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Der September ist der schlechteste Börsenmonat

Saisonal, zyklisch und charttechnisch stehen die internationalen Aktienmärkte vor herausfordernden Wochen.

Der September ist der schlechteste Börsenmonat

Von Jörg Scherer *)

Das erste Halbjahr 2022 war an den internationalen Aktienmärkten das schwächste seit den 1970er Jahren. Auf diese schwierige Marktphase folgte im Juli und Anfang August eine dynamische temporäre Erholung, ehe die Börsen Mitte August wieder den Rückwärtsgang eingelegten. Damit treibt Anlegerinnen und Anleger derzeit vor allem eine Frage um: Handelt es sich bei der beschriebenen Sommererholung lediglich um eine Bärenmarktrally, und die Aktienmärkte sind nun bereits wieder in den Baissemodus übergegangen? Wir nähern uns der Problemstellung im Folgenden aus saisonalen, zyklischen und charttechnischen Blickwinkeln.

Historisch betrachtet, handelt es sich beim September um den schwächsten Börsenmonat des Jahres. So musste der Dax beispielsweise seit 1988 in 20 von 33 Jahren in diesem Monat Kursverluste hinnehmen. Das heißt, in lediglich knapp 40% aller Fälle konnten die deutschen Standardwerte in den kommenden vier Wochen zulegen. Auch in der jüngeren Vergangenheit fällt die Bilanz bescheiden aus: In fünf der letzten sieben Jahre musste das Aktienbarometer im September Kursverluste verkraften.

Zweistellige Korrekturen

Unter Risikogesichtspunkten möchten wir noch einen anderen Aspekt hervorheben. Wenn im September etwas schiefgeht, dann geht es häufig richtig schief. Zweistellige Kurskorrekturen waren im Spätsommer/Frühherbst beim Dax in den letzten gut 30 Jahren keine Seltenheit. Einige historische Ereignisse bzw. Schocks – wie z. B. die Anschläge vom 11. September – fallen in diesen Schreckensmonat, so dass die Rückschläge seit 1988 oftmals deutlich größer ausfallen als die Zugewinne im positiven Fall. Am eindrucksvollsten ist unter Money-Management-Aspekten aber vermutlich die folgende Auswertung: Wenn Investoren seit 1988 ausschließlich im September in den deutschen Standardwerten investiert gewesen wären, dann stünde nach mehr als 30 Jahren inzwischen ein Kursabschlag von mehr als 50% zu Buche. In der Konsequenz weisen die kommenden vier Wochen kein attraktives Chance-Risiko-Verhältnis auf.

Abseits der rein saisonalen Betrachtung ziehen wir bei unseren Analysen als zusätzliche Orientierungshilfe den Dekaden- bzw. den US-Präsidentschaftszyklus heran. Konkret analysieren wir den typischen Verlauf des Dow Jones in sogenannten „2er Jahren“ – also das durchschnittliche Ablaufmuster der Jahre 1902, 1912, 1922 … bis 2012 – bzw. das typische Verlaufsmuster aller „US-Zwischenwahljahre“ seit 1897. Die beiden bekanntesten Zyklen überhaupt legen ebenfalls einen herausfordernden September nahe. In der Vergangenheit betrugen die durchschnittlichen Verluste in den kommenden Wochen jeweils rund 2,5% – inklusive der Ausprägung eines zyklischen Tiefpunktes per Ende September/Anfang Oktober. Be­son­ders bemerkenswert ist im Jahr 2022 der hohe Gleichlauf zwischen dem Dekaden- und dem US-Präsidentschaftszyklus. Neben den saisonalen liegen also derzeit auch zyklische Risikofaktoren vor, die unter dem Strich auf eine schwierige Börsenphase hindeuten.

Die oberste Wahrheit

Aus charttechnischer Sicht passt diese Einschätzung zum jüngsten Scheitern des Dow Jones an der Widerstandszone aus dem Ab­wärtstrend seit Jahresbeginn und der 50-Tages-Linie (aktuell bei 33704/33909 Punkten). Abgerundet wird das hier entstehende Barrierenbündel durch das 61,8-%-Fibonacci-Retracement der gesamten Abwärtsbewegung im bisherigen Jahresverlauf (34164 Punkte). Ein Sprung über diese Hürden ist nötig, um eine Konsolidierungsflagge entstehen zu lassen und den amerikanischen Standardwerten damit einen positiven „Dreh“ zu geben. Doch das Positivszenario hat das Aktienbarometer erst einmal auf die lange Bank geschoben. Vielmehr bestätigen zwei negative Candlestick-Muster den seit Jahresbeginn bestehenden Baissetrend. Per saldo ist damit die Gefahr einer Belastungsprobe der Haltezone aus der 200-Wochen-Linie (aktuell bei 29668 Punkten), dem bisherigen Jahrestief (29653 Punkte) und der untere Abwärtstrendkanalbegrenzung (aktuell bei 23389 Punkten) absolut real.

Verhaltene Aussichten

Beim Dax lief die Sommererholung exakt im Bereich des Kreuzwiderstands aus den alten Ausbruchsmarken bei rund 13800 Punkten und dem zu Jahresbeginn etablierten Abwärtstrend (aktuell bei 13838 Punkten) aus. Ein Sprung über diese Hürden ist die zwingende Ausgangsvoraussetzung, um dem Index aus strategischer Sicht wieder in die Erfolgsspur zu verhelfen. Doch das ist (zunächst) Zukunftsmusik. Vielmehr gilt es auf der Unterseite, die bisherigen Jahrestiefs bei 12400 Punkten zu verteidigen. Ansonsten wäre bei den deutschen Standardwerten nicht nur die Hoffnung auf Ausprägung eines Doppelbodens dahin, sondern dann müsste die Kursentwicklung des Jahres 2022 zudem als absteigendes Dreieck interpretiert werden. Die Relevanz dieses Signalgebers wird noch zusätzlich durch das alte Hoch vom Juni 2015 (12391 Punkte) untermauert. Bei einem Bruch dieser Bastion steckt das Tief vom Oktober 2020 (11450 Punkte) den nächsten Rückzugsbereich ab. Fazit: Saisonal, zyklisch und charttechnisch stehen die internationalen Aktienmärkte vor herausfordernden Wochen.

*) Jörg Scherer ist Leiter Technische Analyse bei HSBC Deutschland.