Heimische Anleger meiden Aktien

„Broken Britain“ irritiert Anleger

Britische Anleger machen um heimische Aktien einen großen Bogen. Vermeintliche Gewinner des Regierungswechsels im Juli vergangenen Jahres haben unerwartete Probleme.

„Broken Britain“ irritiert Anleger

„Broken Britain“ irritiert Aktienanleger

Vermeintliche Gewinnerbranchen des Regierungswechsels im Juli vergangenen Jahres haben mit unerwarteten Problemen zu kämpfen

Von Andreas Hippin, London

Banken, Einzelhändler und Hausbaugesellschaften wurden im vergangenen Jahr als Gewinner des Regierungswechsels in Westminster gehandelt. Doch britische Anleger machen um heimische Aktien einen großen Bogen. Und den Branchen, die eigentlich gut laufen müssten, machen unvorhergesehene Probleme zu schaffen.

Die britische Schatzkanzlerin Rachel Reeves hat bei ihrem Spring Statement selbst das Bild vom „Broken Britain“ bemüht, als es um das reformbedürftige Sozialsystem ging. Es wird sonst meist von den Konservativen bemüht. Die fiskalpolitische Bestandsaufnahme sechs Monate nach ihrem Haushalt ging an den Finanzmärkten zwar weitgehend störungsfrei über die Bühne.

Doch der leichte Rückgang der Renditen britischer Staatsanleihen (Gilts) sollte nicht als Ausdruck größeren Vertrauens der Märkte in die Regierung gewertet werden. Für ihn dürften technische Faktoren verantwortlich gewesen sein, die sich auf das Tempo der Anleiheemissionen der staatlichen Schuldenagentur DMO beziehen. Der Aktienmarkt blieb ruhig. Marktteilnehmer spekulieren bereits, in welchem Maße Reeves bei der Vorlage ihres nächsten Haushalts im Oktober die Steuern erhöhen wird.

„Gefühl von Déjà-vu“

„Wir könnten uns in ein paar Monaten mit dem Gefühl von Déjà-vu wiederfinden“, sagte Neil Mehta, Portfoliomanager bei RBC Bluebay, „mit der Regierung, die versucht, neue Wege zu finden, Geld zu sparen oder hereinzubekommen, während sich die politischen und wirtschaftlichen Wahlmöglichkeiten weiter verringern.“

Britische Aktien haben selbst im Vereinigten Königreich nur noch wenig Freunde. Pensionsfonds wehren sich gegen Pläne der Regierung, ihnen eine Quote aufzuerlegen. Schließlich sind sie nicht den Zielen der Regierung, sondern den Nutznießern ihrer Altersvorsorgepläne verpflichtet. Daran dürfte sich auch nichts ändern, wenn die Pensionsfonds gewährten Steuervorteile als Druckmittel genutzt werden sollten.

Kleinanleger desinteressiert

Kleinanleger werden der Statistik der Investment Association zufolge nicht müde, auf heimische Dividendentitel fokussierte Fondsprodukte aus ihren Portfolios zu kehren. In neun der zwölf Monate per Ende Januar waren sie das Segment, das sich am schlechtesten verkaufte.

Im vergangenen Jahr wurden Banken, Einzelhändler und Hausbaugesellschaften als mögliche Gewinner des Regierungswechsels gehandelt. Doch nur Bankwerte wie Barclays, HSBC, Lloyds Banking Group und Standard Chartered verzeichneten wesentliche Kursgewinne, seit Keir Starmer in 10 Downing Street einzog.

Hohe Zinsen helfen Banken

Der Großteil dürfte dem Umstand geschuldet sein, dass die Zinsen länger als erwartet hoch geblieben sind. Den jüngsten Aussagen der Bank of England zufolge dürften sie es auch noch länger bleiben. Das ermöglicht den Instituten, die Sparern weiterhin jämmerliche Zinsen zahlen, hohe Margen im Einlagengeschäft.

Hausbaugesellschaften wie Barratt Redrow oder Taylor Wimpey machen die hohen Zinsen dagegen zu schaffen. Hinzu kommt, dass in „Broken Britain“ sowohl die Personalkosten als auch die Preise für Baumaterialien stark gestiegen sind. Und die Bemühungen der Regierung, Planungsverfahren zu vereinfachen, insbesondere für den Wohnungsbau, tragen bislang keine Früchte.

Vistry streicht Dividende

Der Beratungsgesellschaft Ceres Property zufolge ist der monatliche Output im Wohnungsbau seit Reeves’ Haushaltsvorlage Ende Oktober im Schnitt um 7,5% zurückgegangen. „Trotz einiger Ankündigungen zu Infrastrukturinvestitionen ist die allgemeine Sicht, dass Labour einfach nicht weit genug gegangen ist, um bedeutenderen Problemen wie den steigenden Materialkosten und Beschaffungsproblemen die Stirn zu bieten“, sagte Iain Halls, Partner bei Ceres Property.

Vistry (zuvor: Bovis Homes) strich den Anlegern gerade die Dividende. Die FTSE-250-Gesellschaft hatte im Schlussquartal drei Gewinnwarnungen abgesetzt, nachdem die Kosten aus dem Ruder gelaufen waren. CEO Greg Fitzgerald nannte die Probleme in einer Telefonkonferenz mit Analysten „einen guten Tritt in den Hintern, insbesondere für mich“. Nun stellt sich die Frage, wie das Unternehmen seine Wachstumsziele erreichen soll, wenn es gleichzeitig die Verschuldung reduzieren will.

Steigende Sozialabgaben

Traditionelle Einzelhändler wie J Sainsbury und andere personalintensive Branchen leiden darunter, dass Reeves nicht nur die Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung erhöht, sondern auch die Schwelle drastisch gesenkt hat, ab der Versicherungspflicht besteht. Hinzu kommt der steigende Lohn sowie die von Starmers Vize Angela Rayner vorangetriebene Ausweitung der Arbeitnehmerrechte.

Der Discounter B&M European Value Retail verwies unter anderem auf den ungewissen wirtschaftlichen Ausblick und mögliche negative Währungseffekte, als er Ende Februar die Gewinnprognose für das laufende Geschäftsjahr senkte. CEO Alex Russo kündigte an, das Amt zum Monatsende niederzulegen.

Rüstung im Fokus

Derzeit stehen in ganz Europa Rüstungswerte im Fokus. Das britische Verteidigungsministerium erhielt von Reeves 2,2 Mrd. Pfund zusätzlich, eine weitere „Anzahlung“ auf die Pläne, 2,5% des Bruttoinlandsprodukts für das Militär aufzuwenden. „Die zusätzlichen Verteidigungsausgaben werden von den Rüstungsfirmen sicher begrüßt“, sagte Susannah Streeter, Head of Money & Markets bei Hargreaves Lansdown.

„Doch es hat keine wesentlichen Kursbewegungen der großen Namen gegeben, denn viel vom Verteidigungsbudget ist für Seed-Investments, Start-ups und eine bessere Unterbringung der Soldaten vorgesehen“, fügte sie hinzu. Dennoch halte der Optimismus der Marktteilnehmer für die Branche an.

Qinetiq setzt Gewinnwarnung ab

Dabei läuft es nicht immer rund: Qinetiq rechnet wegen Auftragsverzögerungen und Gegenwind in den USA im laufenden Jahr mit weniger Wachstum. Die Sparanstrengungen der britischen Regierung belasten die Gesellschaft ebenfalls.

Ein Trend, der sich in diesem Jahr in „Broken Britain“ fortsetzen dürfte, ist die zunehmende M&A-Tätigkeit. Immer mehr börsennotierte britische Gesellschaften werden von ihren Käufern vom Kurszettel gestrichen. Angesichts der niedrigen Bewertungen an der London Stock Exchange ist das nicht verwunderlich. Der Ende Januar verkündete Einstieg des US-Bierbrauers Molson Coors beim britischen Limonadenproduzenten Fevertree Drinks löste prompt Übernahmefantasien aus.

Und wer nicht nach potenziellen Übernahmezielen suchen will, ist derzeit mit Cash recht gut bedient.