich große Börsengänge sehen, die ersten stellen sich schon auf, Klarna, Revolut oder aus Deutschland N26. In den Bereichen Banking, Versicherungen oder Zahlungsdienstleistung bestehen zwar etablierte Strukturen, doch es gibt Aufholbedarf. Und da ergeben sich substanzielle Chancen für groß gewordene oder stark wachsende Start-ups.

Das Interview führte

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