Berichtssaison

Aktien holpern in das vierte Quartal

Die kommende Berichtssaison dürfte sich grundlegend von den vorherigen unterscheiden. Aber günstigere Bewertungen können auch eine gute Gelegenheit zum Einstieg bieten, schreibt Bernhard Grünäugl, Leiter Investment Strategy und ESG Research der BayernInvest.

Aktien holpern in das vierte Quartal

Anders als in den Quartalen zuvor wird die beginnende Berichtssaison dieses Mal kaum das einseitig positive Ergebnisfestival. Zu groß dürfte die Diskrepanz aus einerseits belastenden Makrofaktoren sein, die über die vergangenen Monate die Ge­schäftsentwicklung der Unternehmen dominierten – dysfunktionale Lieferketten, coronabedingte Konsumbeschränkungen und zuletzt die Energiepreisexplosion in Europa oder die Energierationierung in China, um nur einige zu nennen. Von den potenziell im Raum stehenden Kollateralschäden für die chinesische Wirtschaft durch den Kollaps von Evergrande und ungünstigeren Finanzierungsbedingungen mal ganz abgesehen. Auf der anderen Seite stehen weiterhin steigende Gewinnerwartungen der Analysten – insbesondere für 2021, aber auch darüber hinaus.

Steigende Renditen belasten

Zuletzt war es aber nicht diese Diskrepanz zwischen Makrofaktoren und auf der Mikroebene zu beobachtenden Unternehmenserwartungen, die den Aktienmärkten – und insbesondere den zinssensitiven Wachstumstiteln – zu schaffen gemacht hatte, sondern die steigenden Renditen am Rentenmarkt. Da die Notenbanken als Treiber der Entwicklung am Rentenmarkt aber ebenfalls mit mindestens einem Auge auf die Konjunktur blicken, dürfte in den nächsten Wochen – und die kommende Berichtssaison bietet hier den willkommenen Realitätscheck – das Wachstumssentiment der Kapitalmarktteilnehmer im Allgemeinen und der Unternehmen im Speziellen besonders im Fokus stehen. Wir gehen davon aus, dass die Berichtssaison gespickt sein wird mit eher enttäuschenden Unternehmenszahlen und verhaltenem Ausblick. Zwar hat unter anderem bereits BMW verlauten lassen, dass ein Teil des Chipmangels durch höhere Preise für Neu- und Gebrauchtwagen kompensiert werden konnte, aber in der Breite dürfte gelten: Je länger der Mangel an Vorleistungsgütern anhält, desto stärker wird es auf die Gewinnentwicklung durchschlagen – selbst wenn die Auftragsbücher vorerst prall gefüllt bleiben. Die aggregierten Gewinnerwartungen der Unternehmen für das Jahr 2021 erscheinen uns als zu hoch!

Seltsamer Erwartungsanstieg

Vor dem Hintergrund der seit Monaten bekannten, belastenden Faktoren und der in diesem Zeitraum tendenziell abwärts revidierten BIP-Prognosen­ für das laufende Jahr – die US-Konsensschätzung wurde beispielsweise von 6,5% im Frühsommer auf zuletzt 5,8% reduziert – ist es verwunderlich, dass die Erwartungen an die Gewinnentwicklung der Unternehmen für das laufende Jahr steigen; in Europa um mehr als 10 Prozentpunkte allein in den vergangenen drei Monaten! Müsste sich das schlechtere Wachstumsumfeld denn nicht unmittelbar auf die Unternehmensgewinne auswirken?

Mängel im Gesamtbild

Natürlich ist es so, dass nicht alle Unternehmen und Sektoren gleichermaßen von günstigeren Analystenschätzungen profitieren konnten. Energieunternehmen verzeichneten angesichts der Entwicklungen an den Rohstoffmärkten die großen Sprünge, was jedoch nicht weiter verwunderlich ist. Aber auch für Produzenten von Investitions- und Konsumgütern wurde die Latte höher gelegt. Letzteres ergibt nur bei weiterhin positiven Wachstumsaussichten Sinn. Während bei diesem Aspekt zwischen Volkswirten und Aktienanalysten Konsistenz herrscht, hätten die Volkswirte angesichts der höheren Rohstoff- und Energiepreise, die üblicherweise mit einiger Verzögerung auf die Wachstumsraten durchschlagen, aber eher die Prognosen für 2022 und 2023 reduzieren müssen, statt die Schätzungen für das laufende Jahr anzupassen – was aber nicht erfolgt ist. Und hier bekommt das Gesamtbild dann doch erhebliche Mängel.

Entgegen der jüngst zu verzeichnenden Eintrübung des Makrosentiments, das sich in den abwärts revidierten BIP-Prognosen für das laufende Jahr und gefallenen Makro-Surprise-Indizes ausdrückt, rechnet zwar auch die BayernInvest damit, dass im kommenden Jahr ein weiterhin positives Makroumfeld die Unternehmensgewinne beflügeln wird. Dass in Europa aber praktisch in keinem Sektor in den letzten Monaten die Hürde gesenkt wurde, die es für die Unternehmen zu überspringen gilt, um die Analystenerwartungen zu übertreffen und entsprechend die Grundlage für positive Marktentwicklung zu legen, ist kein positives Vorzeichen für die anstehende Berichtssaison. Auch die zunehmende Einmischung der Politik in den europäischen Energiemarkt könnte für Bewegung sorgen: Wird die Belastung der Energiepreisexplosion den Konsumenten aufgebürdet, dann geht dies zu Lasten der in den nächsten Monaten zu erwartenden Konsumausgaben. Wird sie aber den Versorgern aufgebürdet, so wird dies Unternehmen treffen, die zuletzt ebenfalls große Aufwärtsrevisionen der Gewinnerwartungen zu verzeichnen hatten.

Volatilität aktiv nutzen

Gründe gibt es jedenfalls genug, um von Enttäuschungen und nach Vorlage der Unternehmensberichte notwendig werdenden Anpassungen der Gewinnerwartungen auf breiter Front und entsprechender Marktvolatilität auszugehen. Diese gilt es dann allerdings aktiv zu nutzen. Günstigere Bewertungen dürfen weiterhin zum Einstieg und zum Aufbau von Positionen genutzt werden!

Seitens des Rentenmarkts ist für den restlichen Jahresverlauf nach unserer Einschätzung ohnehin nur noch mit geringen Anstiegen der Anleiherenditen zu rechnen – gegeben der Fokus der Notenbanken, weiterhin günstige Finanzierungsbedingungen sicherzustellen, und unsere Erwartung volatilerer Aktienmärkte. Dieser belastende Faktor dürfte also temporär weitgehend entfallen – und erst im kommenden Jahr bei wieder aufhellenden Wachstums- und Ge­winnaussichten erneut Fahrt aufnehmen. Was allerdings dann per saldo positiv für die Aktienmärkte sein dürfte.