Chancen durch Indiens Erneuerbare
Von Alex Wehnert, Frankfurt
Die Hitzewelle, unter der Indien derzeit leidet, zieht schwere Folgen nach sich. Es herrscht Wassermangel, die Feuerwehr kämpft mit Großbränden, Ernteausfälle drohen. Seit Ende März werden allein im Bundesstaat Maharashtra 25 Todesfälle auf Hitzschlag zurückgeführt. In Pakistan warnen die Behörden aufgrund des schmelzenden Schnees im Hindukusch vor Überschwemmungen.
Diese Symptome des Klimawandels sind auch in Berlin zum Thema geworden. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) betonte im Rahmen des Besuchs von Premierminister Narendra Modi in Deutschland zu Beginn der Woche Indiens Schlüsselrolle für den Klimaschutz. Die Bundesrepublik und das südasiatische Land haben eine Kooperation bei der Zukunftstechnologie Wasserstoff vereinbart. Aufgrund der positiven Bedingungen für die Erzeugung erneuerbarer Energien könnte Indien laut dem Bundeswirtschaftsministerium ein wichtiger Standort für die Produktion von grünem H2 werden.
„Grüner Wasserstoff wird wohl zur nächsten großen Investmentgelegenheit“, prognostiziert Nandita Sahgal Tully, Managing Director für Infrastruktur-Assets beim Investmenthaus Thomas Lloyd. Für den Ausbau der Wasserstoffinfrastruktur sei zwar ein hoher Kapitaleinsatz nötig. Dennoch zeige sich bereits, wie erneuerbare Energien und Wasserstoffanwendungen zusammenspielen können. So werde Wind- und Solarstrom auf dem indischen Subkontinent zunehmend für die Elektrolyse, also die Aufspaltung von Wasser in H2 und Sauerstoff, genutzt.
Indien treibt den Ausbau erneuerbarer Energien durchaus aus Eigeninteresse voran. Denn für wenige Länder stellt die Erderwärmung ein so großes Wachstumsrisiko dar. Durch Schäden an der Infrastruktur und in der Landwirtschaft dürfte der Klimawandel laut Bloomberg Economics im Jahr 2050 Kosten im Volumen von mehr als 4% des indischen Bruttoinlandsprodukts verursachen.
Zielwert angekurbelt
„Auf der 21. UN-Klimakonferenz in Paris 2015 hatte sich Indien zum Ziel gesetzt, den Anteil erneuerbarer Energien an der heimischen Versorgung bis 2030 auf 40% zu steigern – ein Wert, der bereits im November 2021 erreicht war“, sagt Sahgal Tully. Auf der Klimakonferenz von Glasgow habe die Regierung den Zielwert auf 50% gesteigert, was Anfang des nächsten Jahrzehnts aufgrund des Bevölkerungswachstums und der fortschreitenden Urbanisierung einem Volumen von 500 Gigawatt entsprechen werde.
Auch im Zuge der aktuellen Hitzewelle ist der Stromverbrauch deutlich gestiegen. Über die Kohleverstromung, von der Indien zum jetzigen Zeitpunkt noch stark abhängig ist, lässt sich der hohe Bedarf häufig nicht mehr ausgleichen. Zuletzt kam es deshalb wiederholt zu Stromausfällen – obwohl die Energieerzeugung zuletzt wieder stark angezogen hat. Insbesondere Solarkraft gilt nun als Hoffnungstechnologie, um die steigende Nachfrage zu decken.
Für ausländische Marktteilnehmer sind Investitionen in Energieprojekte in Schwellenländern aufgrund der unvollständigen Datenlage zu den dortigen Unternehmen allerdings schwierig. Indes bieten global ausgerichtete Clean-Energy-ETFs kaum Möglichkeiten, gezielt in das Wachstum von Solarkraft in Südasien zu investieren. Einige Anbieter versuchen es daher mit pointierteren, aber auch riskanteren Angeboten: Thomas Lloyd legt beispielsweise Private-Equity-Vehikel auf, über die sich das Investmenthaus direkt an Solar- und Windprojekten beteiligt. „Wir investieren zum Beispiel in eine indische Solarplattform mit sieben Kraftwerken. So kommt das kleinste auf eine Kapazität von 12 Megawatt, das größte aber bereits auf 200 Megawatt“, sagt Sahgal Tully.
Infolge der Pandemie betrachteten die Marktteilnehmer die Lieferketten genauer. Solarmodule würden vor allem in China hergestellt. „Die indische Regierung hat es sich zum Ziel gesetzt, unabhängiger von Lieferungen aus China zu werden“, führt Sahgal Tully aus. Um die Produktionskapazität zu erhöhen, habe Indien große Teile der Corona-Hilfspakete für den Ausbau erneuerbarer Energien eingesetzt. Die Kapazitäten entstünden aber nicht über Nacht, sondern gingen nach zwei bis vier Jahren ans Netz. „Im laufenden beziehungsweise kommenden Jahr wird der Ausbau also erste Wirkungen zeigen“, prognostiziert Sahgal Tully. Außerdem dürften Schwankungen des Ölpreises aufgrund kürzerer Transportrouten weniger Einfluss auf Solarinvestments haben.
Im Bereich der erneuerbaren Energien stelle sich trotzdem noch die Frage der Grundlastfähigkeit, da die Speichermöglichkeiten für eine dauerhafte Versorgung nicht ausreichten. „Für Speicherlösungen besteht durchaus großes Entwicklungspotenzial; bislang allerdings werden die Anwendungen aber in keiner Weltregion wirklich skaliert“, betont Sahgal Tully. Die Kosten für groß angelegte Speicherlösungen fielen noch extrem hoch aus. Bis solche Anwendungen sich rechneten, werde es noch einige Jahre dauern.
Eine bereits bestehende Lösung sei eine Zusammenlegung von Grundlast- und Spitzenlastanlagen. „Auf den Philippinen haben wir an drei verschiedenen Standorten in Solarprojekte investiert, die in direkter Nachbarschaft von durch Zuckerrohrbagasse gespeisten Biomasse-Kraftwerken angesiedelt sind“, erklärt Sahgal Tully. Die Solarenergie könne tagsüber genutzt werden, am späten Nachmittag starte die Versorgung über Biomasse.