Festverzinsliche

An den Anleihemärkten derzeit Vorsicht ratsam

Angesichts der aktuellen Risiken scheint ein stark übergewichtetes Verbleiben in liquiden festverzinslichen Wertpapieren mit Investment-Grade-Rating vorerst sinnvoll.

An den Anleihemärkten derzeit Vorsicht ratsam

Der Anleihemarkt hielt für Anleger in den letzten drei Monate das genaue Gegenteil der vorangegangenen neun Monate bereit. Wir sind der Meinung, dass der Markt den Anlegern von festverzinslichen Wertpapieren mehr als je zuvor in den letzten zehn Jahren eine große Chance bietet. Es mehren sich jedoch die Anzeichen, dass die Märkte sich selbst überholen. Derzeit lassen sich einige Parallelen zur Vergangenheit erkennen, was die jüngste Überschwänglichkeit in einem neuen Licht erscheinen lässt.

Bereits bevor die globale Finanzkrise ihren Tribut auf den Finanzmärkten forderte, wurde diskutiert, ob die eingepreiste Unsicherheit ausreichend sei. Anfang 2020 und auch Ende 2021, als so viele glaubten, dass die Inflation nur vorübergehend sein würde, wurden ähnliche Stimmen laut. Dieses mittlerweile vertraute Muster lässt darauf schließen, dass auch für 2023 und darüber hinaus Vorsicht geboten ist. Leider scheint es, dass nur wenige Menschen die wichtigste Lektion aus den vergangenen Marktzyklen berücksichtigen: Wir dürfen uns nicht nur auf die wahrscheinlichsten Ereignisse konzentrieren. Wir müssen auch weniger wahrscheinliche, aber potenziell weitaus bedeutendere Resultate im Blick behalten und diese in unsere Entscheide miteinbeziehen. Denn was ist, wenn wir falsch liegen?

Das wahrscheinlichste Szenario ist unserer Ansicht nach, dass wir tatsächlich die schlimmsten Auswirkungen des jüngsten Inflationszyklus hinter uns haben. Auch glauben wir, dass die vom Markt implizierten Zinssätze ihren Höhepunkt überschritten haben, was allerdings nicht bedeutet, dass keine weiteren Zinserhöhungen der Zentralbanken zu erwarten sind.

Darüber hinaus sehen wir eine echte Chance für eine weiche Landung: Eine weltweite Rezession ist keineswegs sicher und die großen Volkswirtschaften, die in eine Rezession geraten, werden entweder eine kurze oder eine längere, dafür aber mildere Rezession erleben. Eine bemerkenswerte Ausnahme dieser zentralen Theorie ist Großbritannien, wo wir eine höhere Wahrscheinlichkeit für eine tiefe und langanhaltende Rezession sehen.

Dennoch sind manche wirtschaftliche Anzeichen besorgniserregend. Die US-Renditekurve ist so invers wie seit den 1980er Jahren nicht mehr. Die Gesamtinflation und die Kerninflation scheinen nicht synchronisiert zu sein. Die Arbeitsmärkte sind weltweit so angespannt wie seit Jahrzehnten nicht mehr, und dennoch hat sich die Lohn-Preis-Inflation noch nicht durchgesetzt. In vielen großen Volkswirtschaften nehmen die Arbeitskampfmaßnahmen zu.

Auch die Finanzmärkte scheinen unter Druck zu stehen. Die Kreditvergabestandards werden verschärft und es ist eine Phase zu erwarten, in der die Zahlungsausfälle gegenüber den historisch niedrigen Niveaus der letzten Zeit ansteigen werden. Nach einem Jahrzehnt der Nullzinspolitik und der Liquiditätsspritzen der Notenbanken können nun zunehmend positive Realzinsen und die ersten Anzeichen für schrumpfende Bilanzen beobachtet werden. Die Ära der Anleihen mit negativen Renditen ist vorbei und damit vielleicht auch die unersättliche „Jagd nach Rendite“, die die Anlegerinnen und Anleger in weniger liquide, komplexere Anlagen getrieben hat. Auch das geopolitische Risiko ist hoch: Man denke nur an die zuletzt erhöhte Wahrscheinlichkeit einer globalen Katastrophe auf der „Doomsday Clock“ der Zeitschrift „Bulletin of the Atomic Scientists“, diesem Symbol, das nach Ansicht der Mitglieder des „Bulletins“ die Wahrscheinlichkeit einer von Menschen verursachten globalen Katastrophe darstellt.

Aus diesen Gründen besteht durchaus die Möglichkeit, dass die Finanzmärkte über das Ziel hinausgeschossen sind. Vor allem für die risikoreicheren und weniger liquiden Teile des investierbaren Universums steigt diese Wahrscheinlichkeit er­heblich an. Mittelfristig und unter Berücksichtigung aller möglichen Entwicklungen scheinen daher die liquidesten und risikoärmsten Bereiche der Rentenmärkte besonders relevant. Wenn ein echter Kreditzyklus bevorsteht und die Ausfälle auch nur die leicht pessimistischen Szenarien erreichen, die die Ratingagenturen vorhersagen, sind in den risikoreicheren Bereichen der festverzinslichen Wertpapiere negative Renditen zu erwarten. In den Bereichen, die sowohl illiquide als auch riskant sind, kann es zu einer Krise kommen.Unserer Ansicht nach besteht eine geringe Wahrscheinlichkeit, dass einige oder alle dieser Risiken auf die Märkte durchschlagen. In diesem Fall kann man sich leicht vorstellen, dass Teile des festverzinslichen Universums, die bisher weder größere Abflüsse noch einen echten Kreditzyklus erlebt haben, in Mitleidenschaft gezogen werden. Einige dieser Anlagen scheinen auch niedrigere Prämien für die konservativeren und liquideren Teile des festverzinslichen Bereichs zu bieten als in der Zeit der „Jagd nach Rendite“. Wenn sich diese Entwicklung fortsetzt oder gar noch verschärft, ist größere Vorsicht ratsam. Denn es könnte sein, dass der Markt einen Teil seiner Gewinne wieder abgeben wird. Für 2023 scheint es sehr wahrscheinlich, dass die Volatilität zunehmen wird. Das ist zweifellos eine gute Nachricht für die eher glücklosen aktiven Anlegerinnen und Anleger. Wir glauben, dass ein stark übergewichtetes Verbleiben in liquiden festverzinslichen Wertpapieren mit Investment-Grade-Rating vorerst sinnvoll ist, denn die Renditen dürften selbst im ungünstigsten Szenario für den Rest des Jahres nur leicht negativ ausfallen.

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