Ölpreis

Angriff auf Saudis treibt Ölpreis an

Geopolitische Faktoren haben den Brent-Ölpreis zeitweise über die Marke von 70 Dollar je Barrel getrieben. Die jemenitischen Huthi-Rebellen haben mit einen Drohnen- und Raketenangriff den wichtigen saudi-arabischen Ölverladehafen Raas Tanura getroffen. Anleger fürchten um die Versorgungssicherheit.

Angriff auf Saudis treibt Ölpreis an

Von Dieter Kuckelkorn, Frankfurt

Bislang waren es fundamentale Marktgegebenheiten sowie spekulative Übertreibungen von Finanzinvestoren, die den Ölpreis angetrieben und auf diese Weise an die Marke von 70 Dollar je Barrel Brent-Öl herangeführt haben. Nun tritt ein weiterer preistreibender Faktor hinzu. Mit den Ereignissen in Saudi-Arabien vom Wochenende sind die geopolitischen Risiken an den Ölmarkt zurückgekehrt, und zwar recht eindrucksvoll: Erstmals seit Januar 2020 ist der Brent-Preis über die Marke von 70 Dollar geklettert. Im asiatischen Handel erreichte er in der Spitze 71,38 Dollar, dies ist der höchste Stand seit dem 8. Januar des vergangenen Jahres. Der Monatskontrakt der führenden amerikanischen Sorte West Texas Intermediate (WTI) kletterte in der Spitze auf 67,98 Dollar, somit auf ein Niveau, das es zuletzt im Oktober 2018 gegeben hatte.

Den Streitkräften der im Westen Huthis genannten jemenitischen Ansar-Allah-Milizen ist ein umfangreicher Drohnenangriff auf saudi-arabische Ölinstallationen gelungen, insbesondere auf den von dem saudischen Ölkonzern Saudi Aramco betriebenen Hafen Raas Tanura an der Ostküste des Landes. Dieser ist für die saudischen Ölexporte von zentraler Bedeutung. Mit dem Angriff werden Erinnerungen an den September 2019 wach, als es den Huthis mit Drohnenangriffen gelang, die Hälfte der saudi-arabischen Ölproduktion für eine Weile außer Betrieb zu nehmen.

In einer von den Huthis „Deterrent Balance 6“ genannten Aktion wurden 14 Drohnen und sechs Raketen gegen hochwertige Ziele in Saudi-Arabien eingesetzt. Davon entfielen zehn Drohnen und eine ballistische Rakete auf Raas Tanura. Dort kam es zu schweren Explosionen, wobei die saudische Luftabwehr wie schon im Jahr 2019 komplett versagte. Wie die saudischen Behörden selbst mitteilten, konnten lediglich zwei Drohnen abgeschossen werden. Die Saudis verfügen über Luftabwehrsysteme der amerikanischen Typen Patriot und Hawk. Selbst die moderneren und sehr teuren Patriot-Systeme haben sich bereits in der Vergangenheit als unfähig erwiesen, mit einfachen Drohnen sowie den auf sowjetischen Bauplänen beruhenden jemenitischen ballistischen Raketen fertigzuwerden.

Die Ereignisse werfen erneut ein grelles Schlaglicht auf den von den Saudis begonnenen Krieg im Jemen, der für das Königreich inzwischen äußerst ungünstig verläuft, sowie auf die Fragilität des saudischen Regimes und der saudischen Infrastruktur. Dies ist insofern für den Ölmarkt von großer Bedeutung, als Saudi-Arabien mit seiner Ölproduktion von rund 10 Mill. Barrel pro Tag (bpd) allein etwa 10% der weltweiten Ölversorgung beisteuert. Inzwischen erscheinen nach Ansicht von Beobachtern sogar Szenarien realistisch, in denen die saudischen Truppen und ihre Verbündeten im Jemen von Huthis besiegt werden und diese dann militärische Vorstöße nach Saudi-Arabien hinein unternehmen, zumal die südlichste Provinz Saudi-Arabiens früher Teil des Jemen war.

Ein weiteres großes Problem für Saudi-Arabien ist die Instabilität des Königshauses vor allem durch die Unberechenbarkeit des regierenden Kronprinzen Mohammed bin Salman, der alle anderen Zweige des Königshauses weitgehend von der Macht ausgeschlossen hat und so für viel Zwietracht in der großen saudischen Herrscherfamilie sorgt. Wenig Freunde machte er sich auch mit der Inhaftierung großer Teile der saudischen Wirtschaftselite 2017, mit der er über 100 Mrd. Dollar erpresste. Bei der saudischen Schutzmacht USA hat der Kronprinz seine Unterstützer hauptsächlich auf Seiten der Republikaner, während es in der neuen demokratischen Biden-Administration Bedenken gegen ihn gibt – wenngleich die USA ihre Unterstützung für das aus ihrer Sicht strategisch wichtige Land nicht einstellen werden.

Spannungen nehmen zu

Ein zentraler Verbündeter der Hu­thi-Milizen ist der Iran als die mittlerweile führende Regionalmacht am Persischen Golf. Seit einiger Zeit nehmen die Spannungen zwischen dem Iran auf der einen und den USA und Israel auf der anderen Seite stark zu. Insbesondere Israel droht inzwischen häufig mit direkten militärischen Angriffen auf den Iran. Zuletzt hatte der israelische Verteidigungsminister Benny Gantz in einem Interview betont, Israel habe seine Angriffspläne noch einmal überarbeitet und aktualisiert. Die US-Streit­kräfte haben auf Anweisung von Präsident Joe Biden kürzlich einen Luftangriff auf iranische Einheiten im Irak geflogen, während gleichzeitig die Überfälle proiranische Milizen auf die amerikanische Besatzungsmacht im Irak an Intensität zunehmen. Der iranische Verteidigungsminister Amir Hatami hat jetzt im Gegenzug damit gedroht, bei einem israelischen Angriff auf den Iran Tel Aviv und Haifa dem Erdboden gleichzumachen. Die USA haben am Sonntag einen ihrer B-52-Bomber demonstrativ über die gesamte Golfregion fliegen lassen, eskortiert von saudischen, katarischen und israelischen Kampfflugzeugen.

Diese geopolitischen Spannungen, die bereits seit mehreren Wochen hochkochen, haben allerdings bislang den Ölpreis nicht spürbar angetrieben. Dafür gibt es einen guten Grund: Trotz aller kriegerischen Rhetorik ist ein militärischer Angriff auf den Iran eher unwahrscheinlich – zumindest wäre ein derartiger Einsatz wegen der enormen Risiken nicht rational. Dies liegt daran, dass der Iran über sein ballistisches Raketenprogramm sowie Verbündete wie die libanesische Hisbollah-Miliz ein glaubwürdiges Abschreckungspotenzial aufgebaut hat. Der Iran kann den amerikanischen Militärbasen rund um den Persischen Golf schwere Schäden, und die Hisbollah besitzt inzwischen mehr als 100000 Raketen, darunter auch ferngesteuerte Flugkörper, die die israelische Wirtschaft und zentrale Militär­installationen zumindest teilweise zerstören können. Bereits in der Militärkampagne des Jahres 2006 ist der israelischen Armee der Sieg über die Hisbollah verwehrt geblieben, die Aktion musste abgebrochen werden. Seither hat die Hisbollah ihre militärischen Fähigkeiten stark ausgebaut. Außerdem ist der Iran mittlerweile in der Lage, die Meeresenge von Hormus zu sperren, über die 25% der weltweiten Erdölversorgung laufen. Eines der wesentlichen saudischen Motive für den Jemen-Feldzug war es, sich Transportmöglichkeiten über Land zu schaffen, um die Straße von Hormus zu umgehen.

Harsche Sanktionen

Somit ist es wahrscheinlicher, dass die USA versuchen, weiterhin über harsche wirtschaftliche Sanktionen den weiteren Aufstieg des Iran als Regionalmacht zu verhindern. Die Biden-Administration bietet Teheran zwar Verhandlungen an, verbindet diese jedoch mit für die iranische Regierung unerfüllbaren Vorbedingungen. Derweil gelingt es dem Iran immer besser, die amerikanischen Sanktionen zu umgehen. So hat das Land nach Berechnungen von Refinitiv an den wichtigen Kunden China in den vergangenen 14 Monaten im Durchschnitt rund 306000 bpd Rohöl geliefert. Im Februar ist diese Menge bereits auf 850000 bpd gestiegen. Abgerechnet werden diese Lieferungen in Yuan oder in Euro, sie erfolgen damit außerhalb des amerikanischen Einflussbereichs. Während weitere jemenitische Angriffe auf Saudi-Arabien den Ölpreis weiter in die Höhe treiben können, dürfte eine erneute Steigerung der iranischen Exporte eher preisdämpfend wirken. Eine Aufhebung der amerikanischen Sanktionen, die wegen der damit verbundenen Steigerung der Angebotsmengen den Ölpreis spürbar unter Druck setzen würde, ist aufgrund der geopolitischen Gemengelage allerdings eher unwahrscheinlich.