Autowerte im Stop-and-Go-Modus
Von Alex Wehnert, Frankfurt
Die Aktien der europäischen Automobilbranche haben nach einem rasanten Aufschwung in der ersten Jahreshälfte in den Stop-and-Go-Modus umgeschaltet. Das zeigt sich am Stoxx-Index der Fahrzeughersteller und Zulieferer, der zwischen Anfang Januar und Anfang Juni um über 32% zugelegt hatte, seitdem aber mit knapp 7% im Minus liegt. Deutlich wird die Entwicklung aber auch an großen Einzelwerten wie Daimler oder Volkswagen-Vorzüge, die nach einer langen Aufwärtsfahrt in den vergangenen Wochen erfolglos eine klare Richtung suchten.
Die Börsenstimmung hinsichtlich der konjunktursensitiven Titel litt wie auch das Sentiment am Gesamtmarkt wiederholt unter Coronavirussorgen und Inflationsängsten, insbesondere bremste aber die globale Chipknappheit die Aktien der Branche aus. Vor allem aufgrund der Lieferengpässe bei Halbleitern hatte der Automobilverband VDA Anfang Juli seine Prognose für den Pkw-Absatz in Deutschland im laufenden Jahr gesenkt. Statt eines Wachstums von 8% geht er nur noch von einem Zuwachs von 3% aus. Taiwan, der wichtigste Produktionsstandort für Halbleiter, ist für die internationale Automobilbranche zum Nadelöhr geworden. Zudem kommt es bei Batterien weiter zu Lieferschwierigkeiten – laut Analysten wie Jürgen Pieper vom Bankhaus Metzler könnten diese den Sektor noch für zwei bis drei Jahre beschäftigen.
Dennoch fällt die Einschätzung der Marktstrategen für zahlreiche große Werte der Branche noch immer ausgesprochen positiv aus. Die Toyota-Aktie empfehlen laut dem Informationsdienstleister Bloomberg 65% der Analysten zum Kauf, bei Volkswagen-Vorzügen sind es 79% und bei Daimler 82%. Zum Verkauf rät jeweils kein einziges Finanzinstitut – ebenso wenig wie beim US-Vertreter General Motors, dessen Aktie mit einem Kaufempfehlungsanteil von 91% derzeit der Analystenliebling der Branche ist. Bedingt wird der Optimismus trotz der Chip-Rückschläge im laufenden Jahr durch den E-Mobilitätstrend.
Denn die Entwicklung batteriebetriebener Fahrzeuge hat in der Krise kräftig an Schwung gewonnen. Dies schlägt sich auch im Absatz nieder: Hatten sich die monatlichen globalen E-Auto-Verkäufe im Januar 2020 noch auf knapp 152500 Einheiten belaufen und bis April auf 120000 Stück nachgegeben, schnellte ihr Volumen zum Jahresende auf nahezu 560000 Einheiten in die Höhe. Nach einem kurzen, nach Analystenmeinung saisonal bedingten Rücksetzer zu Jahresbeginn hat sich das Absatzvolumen im Frühjahr wieder stark erholt – gegenüber dem Vorjahresmonat stand laut Bloomberg im März ein Plus von 246%.
US-Konzerne schwenken um
Vorreiter sind dabei die Regionen EMEA (Europa, Naher Osten und Afrika) sowie Asien-Pazifik – doch auch in Nordamerika haben die Verkäufe batteriebetriebener Fahrzeuge kräftig zugelegt. Der Machtwechsel in Washington und der klimafreundlichere Kurs der Biden-Regierung haben auch bei den US-Autobauern einen strategischen Schwenk ausgelöst – insbesondere die Elektro-Bemühungen von General Motors finden bei den Analysten von Bloomberg Intelligence Beifall. Der Konzern will seine Investitionen in die Zukunftsfelder E-Mobilität und autonomes Fahren bis zum Jahr 2025 auf 35 Mrd. Dollar aufstocken und seine Produktspanne im gleichen Zeitraum auf 30 batteriebetriebene Modelle ausweiten. Insgesamt will General Motors bis dahin mindestens eine Million elektrische Fahrzeuge pro Jahr verkaufen und sich bis 2035 vollständig vom Verbrennungsmotor verabschieden.
Das GM-Elektro-Zugpferd Chevrolet Bolt, das laut Bloomberg Intelligence noch über eine wenig ausgereifte Technologie verfügt, trifft jedenfalls schon auf eine stark wachsende Nachfrage – im ersten Halbjahr 2021 generierte das Modell einen ebenso hohen Absatz wie im gesamten Vorjahr. Allerdings macht nun ausgerechnet der Bolt Sorgen: General Motors ruft derzeit nahezu 69000 zwischen 2017 und 2019 produzierte Modelle zurück. Grund sind Batteriedefekte, die Brände auslösen könnten. Bereits im November hatte der Konzern die gleichen Vehikel zurückgerufen, das damals aufgespielte Software-Update scheint die Risiken aber nicht vollständig behoben zu haben.
Marktstrategen befürchten in der Folge hohe Kosten und verweisen auf das Beispiel des südkoreanischen Autobauers Hyundai. Dieser hatte Ende Februar 82000 Elektro-Fahrzeuge zurückrufen müssen, um die Batteriesysteme vollständig austauschen zu können. Kostenpunkt: 900 Mill. Dollar – und weitere Rückrufe für andere Modelle folgten. Neben dem finanziellen schmerzt dabei auch der Image-Schaden, der sich schnell an der Börse bemerkbar machen kann.
Daimler überzeugt
Auch die deutschen Autobauer hatten mit ihren E-Modellen holprige Starts hingelegt, überzeugen die Analysten inzwischen aber mit ihren Strategien. Daimler hatte in der vergangenen Woche angekündigt, beim Wechsel zur E-Mobilität das Tempo zu erhöhen: Ab 2030 sollen alle neuen Pkw von Mercedes-Benz elektrisch fahren. Durch die beschleunigte Elektrifizierung ist Daimler laut der britischen Großbank Barclays in einer starken Position, um Mercedes als zentralen Luxusanbieter im Batterie-Auto-Segment zu positionieren, sobald die für den Herbst angesetzte Abspaltung von Daimler Truck vollzogen sei. Die Stuttgarter verfügten nicht nur über die Markenstärke, um die hohen Preise verlangen zu können, die für eine profitable Entwicklung derzeit notwendig seien, sondern auch über eine disziplinierte Kostenkontrolle.
Daimler will zudem mit Partnern selbst Batteriezellen herstellen und will dafür acht Gigafabriken auf drei Kontinenten hochziehen. Der Druck auf Elektro-Vorreiter Tesla, der mit neuen Fertigungsstätten im texanischen Austin und in Grünheide bei Berlin seine Kapazitäten erhöhen will, wächst damit jedenfalls. Die Analystenstimmung für die Aktie des US-Konzerns, die über das vergangene Jahr hinweg gegenüber den Papieren traditioneller Autobauer eine gewaltige Outperformance hingelegt hatte, bleibt daher vorsichtig: Laut Bloomberg raten 45,5% zum Kauf und 20,5% zum Verkauf. Das aktuelle Kursniveau reflektiert laut Barclays die hochfliegenden Wachstumsambitionen von Tesla, nicht aber die damit verbundenen Risiken.
Denn auch Volkswagen, die für das erste Halbjahr ein operatives Rekordergebnis vermeldet und die Jahresprognose angehoben hat, greift nach der Krone im Elektro-Segment. Laut Bloomberg Intelligence könnten die Niedersachsen Tesla 2023 von der Spitze verdrängen und bei der Software bis 2025 aufholen – dies sei auf dem Weg, die Bewertungslücke zum US-Wettbewerber zu schließen, hilfreich. Aus Analystensicht spricht also viel dafür, dass die Aktien der traditionellen Autobauer mittelfristig wieder aus dem Stop-and-Go-Modus ausbrechen.