Wachstum

China dürfte kaum zum Sprung ansetzen

Auch wenn dies das Jahr des Tigers ist, sprechen viele Gründe dagegen, dass China zum Sprung ansetzen wird. Das Land muss mit vielen Problemen zurecht kommen.

China dürfte kaum zum Sprung ansetzen

Für China zeichnet sich ein durchwachsenes Bild ab: Die Geldpolitik wird zwar lockerer, aber neue Coronavirus-Varianten und die anhaltende Inflation bleiben Hauptrisiken. Daher fragen Investoren sich, ob China im Jahr des Tigers wieder an seine Erfolge der vergangenen Jahre anknüpfen kann.

Einige Dinge zeichnen sich bereits ab: Der Konsumanstieg wird in den nächsten zehn Jahren ein wichtiger Wachstumsmotor für China bleiben. Der Pro-Kopf-Konsum wird strukturell steigen – von Milchprodukten über Haushaltsgeräte und Versicherungen bis hin zu Sportbekleidung. Die Beliebtheit einheimischer Marken wird weiter steigen. Begünstigt wird dies zum einen durch geopolitische Spannungen, zum anderen durch Reisebeschränkungen ins Ausland. Aus politischer Sicht werden die Konflikte zwischen China und den USA wahrscheinlich weitergehen, sei es in Bezug auf Exporte und Handel oder andere geopolitische Themen. Die hitzige Rhetorik zwischen den USA und China dürfte hauptsächlich die Stimmung an den Märkten beeinflussen, jedoch keine großen Auswirkungen auf die Wirtschaft haben. Denn Chinas Konjunktur ist nach wie vor binnenwirtschaftlich geprägt, Exporte tragen nur etwa ein Viertel zum Wachstum des BIP bei. Und die Exportzahlen übertreffen weiterhin die Erwartungen bzw. erreichen neue Höchststände.  

Auf dem Markt für A-Aktien – d.h. für an den Festlandbörsen Schanghai und Shenzhen gelistete Werte – erwarten wir nach den pandemiebedingten Ereignissen der vergangenen zwei Jahre eine allmähliche Normalisierung. Im Gegensatz zu den USA, Europa und Japan hat China seine Geldpolitik über mehrere Jahre hinweg gestrafft. Damit besitzt die People’s Bank of China nun mehr Spielraum, um sie zu lockern und so die Wirtschaft zu stützen. Im vergangenen Jahr trat die Politik der „drei roten Linien“ in Kraft, die Grenzen für die Kreditaufnahme von Unternehmen festlegt. Diese führte dazu, dass überschuldete Bauträger wie Evergrande ihre Anleihen nicht mehr bedienen konnten und bestimmte Projekte stoppen mussten.

China muss in geldpolitischen Fragen das übergeordnete Ziel, die Inflation auf der Angebotsseite zu bremsen, in Einklang bringen mit einer sich verlangsamenden Wirtschaft, einer alternden Bevölkerung und einer schlechten Stimmung im Immobiliensektor. Die politischen Entscheidungsträger haben begonnen, einige Maßnahmen rückgängig zu machen, als die Ansteckungsgefahr so groß erschien, dass sie sich nicht mehr ignorieren ließ. Die Senkungen des Mindestreservesatzes und des Leitzinses für Kredite signalisieren, dass Peking bereit ist, gewisse Puffer zu schaffen. Wegen der andernorts steigenden Zinsen könnte China für globale Investoren attraktiver werden, da die Regierung sich wachstumsfreundlicher verhält. Weitere politische Maßnahmen dürften folgen. Aber die Regierung wird vorsichtig bleiben und mit Augenmaß agieren, um das Ziel der Geldwertstabilität nicht zu gefährden. Medienberichten zufolge planen die politischen Entscheidungsträger eine Lockerung der Politik der drei roten Linien. Schulden, die durch den Erwerb notleidender Vermögenswerte entstanden sind, sollen davon ausgenommen werden. Dies dürfte die Konsolidierung der Indus­trie fördern.

Strukturelle Verlangsamung

China muss mit vielen Problemen zurechtkommen, mit denen auch zahlreiche andere Länder zu kämpfen haben. Dazu zählen wachsende Wohlstandsunterschiede, eine altern­de Bevölkerung mit niedrigen Geburtenraten und der Klimawandel. Die jüngsten Reformen werden wahrscheinlich dauerhafte Folgen haben. Das chinesische Wirtschaftswachstum könnte sich trotz des zunehmenden Wohlstands der Bevölkerung strukturell weiter verlangsamen. Gleichzeitig bleibt China mit einem durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommen von 10000 bis 11000 US-Dollar ein vergleichsweise armes Land.  Das Ausmaß des Immobilienmarktes ist nicht nachhaltig. Gleichzeitig führt die investitionsgetriebene Wirtschaft bereits zu einer wesentlich geringeren Kapitalproduktivität, geringerem Wachstum und niedrigeren Renditen. Einige der Reformen Chinas sind vernünftige Reaktionen auf diese Beobachtungen. Doch die Wirtschaft umzustellen von Investitionen in Immobilien und Infrastruktur auf Konsum dürfte sich als schwierig erweisen. Denn dies würde höhere Löhne erfordern, die wiederum das Exportwachstum untergraben würden. Auch aus politischen und Stabilitätsgründen ist es unerlässlich, dass der Immobilienmarkt nicht zusammenbricht.  

„Gemeinsamer Wohlstand“ ist der neue Name für die dementsprechende Neuausrichtung Chinas. Sie ist Teil der Lösung und geht einher mit einer erzwungenen Umverteilung weg von den Internetunternehmen, der Schließung der privaten Nachhilfeindustrie, hohen „Geldstrafen“ und noch höheren „Spenden“ für eine Reihe von Unternehmen. Es ist unwahrscheinlich, dass diese Maßnahmen in naher Zukunft zu einer signifikanten Veränderung führen werden. In der Zwischenzeit dürfte sich dies eindeutig negativ auf Renditen und Wachstum auswirken, insbesondere im privaten Sektor. Angesichts dieser Gemengelage wäre ein „Durchwursteln“ ein gutes Ergebnis, und es scheint im Sinne der historischen Wirtschaftsentwicklung Chinas recht wahrscheinlich. Zum Sprung dürfte Chinas Wirtschaft in einem solchen Umfeld aber kaum ansetzen – auch wenn dies das Jahr des Tigers ist.

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