Siemens blickt vorsichtig in die Zukunft
Von Michael Flämig, München
Siemens trägt schwer an dem vergangenen Geschäftsjahr, das am 30. September zu Ende ging. Die Nachfrage brummt zwar, aber erstmals seit Ende 2010 wurde im August ein Quartalsverlust vermeldet – die ursprüngliche Prognose musste um eine Wertminderung in Höhe von 2,8 Mrd. Euro auf die Anteile an Siemens Energy gesenkt werden. Wenn Siemens-Vorstandsvorsitzender Roland Busch und Finanzvorstand Ralf Thomas am kommenden Donnerstag die Ergebnisse den Journalisten und anschließend den Analysten präsentieren, bringen sie jedoch noch einen anderen Ballast mit: den Aktienkurs.
Die Siemens-Aktie ist seit Ende März unter die Räder gekommen. Im gesamten Geschäftsjahr ist der Kurs um fast 30% gesunken. Die Vergleichsindizes von Dax40 über Euro Stoxx50 bis S&P500 verloren „nur“ rund 20% ihrer Bewertung. Schlechter als alle drei Vergleichsindizes hat der Konzern zuletzt 2018/2019 abgeschnitten.
Die beste Medizin gegen einen schlechten Aktienkurs ist eine gute operative Performance. Das vierte Quartal sollte so gelaufen sein, dass die angepasste Prognose für das Geschäftsjahr erreicht wurde. Ursprünglich wollte Siemens ein Ergebnis je Aktie vor Kaufpreiseffekten von 8,70 Euro bis 9,10 Euro erreichen. Abzüglich der Energy-Wertminderung wurden zuletzt nur noch 5,33 bis 5,73 Euro je Aktie angepeilt, nachdem im Vorjahr 8,32 Euro je Aktie gemeldet wurden. Entscheidend für den exakten Wert wird sein, welche zusätzlichen Kosten der Abschied aus Russland bringt.
Vorreiterfunktion im Dax
Operativ verlief das Geschäftsjahr also weitgehend wie geplant. Dazu trägt bei, dass Siemens nach Angaben von Busch die erhöhten Kosten im Einkauf durch steigende Absatzpreise überkompensiert hat. Die Nachfrage brummte, der Auftragsbestand sollte auf einem Rekordstand in der Größenordnung von 100 Mrd. Euro landen. Die Kosten für den Russland-Exit wurden durch hohe Gewinne aus dem Verkauf von Konzernbestandteilen überkompensiert.
Der spannendste Punkt der Bilanzpressekonferenz wie meist: die Prognose. Aufgrund des gebrochenen Geschäftsjahres hat Siemens eine Vorreiterfunktion im Dax – die Münchner setzen den ersten Ton für das Jahr 2023. Diesmal ist es besonders schwierig, schon vor den Wintermonaten die richtige Tonart zu finden. Denn kein Mensch weiß, wie gravierend die Rezession zuschlägt. Insofern wird das Management sicherlich einen konservativen Ausblick wählen. Große Gewinnsprünge sind, bereinigt um den Energy-Effekt, nicht drin. Die Analysten, deren Schätzungen Siemens gesammelt hat, erwarten im Schnitt für das angelaufene Geschäftsjahr einen Gewinn pro Aktie von 8,72 Euro.
Der entscheidende Punkt ist, wie viel Puffer der hohe Auftragsbestand gegen zurückgehende Nachfrage bietet. Unter dem Strich sollte es Siemens gelingen, den Umsatz moderat steigen zu lassen. Die Analysten erwarten im Schnitt ein Plus auf vergleichbarer Basis von 3,3%.
Der Boom der Nachfrage im kurzzyklischen Geschäft sollte sich beruhigen. Im August hatte Thomas noch davon gesprochen, dass es einen Rekordstand an Ordern im kurzzyklischen Geschäft gebe – das sich eben dadurch auszeichnet, dass zwischen Auftragsvergabe und Auslieferung nur wenige Wochen und höchstens einige Monate liegen. Allerdings rauscht demnächst der Riesenauftrag der langzyklischen Bahnsparte in Ägypten in die Bücher. Bislang war er zu einem nur geringen Teil verbucht worden.
Siemens Energy zieht Bilanz
In das Zahlenwerk fließt auch die Beteiligung Siemens Energy ein, an der die Siemens AG 23,08%, ihre Beteiligungen Inland 12,02% und der Siemens-Pensionsfonds 4,96% hält. Ein zentrales Thema der Bilanzvorlage in der kommenden Woche: Wie geht es weiter nach der angelaufenen Komplettübernahme der Windkrafttochter Siemens Gamesa, die ihr eigenes Zahlenwerk schon am Donnerstag zuvor vorgestellt hatte? Die Wertschöpfungsketten müssen auf den Prüfstand gestellt werden. Spannend ebenfalls, welche Aktionärsstruktur sich nach der Kapitalerhöhung herausbilden wird.