„Digitale und traditionelle Anleihen bieten dieselben finanziellen Vorteile“
Herr Benzler, Herr Tollast, die Europäische Investitionsbank (EIB) hat kürzlich zwei digitale Anleihen begeben. Was sind die wichtigsten Merkmale?
Tollast: Die erste, auf Euro lautende Anleihe war in vielfacher Hinsicht innovativ. Es war die erste digitale Emission der EIB, bei der eine Blockchain-Technologie auf Basis der aus Frankfurt betriebenen Tokenisierungsplattform von Goldman Sachs eingesetzt wurde. Tokenisierungsplattformen ermöglichen die Begebung digitaler Anleihen und die mit der Distributed-Ledger-Technologie (DLT) einhergehende höhere Effizienz, Zugänglichkeit und Ausfallsicherheit. Eine weitere Innovation war die Verwendung von Token in digitaler Zentralbankwährung, die in Zusammenarbeit zwischen den Zentralbanken Frankreichs und Luxemburgs ausgegeben wurden.
Unterscheidet sich die zweite?
Tollast: Die zweite, auf Pfund Sterling lautende Emission kombinierte private und öffentliche Blockchain-Technologie. Es war die erste Emission auf der HSBC-Orion-Plattform, einer in Luxemburg ansässigen Blockchain-Plattform mit privater Zulassung. Gleichzeitig wurde die öffentliche Blockchain Ethereum verwendet, um die auf der HSBC-Orion-Plattform gebuchten Wertpapierbestände öffentlich zugänglich zu machen, allerdings mit dem Vorteil der Anonymität.
Erlaubt das deutsche Recht die Emission von digitalen Anleihen?
Benzler: Neben Luxemburg und Frankreich hat auch Deutschland einen eigenen Rechtsrahmen für digitale Anleihen. Dieser erlaubt die Begebung von Inhaberpapieren als elektronische Wertpapiere und damit nicht durch eine (Global-)Urkunde verbrieft. Elektronische Wertpapiere werden wie herkömmliche Inhaberpapiere als Sachen behandelt und entfalten dieselbe Wirkung wie durch Urkunden begebene. Elektronische Wertpapiere werden entweder zentral registriert oder in einem Kryptowertpapierregister geführt. Daher können Emittenten elektronische Wertpapiere ausgeben, indem sie die Emissionsbedingungen in einem elektronischen Wertpapierregister niederlegen und die jeweiligen Wertpapierinhaber dort eintragen.
Welche Vorteile sehen Sie bei digitalen Anleihen?
Tollast: Digitale und traditionelle Anleihen bieten Emittenten und Anlegern dieselben finanziellen Vorteile. Digitale Anleihen sind herkömmliche Anleihen in dematerialisierter Form, die unter Verwendung von DLT ausgegeben, erfasst und übertragen werden. Die Distributed-Ledger-Kryptografie ermöglicht aber eine höhere Datensicherheit, da sie das Risiko eines Einzelschadens verringert. Statt eines zentralen Servers werden Kopien des Distributed Ledger von zahlreichen Knotenpunkten (Nodes) gehalten. Auf diese Weise entsteht eine zuverlässige Aufzeichnung von Wertpapierbeständen und -transaktionen.
Für welche Emittenten sind digitale Anleihen am besten geeignet?
Tollast: Aktuell befinden sich digitale Anleihen noch im Entwicklungsstadium und werden hauptsächlich von multinationalen Emittenten genutzt, die damit Innovationen im Kapitalmarkt unterstützen, wie die EIB. Es gibt jedoch auch Beispiele für Unternehmensanleihen, wie die Emission der ersten digitalen Anleihe von Siemens auf einer öffentlichen Blockchain. Wir erwarten, dass das Inkrafttreten des EU-Pilotregimes die Einführung der Distributed-Ledger-Technologie für Finanzdienstleistungen fördern wird.
Was ist das EU-Pilotregime?
Benzler: Ab dem 23. März 2023 erhalten Wertpapierfirmen, Marktbetreiber und Zentralverwahrer im Rahmen des EU-Pilotregimes für einen Zeitraum von zunächst drei Jahren die Möglichkeit, auf DLT basierende Marktinfrastrukturen zu schaffen, um die Nutzung von DLT bei Emissions- und Nachhandelsprozessen zu testen. Es gelten dann Ausnahmen von bestimmten gesetzlichen Anforderungen, die wie die EU Wertpapierabwicklungsverordnung derzeit viele Innovationen verhindern.
Also ein zentraler Schritt?
Benzler: Sollte die Europäische Kommission beschließen, das EU-Pilotregime dauerhaft anzuwenden, würde ein europäischer Rahmen geschaffen, unter dem der gesamte Lebenszyklus digitaler Anleihen in einem vollständig regulierten Umfeld dargestellt werden kann. Dies wäre ein wichtiger Baustein für die Kapitalmarktunion.
Dr. Marc Benzler ist Partner von Clifford Chance in Frankfurt und Alexander Tollast Counsel der Kanzlei in Paris.
Die Fragen stellte Sabine Wadewitz.