Michael Jantzi

„Das Momentum ist nicht mehr zu stoppen“

Michael Jantzi, der Gründer und CEO von Sustainalytics, über Geschwindigkeit von Sustainable Finance, die Übergangsphase in eine saubere Welt und einheitliche Reporting-Standards für Firmen.

„Das Momentum ist nicht mehr zu stoppen“

Kai Johannsen.

Herr Jantzi, was sind Ihre persönlichen Lehren, die Sie aus der Covid-19-Krise ziehen?

Die Menschen können sich verändern, wenn sie es müssen. Es scheint oftmals sehr schwer zu sein, dass Menschen ihr Verhalten ändern, aber wenn sie es in einer Krise müssen, zeigte die Krise eben auch, dass es geht. Und die Menschen stellen unter Beweis, dass sie sehr belastbar und widerstandsfähig sind. Aber was ich auch gelernt habe, ist, dass diese Veränderung nicht einfach eine gerade Linie ist, sondern es Auf und Abs gibt. Und je mehr wir aus diesen Restriktionen der Krise herauskommen, desto mehr hoffe ich auch darauf, dass wir Veränderungen sehen: weniger Reisen, weniger CO2-Emissionen, mehr Nachhaltigkeit. Ich setze sehr darauf, dass, je mehr wir zur Normalität zurückkehren, wir auch mehr Sustainability sehen werden.

Was bedeutet denn diese Normalität?

Genau diese Frage ist meine größte Lehre: Was bedeutet unsere neue Normalität? Denn „Normal“ hat doch für viele Menschen in dieser Welt in der Krise einfach nicht mehr funktioniert. Viele Menschen wie Sie und ich konnten das, was sie tun, von zu Hause aus weiterhin tun. Wir erledigten unsere Arbeit, und wir wurden weiter genauso wie vorher dafür bezahlt. Es gab ein paar Einschränkungen, aber wir haben einfach weitergemacht. Aber es gab andere, die sehr verletzbar waren, etwa im Service-Sektor wie Restaurants et cetera. Viele von ihnen haben ihre Arbeitsplätze verloren. Es waren vielfach eben auch gerade die Jobs, die nicht so anerkannt sind oder nicht so stark von der Gesellschaft honoriert werden. Das sind aber sehr wichtige Arbeitsplätze. Die Krise hat uns allen diese Ungleichheit vor Augen geführt. Sie hat gezeigt: Normalität funktioniert nicht zu jeder Zeit für alle. Vieles ist für viele Menschen sehr unfair verlaufen. Und das zeigt auch, dass unsere Arbeit am Thema Sustainability so wichtig ist.

Und was sind die Lehren, die Sie aus Sicht Ihres Unternehmens Sustainalytics gezogen haben?

Die Krise hat uns allen gezeigt, dass die Themen Sustainable Investing, Responsible Investing, ESG et cetera ein Momentum erreicht haben, das nicht mehr zu stoppen ist. Die Aspekte Environment, Social und Governance haben überall in der Welt enorm an Fahrt aufgenommen. Responsible Investing hat in der Krise nicht nur seine Widerstandsfähigkeit unter Beweis gestellt, sondern der gesamte Prozess hat nochmals an Intensität gewonnen: Es ist noch größer geworden. Es hat sich auch gezeigt, dass Investorenkreise hinzugekommen sind, die vorher eben nicht Teil dieser Wachstumsstory gewesen sind. Sustainable Investing war eine Entwicklung, die vor der Krise im Wesentlichen von institutionellen Anlegern getrieben war, wie etwa Pensionsfonds, Assetmanagern et cetera. In der Krise haben aber gerade die Retailanleger einen enormen Zuspruch zu nachhaltigen Geldanlagen gezeigt. Das haben wir bei Sustainalytics sehr stark registriert, und das sehen wir auch an den Zuflüssen zu entsprechenden Geldanlagen oder Fonds, und zwar praktisch jedes Quartal.

Gibt es noch andere Erkenntnisse?

Ja, und zwar in Bezug auf die Unternehmenskulturen. Das ist offensichtlich in vielen Firmen noch nicht weit genug gereift. Nachhaltigkeit wird bei uns natürlich sehr groß geschrieben, und das motiviert die Mitarbeiter auch. Aber in vielen anderen Unternehmen ist das in der Unternehmenskultur noch nicht in diesem Ausmaß angekommen. Es geht darum, dass sich die Menschen auch im Arbeitsalltag umeinander kümmern. Das macht Firmen dann auch widerstandsfähiger beziehungsweise belastbarer. Es geht darum, die Belegschaft durch die unterschiedlichsten Programme auch zu unterstützen. Die Krise hat auch gezeigt, dass ein Unternehmen eine starke Mission braucht, die die Menschen antreibt. Das ist unverzichtbar.

Was sind die Wachstumstreiber für grüne, soziale und nachhaltige sowie nachhaltigkeitsgebundene Anleihen oder Kredite?

Wir haben dafür eine Redewendung: Notwendigkeit ist die Mutter der Erfindung. Die Sustainability-Welt und mit ihr die regulatorischen Vorgaben zwingen Unternehmen dazu, sich ihre Geschäftsmodelle in Sachen Nachhaltigkeit anzusehen. Wir haben das Pariser Klimaabkommen, den Green Deal der EU et cetera, und dieses regulatorische Umfeld führt dazu, dass die Verantwortlichen in den Unternehmen verstärkt ihre unternehmensinternen Prozesse und Modelle einer kritischen Begutachtung unterziehen müssen. Und sie müssen diese Prozesse optimieren oder eben auch transformieren. Und dafür müssen sie dann auch die Finanzierungen über entsprechende Bonds wie Green Bonds angehen. Aus der Notwendigkeit leitet sich gleichermaßen auch eine Opportunität ab.

Welche Rolle haben die Investoren?

Viele Investoren rund um den Globus finanzieren genau diesen Übergang zu einer nachhaltigen Welt. Sie haben nicht nur die Kapazität, diese Gelder in grüne, nachhaltige und damit innovative Verwendungen bei Unternehmen zu lenken, sondern auch den Willen und die Motivation, genau das zu tun. Es gibt also Unternehmen, die genau solche Gelder brauchen, und es gibt eine Investorenschar, die genau zu dieser Finanzierung bereit ist.

Sind noch andere Faktoren zu berücksichtigen?

Der Erfolg an sich ist natürlich auch ein Antriebsfaktor. Wir sehen sehr viele Innovationen in diesen Bereichen. Wenn Unternehmen sehen, dass ihre Wettbewerber sehr erfolgreich Innovationen auf die Beine stellen und das auch gut finanziert bekommen, dann gucken sie natürlich auch noch ein zweites Mal hin, was es an Opportunitäten gibt. Und dann stellen sie auch fest, dass sie auf einmal an Investorenkontakte kommen, die sie vorher gar nicht hatten. Die Investoren wiederum können umgekehrt ihre Portfolios durch neue Unternehmen, denen sie Finanzierungen bereitstellen, diversifizieren. Und sie können in neue Bereiche investieren, wo sie einen Impact erreichen können. Es ist eine Win-win-Situation.

Was sind die Hauptkategorien, die über grüne, soziale und nachhaltige Anleihen finanziert werden, und glauben Sie, dass sich das in Zukunft ändern wird? Und wenn sich etwas ändert, was wird sich denn womöglich ändern?

In der Übergangsphase geht es viel darum, Finanzierungen für eine kohlenstoffarme Wirtschaft bereitzustellen. Es geht um die Finanzierung von erneuerbaren Energien, grünen Gebäuden, Energieeffizienz et cetera. Bei den sozialen Anleihen geht es viel darum, die Nachhaltigkeitsziele der UN zu adressieren. Da geht es um Gesundheitsversorgung, Ausbildung, finanzielle Inklusion, sozioökonomische Aspekte et cetera. Aus Investorensicht ist der Fokus in der Vergangenheit eher etwas eingeschränkt gewesen. Es konzentrierte sich doch recht viel auf saubere Energien et cetera. Aber das wird sich wohl ändern müssen.

Das heißt konkret?

Gerade in der Übergangsphase müssen wir uns sehr viel mehr mit den nicht ganz so sauberen Aspekten in den Unternehmen auseinandersetzen, also braunen Assets. Transition Finance wird innerhalb dieses Marktes das zentrale Thema werden in den kommenden Jahren. Und genau darauf steuern wir auch gerade zu. Wir fangen nämlich gerade an, die eher etwas brauneren Sektoren mittels dieser Instrumente zu finanzieren. Es ging bislang viel darum, die Erlöse einer Anleihe sehr konkreten Zwecken oder Projekten zuzuführen, bei Sustainability-Linked Bonds geht es nun eben darum, bestimmte Ziele oder Zielerreichungsgrade zu finanzieren. Es geht auch darum, das ESG-Ranking eines Unternehmens zu steuern und damit über solche Bonds zu finanzieren. Transition Finance müssen wir auch ein Stück weit wörtlich nehmen: Es geht um die Finanzierung des Übergangs zu einer sauberen Welt. Und dieser Teil des Marktes wird in den kommenden Jahren stark wachsen.

Wie sieht es mit der geografischen Diversifikation und der nach Emittenten und Instrumentarten aus, und wie wird sich das womöglich in den kommenden fünf bis zehn Jahren verändern?

Dieser Markt wächst so rasant. In den vergangenen 30 Jahren meiner beruflichen Laufbahn habe ich keinen anderen Bereich erlebt, der sich so schnell entwickelt hat und so innovativ gewesen ist. Es ist schon schwer genug zu prognostizieren, wo wir im Bereich Sustainability in fünf Monaten stehen werden. Fünf Jahre sind demzufolge gar nicht absehbar. Von den ganzen Standardinstrumenten, die wir heute haben, werden wir in Zukunft auch ein grünes beziehungsweise soziales Pendant sehen. Sustainability wird uns an den Finanzmärkten und ihren Instrumenten in Bereiche bringen, die heute noch gar nicht existieren. Hier wird noch sehr viel Kreativität freigesetzt. Grüne, soziale und nachhaltige Anleihen werden ein sehr robustes Wachstum zeigen. Unternehmen, Emittenten und Investoren springen noch stärker auf diesen Zug auf. Adressen aus den USA waren im vorigen Jahr die größten Emittenten von Green Bonds. Wir stellen das aber weltweit fest. Bond-Emissionen in diesen Bereichen ziehen überall an, und vieles davon wird über die regulatorischen Vorgaben ausgelöst. Es gibt zudem auch andere Anreize.

Welche sind das?

Unter den Finanzplätzen ist ein Wettbewerb entbrannt, wer der grünste Finanzplatz ist. Auch das treibt diesen Bereich immer weiter an. So kämpfen Hongkong und Singapur darum, wer das Nachhaltigkeitszentrum von Asien ist. Und das sehen wir auch in Europa. Und auch die geografische Diversifikation wird weitergehen. In den kommenden fünf Jahren werden wir mehr und mehr Emittenten aus unterschiedlichen Regionen sehen. Ein Bereich, der dabei stark wachsen wird, ist Lateinamerika. Und auch aus Afrika und dem Nahen Osten werden wir mehr Emissionen, das heißt neue Emittenten sehen. Gerade grüne und nachhaltige Anleihen werden das Thema Sustainability in den kommenden Jahren sehr stark voranbringen.

Was ist für Sie der zentrale Punkt in der Entwicklung des Sustainability-Marktes in den nächsten Jahren?

Es ist der Bereich Transition Finance, der uns alle sehr stark beschäftigen wird und den Markt voranbringen wird. Da bin ich mir sicher. Wir werden viele Finanzierungen neuer Bereiche sehen, die wir heute noch gar nicht abschätzen können.

Die Methodologien, die Nachhaltigkeitsratingagenturen verwenden, sind unterschiedlich, und deshalb sind auch die Ergebnisse – also die Ratings – unterschiedlich. Sollte man über eine Adjustierung dieser Metrics nachdenken, oder sollten Investoren und Emittenten auf verschiedene Nachhaltigkeitsratings mit unterschiedlichen Metrics setzen? Was ist Ihr Rat?

Es ist ein Zeichen von Stärke, wenn man es mit einem hohen Grad an Vielfalt im Markt zu tun hat. Man sollte es nicht nur mit einer Methodologie oder gar einer Nachhaltigkeitsratingagentur zu tun haben. Stärke resultiert aus der Vielzahl von Meinungen. Die Nachhaltigkeitsratingagenturen haben wirklich sehr unterschiedliche Ansätze in der Beurteilung von Sachverhalten. Und deshalb gibt es auch unterschiedliche Ergebnisse, das heißt Ratings. Wir sind bei Sustainalytics zum Beispiel sehr stark auf Risikofaktoren konzentriert. Andere sind eher auf Impact konzentriert, weshalb man es dann auch mit unterschiedlichen Ratings zu tun hat. Die Marktteilnehmer können dann letztlich doch selbst entscheiden, worauf sie eher abzielen wollen, und ihre Anlageentscheidungen entsprechend danach ausrichten.

Gibt es Aspekte, wo eine Angleichung sinnvoll ist?

Ja, die gibt es. Wo wir wirklich eine übergeordnete Angleichung erreichen sollten, ist bei den globalen Reporting-Standards für die Unternehmen. Was für den Markt sehr wichtig ist, sind einheitliche Offenlegungen seitens der Unternehmen. Hier gibt es ohne Fragen noch Lücken zu schließen, das heißt, wir müssen dafür globale Standards schaffen. Aber ich bin mir sicher, dass wir auf diesem Weg erfolgreich sein werden. Es ist keine Frage, ob das kommen wird, sondern nur wann.

Fürchten Sie einen Greenwashing-Skandal? Und was tun Sie bei Sustainalytics dafür, um einen solchen Skandal zu vermeiden oder das Risiko zu minimieren? Was ist Ihr diesbezüglicher Rat an Investoren?

Wir haben es hier mit einem sehr stark wachsenden Markt zu tun. Viele neue Emittenten kommen in den Markt, viele neue Investoren ebenfalls. Da besteht immer ein gewisses Risiko, dass auch mal etwas nicht so läuft, wie es sich alle vorstellen oder wünschen. Hier haben auch die regulatorischen Stellen ihre Rolle richtig auszufüllen. Hier gibt es den EU Sustainable Finance Action Plan, der so etwas adressiert. Da kommt dann auch das Reporting der Unternehmen wiederum ins Spiel. Es geht aber auch um das Reporting entsprechend ausgerichteter Investmentfonds. Diese Reporting-Rahmenwerke müssen uns in Zukunft dabei helfen, solches Greenwashing zu vermeiden.

Und Ihr Beitrag als Ratingagentur?

Als Ratingagentur unterstützen wir Investoren, einen klaren Überblick über das Unternehmen in grünen und nachhaltigen Fragen zu bekommen. Wir stellen dar, was das Exposure des Unternehmens ist, wo Risiken im grünen und sozialen Bereich liegen. Und wir highlighten, wie gut das Unternehmen selbst wiederum positioniert ist, um genau solche Risiken zu adressieren und zu managen. Wir sind beispielsweise der größte Second-Party-Opinion-Provider bei grünen und sozialen Bonds weltweit. Das zeigt, dass wir unsere Rolle sehr ernst nehmen. Und das ist auch ein Schutz gegen Greenwashing.

Das Interview führte

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