Techquartier bohrt Finanzdaten-Cluster weiter auf
Franz Công Bùi.
Herr Schäfer, Herr Neu, das Techquartier (TQ) hat kürzlich fünften Geburtstag gefeiert. Wie hat sich das TQ in der Zeit verändert?
Sebastian Schäfer: Die letzten fünf Jahre waren ein Entwicklungsprozess: Am Anfang lag der Fokus stark auf der physischen Community, dem Thema Work Space. Es ging darum, das Pollux, wo wir angesiedelt sind, zu füllen, auch mit Events. Dann sind wir dazu übergegangen, das TQ als Teil eines Ökosystems weiter auszubauen. Gleichzeitig haben wir über den Austausch mit unseren Partnern erkannt, dass wir eine Start-up-Community brauchen, die relevante Lösungen anbietet. Also haben wir die Community sukzessive erweitert.
In welcher Art und Weise?
Schäfer: Wir haben ab 2018 die Mitgliedschaft auch für Start-ups ermöglicht, die nicht vor Ort sitzen. Wir haben unsere internationalen Beziehungen mit Partnerschaften ausgebaut. Und in der letzten Phase haben wir uns verstärkt auf das Thema Innovation-Management für vor allem etablierte Unternehmen, unsere Partner ausgerichtet und konkrete Innovationsformate entwickelt. Angefangen von der Bundesbank Innovation Challenge, über Bootcamps mit der Rentenbank und andere Formate, um das Thema Innovation in relevanten Zukunftsfeldern wie KI nach vorne zu bringen.
Peter Neu: Um das aus einer Kundenperspektive zu ergänzen, aus der ich das TQ ursprünglich kennengelernt habe: Die Entscheidung, dass Banken hier ins TQ kommen und Teile ihres Innovationsmanagements auslagern, das hatte nichts mit Platzmangel zu tun, sondern mit der Community. Denn das TQ ist ein Ort, wo sich Banken und Corporates mit Start-ups treffen können, wo es Formate gibt für Innovationsmanagement. Die Mitarbeiter können hier agil und funktions-/organisationsübergreifend mit Start-ups an neuen Produkten und Ideen arbeiten und diese zu einer gewissen Reife bringen, um sie dann im Folgenden intern weiterzuverfolgen.
Welche Formate gibt es denn?
Neu: Wir haben Kategorien wie Ideation oder Upskilling, wo Training und Education eine große Rolle spielen. Wir machen dazu neue Formate, um neue Technologien anwendungsorientiert zu vermitteln, die wir Tech-Infusions nennen; und natürlich auch etablierte Innovationsformate wie Hackathons, Co-Branding-Events mit Meetups, Roundtables bis hin zu Inkubations- und Akzelerations-Formaten mit Venture Capital, also auch länger gehende Programme. Zum Beispiel kommen Firmen auf uns zu, und dann scouten wir gemeinsam themenspezifisch Start-ups, mit denen dann innerhalb einer Woche konkretere Fragestellungen erörtert oder auch Prototypen entwickelt werden. Und künftig wollen wir solche Formate stärker zu einem Gesamtprogramm verbinden und an einem Thema festmachen, etwa für ESG oder künstliche Intelligenz, und das dann Banken oder Corporates anbieten. Das kann auf so etwas hinauslaufen wie Innovation-Management-as-a-Service.
Schäfer: Die relevante Expertise schöpfen wir aus dem Pool der Start-ups und Technologiedienstleister in unserem Netzwerk. Unsere Aufgabe ist, sie sinnvoll einzubinden, eine Plattform und die Voraussetzung dafür zu schaffen, dass die dann zusammenkommen. Wir wollen künftig die Start-ups noch stärker begleiten und diese enger mit unseren Corporate-Innovations-Programmen verknüpfen.
Wie hat sich die Pandemie auf die Entwicklung des TQ ausgewirkt?
Schäfer: Das TQ war von Anfang an von Sponsorengeldern aus der Privatwirtschaft finanziert. Wir sind mit einem schmalen Budget 2016 gestartet, haben uns bis zur Pandemie aber sehr gut entwickelt. Wir sind prozentual zweistellig gewachsen und konnten den Space dafür wirklich gut nutzen. Natürlich ist das alles während der Pandemie unter Druck geraten. Wenn man keine Events mehr veranstalten darf, wenn Unternehmen Homeoffice-Pflicht einführen, dann ist das ein Thema für eine Institution, die 3600 qm an Fläche anbietet. Aber wir haben schon vor 2019 angefangen, das TQ-Modell über das Thema Space hinaus zu denken. Jetzt ist der Bedarf, das Modell weiterzuentwickeln, dringlicher geworden. Wir konnten das zum Teil mit neuen Projekten, neuen Geschäftsfeldern, neuen Partnerschaften kompensieren. Auch konnten wir über erfolgreiche Ausschreibungen öffentliche Fördermittel für das Start-up-Ökosystem Mandat und safeFBDC einsammeln. Aber das Wachstum der ersten drei Jahre konnten wir so natürlich nicht fortsetzen.
Neu: Man muss auch berücksichtigen, dass wir als öffentliche Gesellschaft nicht berechtigt sind, Überbrückungshilfen in Anspruch zu nehmen. Das heißt, im Gegensatz zu vielen unserer Mitanbieter zum Beispiel beim Thema Co-Working können wir keine Corona-Hilfen beantragen. Wir müssen alles aus dem eigenen Geschäft heraus kompensieren.
Sie haben das Start-up-Ökosystem FrankfurtRheinMain und das safeFBDC erwähnt. Beginnen wir mit Letzterem, wo das TQ Konsortialführer ist. Worum geht es hier?
Neu: Bei dem safeFBDC, die Abkürzung steht für Financial Big Data Cluster, handelt es sich um ein vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz BMWK gefördertes Forschungsprojekt mit elf Konsortialpartnern aus Universitäten, Forschungseinrichtungen, institutionellen Einrichtungen aus der Finanzmarktaufsicht, Start-ups, Banken und Financial-Service-Firmen. Es wird die Fragestellung untersucht, wie ein institutionenübergreifendes Ökosystem aufgebaut werden kann, das Stakeholdern aus Wirtschaft, Forschung und der Finanzaufsicht eine sichere, die Datensouveränität wahrende Infrastruktur für den Austausch und die KI-gestützte Analyse von Finanzdaten bietet.
Datensouveränität und Datenschutz sind hierbei als zentrale Punkte zu verstehen?
Neu: Das stimmt, es geht um einen diese Aspekte wahrenden Austausch von Daten, um Strukturanalysen etwa von Transaktionen machen zu können. Was technisch wünschenswert und erkenntnisbringend ist, kann aus datenrechtlichen und Datenschutzgründen nicht immer möglich oder verhältnismäßig sein. Hier gibt es in der Forschung jedoch Lösungen, die eine vernetzte Analyse von Daten mit KI-Methoden ermöglichen, ohne dass diese von einzelnen Personen oder Institutionen unerlaubt eingesehen werden können – jeder sieht nur den Teil der Datenmenge, den er selbst beisteuert, und erhält die Ergebnisse und Erkenntnisse aus der KI-Analyse nur für diese Daten zurück. Dies wird im safeFBDC von der technischen Seite und anhand von Anwendungsfällen ausgearbeitet. Die rechtliche Seite eines derartigen Zusammenführens von Daten wird in dem Schwesterprojekt EuroDaT, European Data Trustee, analysiert.
Wie ist dieses Projekt aufgebaut?
Neu: Es gibt sieben Hauptarbeitspakete, orientiert an fünf Anwendungsfällen, die alle KI-Modelle anwenden. Dazu zählen Anwendungsfälle im Bereich Geldwäsche oder Marktkonformität sowie zum Thema Sustainable Finance. Eine weitere Fragestellung betrifft Zentralbanken: Also wie sich der Markt entwickelt, ob es Frühwarnindikatoren gibt oder sich Trends ableiten lassen. Auch Fragestellungen mit Relevanz für den Mittelstand wie die Lieferkettenfinanzierung werden untersucht. Darüber hinaus gibt es noch zwei weitere übergreifende Arbeitspakete. In dem einen geht es wie oben beschrieben um die technische Umsetzung. Und das letzte Arbeitspaket widmet sich der Geschäftsmodellfrage für eine solche Datenplattform auch in Hinblick auf die jeweiligen Anwendungsfälle. Dieses Arbeitspaket wird vom TQ geleitet. Darüber hinaus agieren wir als Konsortialführer und Projektmanager.
Und aus Sicht des Landes Hessen als einer der öffentlichen Eigentümer des TQ geht es darum, Strukturpolitik zu machen?
Schäfer: Wichtig ist hierbei auch das Thema Aufbau eines Ökosystems. Eine der Hauptaufgaben ist, über die elf Konsortialpartner hinaus interessante assoziierte Partner mit reinzunehmen und das Projekt für passende Start-ups zugänglich zu machen. Und in der Rolle waren wir auch stark eingebunden bei der Initiierung des zweiten oben genannten Projekts, das unter der gesamten Financial-Big-Data-Cluster-Initiative ebenfalls eine Förderung erhalten hat, nämlich EuroDaT. Da geht es um die tatsächliche Gründung und den Aufbau eines neutralen, nichtgewinnorientierten Datentreuhänders im Sinne des europäischen Data Governance Act DGA. Wenn man den Zugang zu Daten niederschwelliger gestalten kann, dann ist das ein sehr interessanter Grund, sich auf so ein Ökosystem hier einzulassen.
Frankfurt ist nun Hauptsitz des International Sustainability Standards Board (ISSB). Und das Thema ESG bildet ein Modul innerhalb des safeFBDC. Gibt es Ansätze zur Zusammenarbeit?
Schäfer: Davon ist auszugehen. Schon aufgrund der beteiligten Institutionen im safeFBDC, wie beispielsweise dem hessischen Wirtschaftsministerium oder dem Green Sustainable Finance Cluster, liegt das nahe. Und die spannende Frage ist, wie schnell es dem Finanzplatz gelingt, zum wichtigsten Motor für Green Transformation zu werden. Da hat sich jetzt gerade mit diesem Ansiedlungserfolg ein schönes Momentum gebildet. Jetzt muss man den Rückenwind aber auch nutzen.
Kommen wir noch zum Start-up-Ökosystem FrankfurtRheinMain. Was ist die Rolle des TQ?
Schäfer: Unser Mandat ist es, das Land Hessen dabei zu unterstützen, die verschiedenen lokalen Akteure in der Metropolregion Frankfurt Rhein-Main miteinander zu vernetzen, einige der Projekte, vor allem auch die Start-up-Erfolge sichtbarer zu machen und gegebenenfalls das eine oder andere Projekt außerhalb vom TQ mit zu unterstützen. Das ist eine Rolle, die wir zusammen mit dem Start-Hub Hessen einnehmen, das sozusagen die Gesamtverantwortung für Hessen hat. Wir sind hier Partner. Es geht aber nicht nur um Start-ups oder KMUs. Auch Wachstumsunternehmen sollen stärker begleitet werden. Und das zu Themen, die wir aufgrund unserer Historie, aufgrund unserer regionalen Einbettung sowieso schon machen. Parallel entstehen überall neue Konzepte, wie man denn hier Start-up Hessen 2.0 aufsetzen kann. Da wird sich sicherlich in den nächsten Monaten noch mehr entwickeln. Hessen ist darum bemüht und muss hier weiter investieren, um das Ökosystem nach vorn zu bringen.
Das Interview führte