Ausweitung von US-Börsenzeiten stellt Märkte auf die Probe
US-Händler machen die Nacht unsicher
Geplante Ausweitung der Handelszeiten von Nasdaq und New York Stock Exchange löst Warnung vor Stabilitätsrisiken aus
Nach der Nyse will auch die Nasdaq ihre Handelszeiten massiv ausweiten. Investorenschützer kritisieren, dass Privatanleger somit in größerer Zahl in riskantere Trades gelockt werden dürften. Darüber hinaus sehen Experten durch fragmentierte Liquidität und höhere Volatilität Gefahren für die Marktstabilität.
xaw New York
Wenn die Nacht über New York hereinbricht, bieten die Leuchtreklamen am Times Square Touristen ein eindrucksvolles Schauspiel. In dem bunt blinkenden Lichtermeer bildet das Hauptgebäude der Nasdaq an der Ecke 43. Straße und Broadway eine Randerscheinung – doch auf den Plattformen der Börse soll es künftig rund um die Uhr so geschäftig zugehen wie auf dem Platz vor der Tür. Denn der Marktbetreiber will sich gemäß eines am Freitag veröffentlichten Blogbeitrags seines Präsidenten Tal Cohen in den 24-Stunden-Handel stürzen. Entsprechende Gespräche mit Regulatoren und Dateninfrastruktur-Anbietern liefen bereits, in der zweiten Hälfte 2026 könnten die notwendigen Bedingungen vorliegen, um die Handelszeiten an fünf Tagen die Woche massiv auszuweiten.
Zentralverwahrer expandiert Clearing
Die Nasdaq schließt sich damit der New York Stock Exchange (Nyse) an. Diese stellte im vergangenen Herbst bei der Börsenaufsicht SEC einen Antrag darauf, die Handelszeiten auf ihrer digitalen Plattform Nyse Arca an fünf Tagen pro Woche auf 22 Stunden auszuweiten zu dürfen. Dabei orientiert sich die weltgrößte Wertpapierbörse laut ihrer Präsidentin Lynn Martin am amerikanischen Zentralverwahrer DTCC, der in diesem Zeitraum ein vollständiges Clearing aller Trades anbieten könne. Neben technologischen Innovationen ermöglichten die Tiefe und Liquidität des US-Kapitalmarkts eine Ausweitung der Handelszeiten.

Im November erteilte die SEC bereits die Freigabe für einen zweistufigen Plan zum Start der 24 Exchange. Das Startup, dessen wichtigster Geldgeber der Hedgefonds Point 72 des Starinvestors Steve Cohen ist, soll zunächst mit regulären Handelszeiten zwischen acht Uhr morgens und vier Uhr nachmittags New Yorker Zeit ins Rennen gehen und anschließend zwischen Sonntag und Donnerstag Übernachtsitzungen abhalten, sobald die nötige Infrastruktur aufgesetzt ist. Dafür muss sich der Anbieter auch mit rivalisierenden Börsenplätzen abstimmen, die den konsolidierten elektronischen Datenstrom für den Handel bereitstellen.
Broker treiben Nachfrage
Während Treasuries und die wichtigsten Industrieländerwährungen um den Dollar unter der Woche fast durchgängig hoch frequent gehandelt werden, steckt das Rund-um-die-Uhr-Geschäft mit Dividendenpapieren in den USA noch in den Kinderschuhen. Denn strikte Regeln zum Investorenschutz und ein komplexerer Settlement-Prozess machten es für Marktbetreiber lange nicht attraktiv genug. Doch der Aufstieg von Retail-Brokern führt zu einer steigenden Nachfrage von zunehmend risikofreudigeren Privatanlegern, die das 24-Stunden-Trading aus dem Kryptomarkt gewöhnt sind.
Bei Robinhood können Privatanleger an fünf Tagen die Woche rund um die Uhr ausgewählte Exchange-Traded Funds und Einzelaktien handeln, Interactive Brokers hält gar Sitzungen mit über 10.000 verfügbaren Werten ab. Die Trades laufen dabei in Dark Pools, deren Teilnehmer untereinander handeln, und haben damit keinen Einfluss auf die Preisbildung im breiten Markt. Die Zulassung regulierter Übernachtbörsen stellt nun einen Einschnitt dar. Denn die dort ausgeführten Trades und gestellten Kurse gehen offiziell in die Finanzmarktstatistik ein.
Furcht vor Volatilitätssprüngen
Die Ausweitung der Handelszeiten löst allerdings Sorgen vor einer fragmentierten Liquidität und steigenden Volatilität aus. Die Nonprofit-Organisation Healthy Markets warnt davor, dass selbst kleine, über Nacht getätigte Transaktionen aufgrund der geringen Markttiefe signifikante Kurseffekte entwickeln und sich damit überproportional stark auf große Wertpapierpositionen auswirken können.
Solche Entwicklungen drohen sich über Derivate noch zu verstärken. Laut Paul Woolman, dem globalen Leiter für Aktienindexprodukte an der weltgrößten Terminbörse CME, hat die Aktivität in E-mini-Futures, die den S&P 500 nachbilden, abseits der regulären Handelszeiten von Jahr zu Jahr zugenommen. Bei Optionen auf die US-Benchmark und den technologielastigen Nasdaq 100 kommt es während geopolitischen Krisen wiederholt zu heftigen Ausschlägen, mitunter wechseln „Out of hours“ über 600.000 Kontrakte den Besitzer.
Retail-Investoren im Nachteil
Investorenschützer fürchten, dass gerade Privatanleger somit in größerer Zahl in zunehmend riskantere Trades gelockt werden. „Retail-Trader werden in Übernachtsitzungen in einem Markt mit weniger Wertpapierkäufern und -Verkäufern agieren und damit schlechtere Kurse gestellt bekommen als während der üblichen Handelszeiten“, monierte die Organisation Better Markets bereits auf die Zulassung der 24 Exchange hin.
Die SEC behaupte, dass sie Investoren durch Offenlegungspflichten zu Risiken im Übernachthandel schütze. Doch zeigten Studien konsistent auf, dass Anleger nicht auf solche Warnungen reagierten. Vielmehr entspreche es „der menschlichen Natur, sich nachts riskanterem Verhalten hinzugeben“. Für Broker bestünden nun Anreize, Investoren zu Zeiten mit Push-Benachrichtigungen zu traktieren, in denen sie besonders verletzlich seien. Diese Entwicklung habe sich bereits im Geschäft mit Sportwetten gezeigt.
Vorteile für KI-Fonds
Gerade für mittels künstlicher Intelligenz gesteuerte Fonds, die schließlich keine Pausen einlegen oder schlafen müssen, gilt der Trend zum 24-Stunden-Handel als Chance. Entsprechend euphorisch äußern sich Betreiber wie die in Luxemburg ansässige Omphalos – die aber auch einräumt, dass sich algorithmische Modelle weiterentwickeln müssten, um mit neuen Trading-Mustern im Übernachthandel umzugehen.
Kritiker betonen indes, dass die großen US-Börsenbetreiber ohne Not riskante Experimente wagten. Schließlich seien Mehrerlöse aus dem Aktienhandel für die Nyse und ihre Mutter Intercontinental Exchange sowie die Nasdaq, für die das Listing-Geschäft Treiber stetig wachsender Erlöse ist, höchstens ein Zubrot. Derweil könne die Trading-Expansion schwere Auswirkungen auf die Marktstabilität haben. Die New Yorker Nacht wird damit zur gefährlichen Verführerin.