Brasilien-Hausse mit Vorbehalten

Börse legt kräftig zu - Noch ist aber nicht sicher, ob Bolsonaro die geplanten Reformen durchsetzen kann

Brasilien-Hausse mit Vorbehalten

Der Wahlsieg des Rechtsaußen-Politikers Jair Bolsonaro löst einen Boom an Brasiliens Kapitalmarkt aus. Dabei investieren jedoch allein Brasilianer, während ausländische Anleger flüchten. Sie werden abwarten, wie schnell die neue Regierung überfällige Reformen auf den Weg bringen kann. Entscheidende Figur ist der Superminister Paulo Guedes.Von Andreas Fink, Buenos AiresMit einem Indexgewinn von 10,2 % war die Börse in Sao Paulo im Oktober beinahe der einzige Handelsplatz auf der Welt, der überhaupt zulegen konnte. Zwischen dem 13. September und dem 5. November stieg der Bovespa-Index gar von etwa 75 000 auf fast 90 000 Punkte. Inzwischen sind die Kurse wieder leicht gesunken. Der Index lag zuletzt bei knapp 86 000 Zählern.Die Zuversicht der Investoren gründete zum einen auf der Sicherheit, dass die Linke für längere Zeit nicht an die Macht zurückkommen dürfte. Und zum Zweiten erwarten die Anleger, dass der neue Präsident auch nach dem Ende des Wahlkampfes zu seinem Wirtschaftschef Paulo Guedes steht. Der 68-Jährige frühere Investmentbanker aus Rio de Janeiro, der unter anderem das Geldhaus BTG Pactual mitgegründet hatte, soll nach dem erklärten Willen des Präsidenten ein Superministerium für Finanzen, Wirtschaft, Handel und Industrie leiten. Neulinge im ParlamentDie Zuversicht speist sich zusätzlich aus dem Resultat der Parlamentswahlen, die 274 Neulinge in den Kongress gebracht hat, welche zum überwiegenden Teil dem liberal-konservativen Lager angehören. Das erhöht nach der Ansicht vieler die Chancen, dass Bolsonaro Reformen ohne übermäßig teure Kompromisse durch das Parlament bringen könnte. Bolsonaros eigene Partei PSL besetzt 52 der 513 Sitze in dem 30-Parteien-Kongress, kann daher allein nichts entscheiden. Im Wahlkampf hat Bolsonaro freilich mehrfach versichert, dass es unter ihm im Parlament keine Gegengeschäfte und Postengeschacher geben werde. Nun fragen viele, ob sich die anderen Parteien wirklich von dem ehemaligen Fallspringspringer kommandieren lassen wollen.Solche Skeptiker finden sich vor allem im Ausland. Tatsächlich ist Brasiliens Boom, den die Investmentbank Morgan Stanley als “die beste Investmentstory” bezeichnet und mit einer Hochstufung auf Overweight beantwortet hat, allein von brasilianischen Anlegern getragen. Während die Südamerikaner kauften, zogen internationale Investoren im Oktober im 7 Milliarden Dollar von der Börse ab. Das war die umfangreichste Fluchtbewegung seit 2010, so der Börsenbetreiber B3. Unpopuläre PläneIn Zeiten allgemeiner Skepsis gegenüber den Emerging Markets wollen internationale Anleger erst einmal vorgeführt bekommen, wie schnell und wie erfolgreich Bolsonaro und Guedes die höchst unpopuläre Reform des Rentensystems durch das Parlament bringen. Die Regierung des scheidenden Präsidenten Michel Temer hatte einen Reformvorschlag präsentiert, der den defizitären Staatshaushalt innerhalb der nächsten zehn Jahre um 800 Mrd. Dollar entlastet hätte. Doch im Wahljahr brachte der von Korruptionsvorwürfen politisch angeschlagene Temer keine drei Fünftel der Abgeordneten zusammen, um die tiefgreifende Reform zu verabschieden.Nun hat der ehemalige Zentralbankgouverneur Arminio Fraga – einst Student des neuen Superministers Guedes – einen revidierten Vorschlag präsentiert, der bis zu 1,3 Bill. Dollar im kommenden Jahrzehnt einsparen könnte. Doch ob die neuen Abgeordneten tatsächlich einem so strikten Sparkurs beschließen, bezweifeln viele Anleger. Brasiliens Vielparteiensystem hat radikale Reformen bislang stets zu verhindern gewusst.Außerdem gibt es Fragezeichen zu dem Tandem Bolsonaro-Guedes. Denn bevor er seinen Wahlkampf begann, hatte Bolsonaro immer wieder liberale Wirtschaftspolitik kritisiert, teilweise gar mit einem Mordaufruf gegen den damaligen Präsidenten Fernando Henrique Cardoso. Im Wahlkampf gab es gewisse Missklänge zwischen den beiden und noch am Wahlabend vergriff sich Guedes im Ton und erklärte argentinischen Journalisten, ihr Land habe “keine Priorität”. Das Mercosur-Nachbarland ist bislang Brasiliens zweitgrößter Handelspartner. Tags darauf ruderte erst Bolsonaro zurück, dann musste sich der Polterer Guedes öffentlich korrigieren. Der Ökonom, einst Schüler Milton Friedmans in Chicago, hat gewiss umfassende Erfahrung im Finanzwesen, jedoch keine im notorisch zähen politischen Betrieb in Brasília.”Das Zeitfenster für die neue Regierung ist limitiert”, sagte kürzlich der noch amtierende Finanzminister Eduardo Guarda. Kämen einschneidende Reformen nicht schnell zustande, drohe dem Land ein Rückfall in Rezession und soziale Krisen. Die aktuelle Situation sei schlicht “unhaltbar”.Das Budgetdefizit werde in diesem Jahr mehr als 8 % betragen, schätzen brasilianische Ökonomen, nur im Nachbarland Venezuela sind die Zahlen noch roter. Die Staatsverschuldung erreicht inzwischen 77,2 % der Gesamtwirtschaftsleistung, vor fünf Jahren umfasste sie 51,5 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Um eine Schuldenexplosion zu bremsen, muss die neue Regierung extreme Anstrengungen unternehmen, hat die Beratungsfirma von Affonso Celso Pastore errechnet, auch er ein vormaliger Präsident der Notenbank. Tatsächlich könne die Regierung nur über etwa 10 % der nicht für den Schuldendienst aufzuwenden Staatsausgaben frei verfügen, um zu sparen. Bislang verschlingt das Pensionssystem 44 %, Gehälter für Staatsdiener 22 %, 14 % gehen für weitere Pflichtausgaben drauf und etwa 10 % bekommt das öffentliche Bildungs- und Gesundheitssystem. Abbau des DefizitsUm, wie im Wahlkampf versprochen, das Defizit auszugleichen, müsste sich das Primärergebnis um 4 % verbessern, das heißt, aus dem derzeitigen Primärdefizit von 2 % müsste ein Überschuss werden. Um das zu erreichen, wäre eine Reduktion des Haushalts um 20 % vonnöten. Sollte das nicht über Einschnitte bei den Renten gelingen, müssten die anderen Budgetposten um 40 % sinken. In einem Land, in dem immer noch 13 Mill. Menschen Arbeit suchen, wäre ein solcher Einschnitt sozial kaum durchzusetzen. Superminister Guedes, der im Wahlkampf versprach, mithilfe von liberalen Reformen 10 Mill. neue Arbeitsplätze zu generieren, will eine Reihe staatlicher Unternehmen privatisieren, vom Geldhaus Banco do Brasil bis hin zum nationalen Primus Petrobras. “Das mag der Regierung helfen, um zeitweise Kasse zu machen”, schreibt A.C. Pastore & Associados. “Aber es kann nicht eine Revision der gesamten Staatsausgaben ersetzen.”Am 1. Januar tritt Bolsonaros Regierung ihre Arbeit offiziell an, das Parlament wird im Februar seine Sitzungen aufnehmen. Auf dem Weg dorthin gab Bolsonaro bereits mehrere Personalentscheidungen bekannt. Besonders Aufsehen erregte die Bestellung von Sérgio Moro. Der Richter aus Curitiba hatte die Ermittlungen des Petrobras-Skandals geführt und 2017 den Ex-Präsidenten Lula da Silva in erster Instanz verurteilt. Noch nicht im Amt musste der Korruptionsfachmann jedoch bereits eine Niederlage einstecken. Bolsonaro beschloss, die Kapitalmarktkontrolle aus dem Justiz- ins neue Superministerium zu verlegen – zu Paulo Guedes.Am Mittwoch präsentierte Bolsonaro via Twitter den neuen Außenminister: Eduardo Araujo, 51, leitete bislang das Nordamerika-Department im Außenministerium. Er gilt als Anhänger Donald Trumps und bezeichnete die linke Arbeiterpartei PT als “Partei der Terroristen”.Eine zentrale Personalie ist freilich noch offen. Wird Ilan Goldfajn, der seit zweieinhalb Jahren die Notenbank leitet, unter dem neuen Superminister weitermachen? Der vormalige CEO des Bankhauses Itaú gilt als die erfolgreichste Persönlichkeit der Ära Temer, unter ihm sank der Leitzins von über 13 % auf das Rekordtief von 6,5 %. Dort rangiert er, bedingt durch die weiterhin niedrige Inflationsrate von 4 % auch heute noch. Die Unabhängigkeit der Zentralbank war eines der Hauptversprechen von Paulo Guedes an die Finanzmärkte. Sie werden die Personalentscheidung an der Spitze der Notenbank ganz genau verfolgen.