Berenberg sieht Bodenbildungschance
ck Frankfurt
Bernd Meyer, Chefanlagestratege und Leiter Multi Asset im Berenberg Wealth Asset Management, rechnet mit einer zunächst weiter schwierigen Phase an den Aktienmärkten, hält jedoch eine Bodenbildung im Verlauf des vierten Quartals für wahrscheinlich. Nachdem im ersten Quartal Inflationsängste im Vordergrund gestanden hätten, dominierten seit dem zweiten Quartal zunehmend Konjunktur- und Rezessionssorgen an den Märkten, so Meyer am Mittwoch in einem Pressegespräch. Festmachen könne man das daran, dass Zykliker massiv nachgegeben und Defensive deutlich outperformt hätten. Zudem seien die langfristigen Inflationserwartungen seit Mitte April wieder rückläufig. Der Markt sei von den Zentralbanken, insbesondere von der Fed, überzeugt, dass sie die Inflation in den Griff bekommen werden. Die Märkte preisten zunehmend eine Rezession ein.
Stimmung sehr schwach
Die Stimmung an den Märkten sei sehr schwach, die Positionierungen nicht aller, aber vieler Anlegergruppen seien schon sehr niedrig. Ferner seien die Bewertungen viel attraktiver, was dafür spreche, dass eine Chance auf eine Bodenbildung bestehen könnte. „Aber was noch vor uns liegt, ist eine drohende Rezession, die immer wahrscheinlicher wird, niedrigere Gewinne, denn die Gewinnerwartungen sind bisher extrem stabil gewesen“, so Meyer, der glaubt, dass in der Berichtssaison zum zweiten Quartal im dritten Quartal ein bisschen mehr Realität einkehren werde und auch die Analysten ihre Gewinnerwartungen reduzieren würden. Der Liquiditätsentzug durch die Zentralbanken, das wirkliche Quantitative Tightening, beginne jetzt erst richtig.
Vorerst noch volatil
Das seien alles Themen, die noch auf den Märkten lasteten, und deswegen sei nicht auszuschließen, „dass wir noch einmal einen finalen Ausverkauf brauchen, bevor wir dann wirklich eine Bodenbildung bekommen“. Es bestehe aber eine sehr gute Chance auf eine Bodenbildung im zweiten Halbjahr. Das dritte Quartal werde volatil bleiben, die Lows würden wahrscheinlich noch mal getestet, vielleicht sogar unterschritten, „und es wird eine längere Phase geben, bis wir da durch sind, weil es dieser Korrektur bei den Gewinnerwartungen bedarf“.
Rezession im vierten Quartal
Meyer hält eine Bodenbildung im Verlauf des vierten Quartals für möglich, auch wenn Berenberg erwartet, dass es im vierten Quartal dieses Jahre und im ersten Quartal 2023 eine milde Rezession geben wird. Eine deutliche Wirtschaftsabkühlung sei bereits am Markt eingepreist. Das sei auch an den Bewertungen ablesbar. In den USA liege das Kurs-Gewinn-Verhältnis bei 17, in Europa bei 12. Insbesondere in Europa sei die Bewertungskorrektur sehr ausgeprägt. „Wir sind schon auf und nahe Niveaus, wo wir tendenziell historisch den Boden hatten.“
Zwar müssten noch die Gewinne sinken. Aber, so Meyer in Bezug auf vergleichbare Situationen in der Vergangenheit: Der Markt nehme das vorweg, die Bewertungen sänken, dann kämen wenig berauschende Unternehmensergebnisse, aber die Märkte stiegen, es komme zur Bodenbildung und dann gehe es wieder aufwärts. Auch anhand der Entwicklung der Zykliker zu Defensiven sowohl in der Performance als auch in der relativen Bewertung sei zu erkennen, dass der Markt eine deutliche Wirtschaftsabschwächung vorwegnehme. Möglicherweise gebe es noch etwas Abwärtspotenzial, aber das hänge vom Ausmaß der Rezession ab. Berenberg habe in der zurückliegenden Woche ihr Basisszenario Richtung Rezession gewechselt, von Risikoszenario mit 40% Wahrscheilichkeit zu Basisszenario mit 60% Wahrscheinlichkeit. Aber es werde eine milde Rezession erwartet, die ungefähr Mitte 2023 enden werde.
Die Bodenbildung könnte Meyer zufolge erfolgen, wenn die Rezession beginnt, die Zentralbanken weniger falkenhaft werden, die Anleiherenditen nicht mehr steigen, die Gewinne korrigiert haben und sich die Einschätzung einstellt, dass die Rezession im nächsten Jahr wieder endet. „Dann werden die Leute wieder Aktien kaufen.“ Der Markt beginne hindurchzusehen. Er sei immer sechs Monate voraus. In drei von fünf Rezessionen der Vergangenheit habe der Aktienmarkt den Boden zu Beginn der Rezession gefunden.
Anlagedruck bleibt hoch
Was Meyer zufolge noch fehlt, ist eine finale Kapitulation, „ein Ausverkauf auch von Privatinvestoren, dass die die Nerven verlieren“. Viele systematische Anleger seien sehr niedrig positioniert. Das sehe man bei CTAs, bei Zielvolatilitäts- und Risikoparitätsansätzen, also allen volatilitätsgesteuerten Ansätzen, Robo-Advisors etc. Das sei eine gute Ausgangsbasis. Denn sie hätten noch viel trockenes Pulver. In den Geldmarktfonds in den USA schlummerten immer noch 4,5 Bill. Dollar. Das sei seit der Coronakrise fast unverändert, obwohl das Geld angesichts der hohen Inflation an Kaufkraft einbüße. Der Anlagedruck seit weiterhin hoch. Deswegen hätten Anleger noch kein Geld aus Aktienfonds abgezogen, sondern seit Jahresbeginn seien sogar 195 Mrd. Dollar in Aktienfonds global geflossen. „Der Privatanleger hat noch nicht kapituliert. Vielleicht brauchen wir das noch.“