Die argentinische Überraschung
Die argentinische Überraschung
Die Reformen von Präsident Javier Milei zeigen Wirkung – Aktienmarkt legt 130% zu – Noch viele Herausforderungen
Nach einem Jahr konsequenter Reformen unter Javier Milei gewannen Argentiniens Unternehmen deutlich an Wert. Auch Staatsanleihen legten massiv zu. Dank sinkender Inflation und Budgetüberschüssen im Jahr 2024 eine Erfolgsgeschichte. 2025 ist ein weiterer Aufschwung möglich, aber nicht sicher.
Von Andreas Fink, Buenos Aires
Schon 2023 hatten die tief gefallenen argentinischen Werte zugelegt. Als Milei vorigen Dezember den Peso um 54% abwertete und die Staatsausgaben radikal kürzte, nickten die Märkte, hatten aber auch Zweifel, weil Mileis Partei „La Libertad Avanza“ in beiden Parlamentskammern kaum vertreten ist. Darum legten Aktien und Staatsanleihen trotz überraschend schneller Erfolge bei der Haushaltskonsolidierung und Inflationseindämmung nur zögerlich zu. Aber zur Jahresmitte kam die Wende, nachdem Milei ein großes Gesetzespaket durchbringen konnte, inklusive umfassender Vollmachten für ein Jahr. Ende Juli verkündete Milei, überhaupt keine neuen Pesos mehr zu drucken, um der Inflation keinerlei Spielraum mehr zu geben. Danach konnte der Präsident mithilfe zweier Vetos verhindern, dass das Parlament gegen seinen Willen eine deutliche Erhöhung der Renten und Universitätsbudgets beschließen konnte. Zudem brachte eine Steueramnestie etwa 20 Mrd. Dollars aus Bargeldverstecken in das reguläre Banksystem. Gleichzeitig meldeten Umfragen, dass die Zustimmung zu Milei nicht litt. In den jüngsten Umfragen erhielt der Präsident trotz des schmerzhaften Sparkurses 57% Zustimmung, was Investoren ermutigt, in Argentinien einzusteigen.
Der Merval-Index der Börse von Buenos Aires ist seit Anfang August massiv gestiegen. In Dollars betrugen die Zuwächse im gesamten Jahr 2024 mehr als 130%. Dabei haben die Sektoren Banken und Energiewirtschaft am meisten profitiert. Bankaktien, etwa vom Banco Galicia, Banco Macro und BBVA konnten seit Dezember 2023 um 300% zulegen. Auch Energieunternehmen legten deutlich zu. Insbesonders der Ölriese YPF, der enorme Öl- und Gasvorkommen erschließt. Auch energienahe Unternehmen wie der Gastransporteur Gas del Sur und der Stromversorger Edenor wuchsen deutlich. Außerdem boomten die Anleihemärkte. Manche Dollar-Bonds verzeichneten während der letzten Monate tägliche Zuwächse von bis zu 1,8%. Dabei schnitten die „AL30C“-Staatsanleihen, die 2030 fällig werden, besonders gut ab. Seit Mitte 2022 konnten viele argentinischen Anleihen ihren Wert mehr als verdreifachen.
Nur noch positive Nachrichten?
„Ab nun gibt es nur noch positive Nachrichten“ sagte der Präsident im November. Vorige Woche gab ihm das nationale Statistikamt recht, als es bekannt gab, dass Argentiniens Wirtschaft im 3. Quartal um saisonbereinigt 3,9% gewachsen sei. Daraufhin sank das von J.P. Morgan errechnete „Länderrisiko“ weiter. Der Spread über US-Staatsanleihen, den Investoren verlangen, um argentinische Schuldtitel zu halten, fiel auf 663 Basispunkte, bei Mileis Amtsantritt hatte der Aufschlag mehr als 2.000 Basispunkte betragen.
Sollte Argentinien nun auf die Kreditmarkt zurückkehren wollen, müsste es 6,63% mehr Zins bezahlen als die US-Notenbank Fed. Die Rückkehr auf die Märkte ist ein erklärtes Ziel Mileis und seines Finanzministers Luis Caputo. Das Land hat weiterhin einen enormen Finanzbedarf, weil es im kommenden Jahr fast 20 Mrd. Dollar für den Schuldendienst ausgeben muss. Etwa 4 Mrd. sind bereits im Januar fällig. Um das wirklich sicher zu stellen, wurden die Goldreserven aus Buenos Aires nach London gebracht, um beliehen werden zu können für die Auszahlung an die Anleger. Sollte dies problemlos vonstatten gehen, dürfte das „Länderrisiko“ weiter sinken, was die Chancen auf ein Roll-Over eines Teils der Schuld erhöhen sollte. Der Schuldendienst ist aber längst nicht die einzige Hypothek für Milei. Argentinien muss sich auf drastische Urteile in Schadensersatzverfahren einstellen infolge übler Manipulationen und Verstaatlichungen unter den Kirchner-Regierungen. Im schlimmsten Fall könnten diese Verpflichtungen auf mehr als 24 Mrd. Dollar auswachsen, die das Land nicht besitzt. Tatsächlich sind die Währungsreserven immer noch negativ – ein riesiger Hemmschuh für die Abschaffung der Devisenkontrollen, die Milei für das kommende Jahr versprochen hat. Argentinien hat seit fünf Jahren Devisen- und Kapitalmarktgeschäfte eingeschränkt und Exporteure gezwungen, ihre Dollar zu verkaufen. Die Kontrollen hindern Unternehmen auch daran, Dividenden ins Ausland zu schicken, und schränken Privatpersonen beim Kauf ausländischer Währungen ein. Solange dieses Regelwerk in Kraft bleibt, werden viele Firmen zögern, reale Investitionen zu tätigen. Aber die braucht Argentinien unbedingt, denn der kürzlich verkündete Aufschwung beruht tatsächlich fast ausschließlich auf Zunahmen in den wenig arbeitsintensiven Branchen Agrarindustrie, Öl/Gas und Lithium. Aber Bau, Industrie und Tourismus verzeichneten drastische Einbußen, teilweise um mehr als 20%. Und der Konsum wird nach massiven Preiserhöhungen für Energie, Wasser, Gesundheit und Mieten wohl noch Jahre brauchen, um auf das Vor-Milei-Niveau zurückzukehren.
Es bleiben viele Risiken
Um die toxischen Devisenkontrollen aufheben zu können, bräuchte Argentinien zusätzliche Finanzierung, um einen Run auf die frei gegeben Dollars zu verhindern. Die Rede ist hier von mindestens 15 Mrd. Dollar. Milei und Caputo hoffen, dass ihr Alliierter Donald Trump das Gewicht der USA beim Internationalen Währungsfonds einsetzen wird, damit der ohnehin größte Schuldner einen Nachschlag erhält. Aber bislang war der Fonds nicht offen für ein solches Begehren. Nun hat Milei auch von einer privaten Finanzierung gesprochen, die möglich werden könnte, wenn der Risikoaufschlag weiter sinke. Aber viele Marktteilnehmer in Buenos Aires erwarten, dass die Kontrollvorschriften wohl in kleinen Schritten abgetragen werden, aber eine Freigabe erst nach den Parlamentswahlen im Oktober erfolgen kann. Hier muss Milei seine parlamentarische Position deutlich verbessern, denn seine Sondervollmachten enden im August.
Diese Herausforderungen werden die Entwicklung der Finanzmärkte beeinflussen. Sollte der Schuldendienst ohne Probleme erfolgen und ein Roll-Over der Restschuld möglich sein, dürfte das positive Effekte nach sich ziehen. Sollte der IWF einen zweite, kurzfristige Kreditlinie ermöglichen, dann wäre das ein Boot für Investitionen aller Art und würde auf die Aktienmärkte durchschlagen. Aber wenn Argentinien zu hohen Entschädigungen verurteilt wird oder der schon überbewertete Peso noch weiter steigen sollte, würde sich das negativ auswirken. Argentinien bleibt auch 2025 ein Risiko-Investment.