Dollar droht Gefahr von niedrigen Inflationsraten
Von Ulrich Leuchtmann*)
Am Mittwoch stehen die Juli-Konsumentenpreise in den USA zur Veröffentlichung an. Die meisten Analysten erwarten eine geringere Steigerung der amerikanischen Konsumentenpreise als im Juni – ein Zeichen dafür, dass der Peak in der Inflationsentwicklung schon vorbei sein könnte. Sollte ab jetzt der Inflationsdruck in den Vereinigten Staaten wieder abnehmen, stellt sich für den Devisenmarkt natürlich sofort die Frage: Was heißt das für die US-Dollar-Wechselkurse?
So einfach ist die Frage nicht zu beantworten, denn Inflation kann über zwei Kanäle auf die Wechselkurse einer Währung wirken. Erstens über den Kaufkraftkanal: Höhere Inflation heißt, dass die heimische Kaufkraft einer Währung schneller erodiert. Wenn man für einen Dollar in den USA weniger Hamburger kaufen kann, ist das an sich erst mal ein Argument dafür, dass man auch weniger Euros, Yens etc. kaufen kann, dass der Dollar also am Devisenmarkt an Wert verliert. Zumal der gegenwärtige Inflationsausbruch in den USA deutlich ausgeprägter war als in anderen großen Volkswirtschaften. Ist dieser Ausbruch an Inflation nun vorbei, ist das an sich erst einmal eine dollarpositive Entwicklung.
Der Zinskanal
Allerdings gibt es zweitens in der Regel einen gegenläufigen Effekt. Steigt die Inflation in einem Land, tendiert die jeweilige Zentralbank dazu, die Zinsen zu erhöhen. Und das wiederum ist positiv für eine Währung. Netto kommt es darauf an, welcher dieser beiden Effekte dominiert, also auf die Differenz zwischen Zins und Inflation (den sogenannten „Realzins“). Steigt der, dann ist das positiv für eine Währung, fällt er, so ist es negativ. Inflation ist also dann positiv für eine Währung, wenn erwartet werden kann, dass die Zentralbank sie mit Zinserhöhungen überkompensiert (man sagt: wenn sie eine „aktive“ Geldpolitik betreibt) und damit der Realzins steigt. Das braucht alles nicht sofort zu passieren. Ändert sich heute die Aussicht auf zukünftige Realzinsen, wartet der Devisenmarkt mit seiner Reaktion nicht darauf, dass die Erwartung eintritt. Er reagiert sofort, weil jeder Marktteilnehmer der Erste sein will, der die erwartete Wechselkursänderung ausnutzt.
Nun hat die Fed schon lange deutlich gemacht, dass sie den jüngsten Ausbruch an Inflation nicht mit höheren Zinsen kompensieren wird. Sie hält die hohen Inflationsraten der letzten Monate für „transitorisch“, schaut mit ihrer mittelfristig angelegten Geldpolitik also durch diese Phase hindurch. Je schneller diese Phase also vorbei ist, desto besser ist das für die US-Währung. Allerdings, zu sehr sollte es nicht nach unten gehen mit der Inflation. Denn sonst geriete der Langfristausblick für den zweiten Kanal ins Wanken. Bislang erwartet der Markt, dass die Fed Anfang 2023 ihren Leitzins erhöhen wird. Mit moderater Geschwindigkeit, aber dennoch: Das ist Dimensionen mehr, als von der EZB erwartet werden kann. Für den Euro-Dollar-Kurs ist dieser Unterschied in Fed- und EZB-Aussicht relevant. Obwohl es in beiden Fällen noch lange hin ist bis zur erwarteten ersten Zinserhöhung. Nicht umsonst schrieb eine andere Autorin vor einer Woche an dieser Stelle, dass die „Divergenz zwischen Fed und EZB […] essenziell für die weitere Entwicklung des Euro-Dollar-Wechselkurses“ ist.
Nun gibt es aber einige Voraussetzungen dafür, dass die Fed tatsächlich 2023 wie vom Markt erwartet den ersten Zinsschritt unternehmen kann. Erstens muss sich der Arbeitsmarkt bis dahin hinreichend erholt haben. Das ist wahrscheinlich, weil Fiskalprogramm und Lockdown-Ende bis dahin den Arbeitsmarkt anschieben dürften.
Frühes Tapering wäre positiv
Zweitens müssen die Wertpapierkäufe der Fed beendet sein. Deshalb – und nicht, weil die Käufe an sich für die Wechselkurse relevant wären, – sind Signale aus der Fed, die ein frühes Tapering (also ein Zurückfahren der Wertpapierkäufe) andeuten, positiv für den Dollar.
Drittens muss die Fed hinreichend davon überzeugt sein, dass die Inflation nicht wieder unter ihr 2-%-Ziel rutscht. Klar, bei 5,4% Preissteigerung in den letzten zwölf Monaten sind wir von 2% noch weit entfernt. Und deshalb wäre eine niedrige Inflationszahl am Mittwoch für den Dollar wahrscheinlich kein Problem. Doch sollte die US-Inflation in den nächsten Monaten nicht allzu tief fallen. Ausgeschlossen ist das nicht. Die hohe Inflation der letzten Monate war vor allem auf Angebotsengpässe zurückzuführen. Und die wiederum darauf, dass die Konsummuster der US-Haushalte sich Lockdown-bedingt deutlich verändert hatten. Je mehr der Konsum wieder in alte Muster zurückspringt, desto eher lösen sich diese Engpässe auf. Preise, die vorher gestiegen sind, dürften dann wieder fallen. Wir sehen diesen Effekt schon bei Bauholz. Das heißt aber: Während jetzt die Inflation ungewöhnlich hoch ist, könnte sie schon bald ungewöhnlich niedrig ausfallen.
Passiert das, dürfte der Markt weniger optimistisch bezüglich des Timings der ersten Fed-Zinserhöhung sein. Mit anderen Worten: Dann wird die Divergenz zwischen Fed und EZB weniger dramatisch erscheinen. Und das wiederum wäre negativ für den Dollar.
Niedrige Raten Dollar-Risiko
Zu hohe und zu niedrige Inflation sind schlecht für den Dollar. Weniger dramatische Inflationsraten, die diese Woche und in nächster Zeit wahrscheinlich sind, dürften die Phase zu hoher US-Inflationsraten beenden und einen relativ starken Dollar rechtfertigen. Danach könnte ihm aber Gefahr von zu niedrigen Inflationsraten drohen.
*) Ulrich Leuchtmann, Leiter des Devisen-Research der Commerzbank.