Joe Little

„Die Anleger müssen etwas vorsichtiger sein“

Im Interview der Börsen-Zeitung erläutert Joe Little, Global Chief Strategist von HSBC Asset Management, seine Aussichten für die Aktienmärkte und die anderen Finanzmärkte.

„Die Anleger müssen etwas vorsichtiger sein“

Dieter Kuckelkorn.

Herr Little, wie beurteilen Sie mit Blick auf die Perspektiven für Anleger die globale konjunkturelle Lage?

Die Erholung nach der Covid-19-Pandemie erreicht derzeit ihren Höhepunkt, was das Tempo der Erholung betrifft. Eine ganze Reihe von Volkswirtschaften vor allem aus den entwickelten Ländern, angeführt von den USA und auch von China, sind nun in der nächsten Phase angekommen, nämlich nach der Erholungsphase nun in der Expansionsphase in der Mitte des Konjunkturzyklus. Die europäischen Volkswirtschaften, also die Eurozone und Großbritannien, hinken ein wenig hinterher, aber nicht allzu sehr. Wir erwarten also für die kommenden Quartale eine Phase, in der Regionen wie die Eurozone und Japan gegenüber den derzeit führenden Volkswirtschaften aufholen.

Wodurch zeichnet sich die nun kommende Expansionsphase aus?

Nun, die Expansionsphase weist gegenüber der vorhergehenden Erholungsphase einige bedeutende Unterschiede auf. Wir werden beispielsweise eine gewisse Normalisierung von Geld- und Fiskalpolitik sehen, was allerdings einige Zeit in Anspruch nehmen wird. In dieser Phase wird das Wachstum weiterhin über dem langfristigen Trend liegen, die Arbeitsmärkte werden sich erholen. Allerdings werden wir ein etwas verlangsamtes Wachstumstempo sehen.

Gilt das auch für die Emerging Markets?

Die Emerging Markets befinden sich in einer anderen Situation. Ihre Konjunkturentwicklung wird gehemmt durch die schlechtere Verfügbarkeit von Covid-19-Impfstoffen und durch die Dynamik der Pandemie. In den Schwellenländern gibt es zudem deutlich weniger Spielraum für die Fiskal- und die Geldpolitik, was die Erholung verlangsamt. Insofern gibt es eine Erholung mit zwei Geschwindigkeiten, eine rasante Entwicklung in den Industrieländern und eine langsamere in den Emerging Markets.

Was erwarten Sie hinsichtlich der Inflationsentwicklung?

Wir rechnen damit, dass in dieser Hinsicht kurzfristig viel Volatilität zu beobachten sein wird. Es gibt eine Reihe von inflationstreibenden Faktoren im Zusammenhang mit der Wiedereröffnung der Volkswirtschaften und dem Anstieg der Rohstoffpreise. Diese Faktoren zusammen mit den Basiseffekten werden ihre Spuren in den Inflationszahlen hinterlassen. Anfang kommenden Jahres wird aber wohl diese Phase volatiler Inflation auch schon wieder vorüber sein. Wir gehen davon aus, dass die Geldentwertung mittelfristig unter Kontrolle bleiben wird. Dabei sollte man aber nicht übersehen, dass es durchaus Risiken gibt, vor allem in den USA und auch in einigen Emerging Markets.

Was bedeutet das für die großen Notenbanken? Teilen Sie die Ansicht, dass es noch recht lange dauern wird, bis es zu einer nennenswerten Normalisierung der Geldpolitik kommt?

Davon gehen wir aus. Die großen Notenbanken sind sehr darauf fokussiert, auch weiterhin die Konjunkturerholung zu unterstützen. In den USA und den hoch industrialisierten asiatischen Ländern hat das Bruttoinlandsprodukt bereits wieder das Niveau von vor der Krise erreicht und für die Eurozone sowie Großbritannien ist bald damit zu rechnen. Es gibt aber nach wie vor die Lücke zwischen der gegenwärtigen Konjunkturentwicklung und dem langfristigen Expansionspfad von vor der Krise. Und nach wie vor ist die Frage offen, wie wir die Arbeitsmärkte wieder auf das Niveau von vor dem Beginn der Pandemie bekommen können. Das beschreibt in etwa, was in den Notenbanken derzeit diskutiert wird.

Was bedeutet das konkret?

Das bedeutet unter anderem, dass die Notenbanken ihre Asset-Käufe fortsetzen. Das bedeutet auch, dass die Zinssätze länger niedrig bleiben werden. Insbesondere die US-Volkswirtschaft macht zwar Fortschritte, die Fed wartet jedoch auf stärkere Hinweise, dass der Arbeitsmarkt vorankommt, bevor sie darüber nachdenkt, mit dem Tapering zu beginnen. Wir erwarten, dass die US-Notenbank 2023 mit ersten Zinsschritten beginnen wird. Mit Blick auf die Politik der Fed, das heißt bezogen auf die kurzfristigen Zinssätze, halten wir ein Szenario für unwahrscheinlich, dass die Zinsen wieder auf 2 bis 2,5% oder höher steigen. Die langfristigen Anleiherenditen können jedoch höher ausfallen.

Was ist für die Europäische Zentralbank zu erwarten?

Die Europäische Zentralbank wird später agieren als die Fed, sie wird zunächst abwarten, was die US-Notenbank unternimmt. Besonders interessant könnte sein, wie sich die Bank von England positioniert. In Großbritannien gibt es stets ein gewisses Inflationsproblem, dort war die Inflation in den vergangenen Jahren nicht so niedrig wie in den USA oder der Eurozone. Daher gibt es in Großbritannien weniger Rechtfertigung dafür, quasi versäumte Inflation nachzuholen. Daher könnte die Bank von England die Zinsen früher anheben als andere Notenbanken.

Wie wird sich die Fiskalpolitik entwickeln?

Nun, 2022 wird der fiskalische Impuls nachlassen, auch wenn die Fiskalpolitik weiterhin unterstützend bleiben wird. Allerdings werden die Aktivitäten der Regierungen in dieser Hinsicht abnehmen. Das kann gewisse Abbremseffekte auslösen. Es handelt sich hier um einen weiteren Hinweis darauf, dass wir das größte Wachstumstempo bereits hinter uns gelassen haben.

Sie haben ein Bild gezeichnet eines weiterhin grundsätzlich positiven Wachstumsumfelds, aber spürbaren Unterschieden zwischen den einzelnen Weltregionen und Sie haben auch auf gewisse Inflationsgefahren hingewiesen. Wie sollten sich Investoren in diesem Umfeld positionieren?

Nun, der erste Punkt, den man festhalten sollte, ist, dass Aktien gegenüber Anleihen zu bevorzugen sind. Dies ist letztlich die grundlegende Investmententscheidung, die man treffen sollte. Begründen lässt sich das mit den Bewertungsunter­schieden der Asset-Klassen. Der Bewertungsaufschlag von Aktien gegenüber Bonds erscheint uns nach wie vor im historischen Vergleich sehr vernünftig. Es gibt eine attraktive relative Entschädigung der Investoren für das Halten von Aktien gegenüber anderen Assets wie Staatsanleihen, Unternehmensanleihen und Cash. Wir befinden uns in der Mitte des Konjunkturzyklus, dies ist eine Phase, in der sich die Aktienmärkte weiterhin positiv entwickeln können. Wie die historische Perspektive zeigt, gibt es gewöhnlich positive inflationsbereinigte Erträge aus der Aktienanlage in dieser Phase. Allerdings müssen Anleger etwas vorsichtiger sein. In dieser Phase ist es erforderlich, dass Aktien von einer positiven Ertragsentwicklung der Unternehmen gestützt werden. Das ist letztlich, worum es geht – und nicht etwa um steigende Bewertungen. Die Bewertungen können sogar in der Mitte des Konjunkturzyklus leicht zurückgehen, während die Ertragsentwicklung letztlich die Aktienkurse voranbringen muss.

Ist dies aktuell gegeben?

Ja, die Ertragsentwicklung stützt derzeit die Aktienmärkte. Aber man muss realistisch bleiben hinsichtlich der in der gegenwärtigen Phase erzielbaren Renditen. In den vergangenen zwölf Monaten hatten wir ausgesprochen hohe Renditen an den Aktienmärkten. Der nun für die kommenden Monate erforderliche Realismus sollte nun für eine Begrenzung der Budgets der Investoren für Risiko-Assets und der Risikobereitschaft sorgen. Man sollte sich nicht allzu aggressiv positio­nieren.

Welche Regionen sind derzeit für die Aktienanlage besonders interessant?

Es gibt eine Reihe von Märkten, die wir derzeit als besonders werthaltig ansehen. So ist beispielsweise der europäische Aktienmarkt für uns vor allem eine zyklische Investment-Story, es gibt aber auch signifikante Bewertungsargumente, die für europäische Aktien sprechen. Wir sind auch für den japanischen Aktienmarkt positiv gestimmt, den wir als einen von den Anlegern vernachlässigten Markt ansehen. Diese Märkte sollten besonders von der sich fortsetzenden synchronen Erholung in den Industrieländern profitieren – insbesondere, weil in diesen Märkten die Branchen Energie und Banken stark vertreten sind. Für die Emerging Markets sehen wir hingegen stärkere Pandemierisiken, daher sind wir gegenwärtig neutral positioniert. Und hinsichtlich des US-Aktienmarktes sind wir mit Blick auf die relativ gesehen deutlich höheren Bewertungen derzeit ebenfalls neutral eingestellt. Grundsätzlich raten wir aktuell zu Qualitätsaktien, auch aus den nachhaltigen Branchen. In zyklischen Aktien sollte man sich allerdings nicht allzu stark positionieren, mit Blick auf den Fortschritt des Konjunkturzyklus.

Wozu raten Sie bei Anleihen?

Wir sehen bei den Staatsanleihen westlicher Länder derzeit sehr unattraktive Bewertungen. Dasselbe gilt für die entsprechenden Credit Spreads, beispielsweise in den USA oder der Eurozone. Chancen eröffnen sich daher eher im Bereich der asiatischen Anleihemärkte. Staatsanleihen aus dieser Region, vor allem aus China, bieten Renditevorteile gegenüber entsprechenden Titeln aus den USA oder der Eurozone. Die chinesische Währung hat sich aus unserer Sicht in der Krise positiv entwickelt. Asiatische High Yield Credits bieten höhere Renditen, höhere Spreads bei niedrigeren Ausfallraten im Vergleich zu Europa und den USA. Aber auch dort ist es natürlich erforderlich, an die Auswahl der einzelnen Investmentziele vorsichtig heranzugehen.

Wie werden sich Ihrer Meinung nach die Renditen chinesischer Staatsanleihen entwickeln?

Ausländische Investoren sind in chinesischen Staatsanleihen noch unterdurchschnittlich repräsentiert. Mit einem steigenden Anteil dieser Investoren in asiatischen Fixed-Income-Anlagen dürften sich die Credit Spreads und die Renditeunterschiede verkleinern. Momentan sind chinesische Anleihen aber eher eine Carry-Trade-Gelegenheit. Es geht auch weniger um kurzfristige Gewinne als vielmehr um eine langfristige, strategische Anlage.

Wie können sich Anleger am besten vor Inflationsgefahren schützen?

Bei diesem Thema geht es weniger um den kurzfristigen Inflationsausblick als um mittel- bis langfristige Gefahren, die unter anderem aus der Abkehr von der Austeritätspolitik und dem Trend zu mehr fiskalischem Aktivismus resultieren. Klassischerweise gibt es im Bereich Fixed Income Instrumente wie inflationsindexierte Anleihen. In Ergänzung dazu fokussieren wir uns darauf, Portfolien auf andere Weise gegen Inflation zu schützen. Dazu gehören Investments in knapper werdende Rohstoffe wie Kupfer und Uran, aber auch CO2-Investments. Ein anderer möglicher Ansatz besteht darin, die Portfolien näher an die realen, von der Inflation berührten Cash-flows zu bekommen. Hier könnten Anleihen, Credits und eventuell Aktien aus dem Infrastruktursektor interessant sein.

Das Interview führte

BZ+
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