Davos sendet Signale gegen das globale Misstrauen
15. bis 19. Januar
Vertrauensinitiative in Davos
Globale Polykrisen, die Etablierung neuer Handelsblöcke, wachsendes Misstrauen der Staaten untereinander, Herausforderungen im Umgang mit künstlicher Intelligenz: Auf dem Jahrestreffen des Weltwirtschaftsforums werden Wege debattiert, um die weltweite Ordnung und Zusammenarbeit wieder zu festigen.
Von Stephan Lorz, Frankfurt
Wenn es noch eines Beleges bedurft hätte für die Notwendigkeit unverbindlicher internationaler Debattenorte jenseits regierungsamtlicher Konferenzen, dann sind es die jüngsten Ankündigungen im Vorfeld des Davoser Weltwirtschaftsforums (WEF): Israels Präsident Isaak Herzog kommt ebenso in den Schweizer Skiort wie Irans Außenminister Hossein Amir-Abdollahian. Zwei Akteure, die in den aktuellen Palästina-Konflikt verwickelt sind und nun eine Chance haben, Fühler für eine Lösung der Lage auszustrecken. Und schon am Sonntag trifft Wolodymyr Selenskyj ein, der Präsident der Ukraine, um über Optionen für einen Frieden in seinem Land zu beraten.
Auch auf anderen Feldern, die dem Namen nach eher in das Kompetenzfeld eines „Wirtschaftsforums“ passen, werden sich in Davos wichtige Wissensträger und Handlungsakteure versammeln, sich austauschen und Impulse setzen: Es geht um die Stabilisierung des internationalen Handels im Zeichen von Polykrisen, mehr Wachstum, den Umgang mit den neuen globalen Machtzentren und diesen wiederum miteinander, um die Bewältigung der Klima- und Energiekrise sowie um technische und regulatorische Herausforderungen rund um künstliche Intelligenz. Wie und in welchem Rahmen kann KI in Wirtschaft und Gesellschaft so eingesetzt werden, damit sie mehr Probleme löst als verursacht? Denn in der jüngsten globalen Umfrage des WEF halten die Eliten den Missbrauch von KI etwa zur Desinformation (siehe Grafik) für eine der größten Gefahren für die Stabilität von Demokratien überhaupt. Gelingt es dem sprichwörtlichen „Geist von Davos“, in diesen Sektoren ein gewisses Maß an Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten und zu etablieren, würde dies dem gemeinsamen Wohlergehen zugutekommen, so die Idee dahinter.
Die „Zurückgewinnung von Vertrauen in einem Umfeld schneller Transformation“ ist das Generalthema des 54. Treffens, welches das Kernproblem der jüngsten Entwicklungen adressiert: wachsendes Misstrauen innerhalb von Demokratien, zwischen Staatengruppen und Staaten untereinander, den Verlust von Bindungskraft und Verbindlichkeit internationaler Organisationen sowie die Zunahme von Krisen und Kriegsgefahren und den Wiederaufbau von Handelshürden.
Dass sich in Davos die „globale Elite“ trifft, wie sich die rund 2.500 Gäste vor Ort gern auch selbst sehen, und mit der Politik Handlungsoptionen bespricht, ist natürlich auch ein Kritikpunkt, weil vor allem Vertreter reicher Nationen und von Megakonzernen den Ton angeben und Letztere nur ihre Gewinninteressen im Auge hätten. Das lässt Verschwörungstheorien ins Kraut schießen, dass hier die Weltgeschicke außerdemokratisch gelenkt würden. Das Treffen gilt ferner als Jahrgangstreffen des Kapitalismus. Die von WEF-Gründer Klaus Schwab unterstützte Transformation zum Stakeholder-Kapitalismus gilt als politisches Feigenblatt. Darum finden außerhalb Gegenkundgebungen statt. Dort sind – ebenfalls außerparlamentarische – Nichtregierungsorganisationen ebenso vertreten wie Protestinitiativen.
Was von den WEF-Treffen bleibt, sind langlebige Initiativen, Zitate von Zeitgenossen, neue Ideen und durchaus wertvolle Studien, die in den Debatten nachwirken. Das gilt etwa für den in dieser Woche veröffentlichten „Global Risks Report“ und natürlich für den „World Competitiveness Report“, der stets neue Debatten um Standort-, Steuer- und Innovationsfragen in einzelnen Ländern aufwirft.