„Eine Abwertung des Euro wird immer wahrscheinlicher“
Im Interview: Jan Bottermann und Frank Wohlgemuth
„Abwertung des Euro wird immer wahrscheinlicher“
Kapitalmarktexperten der National-Bank halten auch Abrutschen unter Parität für möglich – Perspektiven für weiteren Aktienaufschwung gelten als gut
Die Kapitalmarktexperten der National-Bank, Jan Bottermann und Frank Wohlgemuth, halten es für immer wahrscheinlicher, dass der Euro weiter abwerten wird. Auch Notierungen deutlicher unterhalb der Parität schließen sie nicht aus. Die US-Wirtschaft sehen sie in guter Verfassung.
Herr Bottermann und Herr Wohlgemuth, welche Perspektiven haben Sie für die Weltwirtschaft für dieses Jahr?
Bottermann: Der globale Ausblick wird von einer weiterhin strukturell soliden Entwicklung in Asien und einer robusten US-Expansion getragen. In diesem Jahr werden die Impulse vor allem von niedrigeren Notenbankvorgaben ausgehen, vorbehaltlich eines umfassenden Handelskrieges bleibt die aggregierte Bewegungsrichtung der Weltwirtschaft aufwärts gerichtet. Gerade die zunehmende Multipolarität des internationalen Systems ist mit dem Aufstieg neuer Wirtschaftsmächte verknüpft, was dem globalen Handel zu einer zunehmenden Resilienz verhalf. Insbesondere vor dem Hintergrund des zuletzt wieder aufwärts gerichteten Welthandels als einem wichtigen Frühindikator für die globale Industrieproduktion bestehen gute Chancen, dass die Weltwirtschaft weiter an Resilienz gewinnen kann, da die bislang tragende Dynamik im Dienstleistungssektor somit durch eine zweite Säule gestärkt werden könnte.
Wie sehen Sie die wirtschaftliche Entwicklung in den USA unter der Führung des neuen Präsidenten Donald Trump?
Bottermann: Grundsätzlich befindet sich die US-Wirtschaft vor allem dank ihrer ausgeprägten Marktorientierung in einer guten Verfassung. Mit Blick auf den Einfluss der zukünftigen Wirtschaftspolitik dürften die bisherigen Grundlinien der wirtschaftlichen Entwicklung zumindest im laufenden Jahr dominant bleiben. Im weiteren Verlauf bleibt dann abzuwarten, welchen Weg die kommende US-Administration einschlagen wird. Bis dato überwiegt datenseitig die Indikation für eine weitere Abkühlung des privaten Konsums als wirtschaftlicher Hauptkomponente, sodass wir im Saldo von einem Soft Landing der US-Wirtschaft bei Wachstumsraten um 2,4 % im Jahresverlauf ausgehen.
Viele Marktteilnehmer gehen davon aus, dass die Fed zwar weiter die Leitzinsen senken wird, aber nicht mehr so stark wie noch vor ein paar Monaten angenommen. Teilen Sie diese Einschätzung?
Bottermann: Zweifellos haben die Erwartungen an die Zinssenkungen seitens der Fed zu Recht wieder abgenommen, was auf den zuletzt abermals zäheren Disinflationsprozess in Kombination mit besseren Wachstumsperspektiven zurückging. Die zuletzt moderateren Töne der US-Notenbank waren aber wohl auch eine Vorsichtsmaßnahme hinsichtlich der wirtschaftspolitischen Risiken. Letztlich entscheidend für den mittelfristigen Inflationstrend ist, wie es am US-Arbeitsmarkt insbesondere mit Blick auf den Abbau der post-pandemischen Ungleichgewichte weitergeht: Nach wie vor verweist das Gros der vorlaufenden Indikatoren hier ungebrochen auf eine Fortsetzung der Abkühlung am US-Arbeitsmarkt. Somit dürfte der Lohndruck rückläufig bleiben und sich der Disinflationsprozess weiter fortsetzen.
Bei der EZB wird wegen der Wachstumsschwäche von weiteren geldpolitischen Lockerungen ausgegangen. Sehen Sie das auch so?
Bottermann: Ja, absolut: Die Notenbanksätze in der Eurozone sind mit Blick auf das vermutlich auf längere Sicht geringe Wachstumstempo zu hoch. Sollte die Beschäftigung, wie wir erwarten, spürbarer zurückgehen, dürfte es der EZB wesentlich leichter fallen, zu umfangreichen Zinssenkungen zu gelangen. Mit Blick auf die immer gravierenderen strukturellen Probleme hinsichtlich des weiteren Wachstumspfades und die sich somit zusehends spürbar eintrübenden Perspektiven für die gesamteuropäischen Arbeitsmärkte bleibt eine zukünftig erheblich geringere Zinsvorgabe insgesamt höchstwahrscheinlich.
Die Aktienmärkte sind 2024 international sehr gut gelaufen. Wie sehen Sie die Perspektiven für die europäischen Aktienmärkte und die US-Pendants 2025? Setzt sich der Aufschwung fort?
Wohlgemuth: Davon sind wir überzeugt. Allerdings fiel der Zuwachs sowohl in Europa als auch in den USA zuletzt sehr stark aus, sodass wir in diesem Jahr mit einer nachlassenden Dynamik rechnen. Wir erwarten, dass die Aktienmärkte bis in das Frühjahr hinein weiter nach oben tendieren werden, danach sollte wie so oft, wenn die hehren Wahlkampfversprechen auf die Realität prallen, eine gewisse Ernüchterung eintreten, welche die Möglichkeit neuer Zukäufe in sich trägt. Insgesamt prognostizieren wir eine weiterhin deutlich bessere Performance der US-Indizes als ihrer europäischen Pendants.
Was sind die Treiber des fortgesetzten Aufschwungs?
Wohlgemuth: Insbesondere weiterhin deutliche Leitzinssenkungen sowohl der US-Notenbank als auch der EZB. Historisch hat sich die Geldpolitik der Notenbanken als zentrale Determinante der Aktienmarktentwicklung erwiesen. Zu-dem erwarten wir merkliche Impulse durch die zu erwartenden Steuersenkungen und Deregulierungsbestrebungen der neuen US-Regierung. Aufgrund der Indikatorfunktion der US-Aktienmärkte ergibt sich daraus auch eine deutliche Unterstützung für die europäischen Aktienmärkte. Viele europäische Unternehmen erzielen einen Großteil ihrer Umsätze im nichteuropäischen Ausland, insbesondere in den USA und in Asien. Diese profitieren folglich von globalen Entwicklungen, wie besagten Steuererleichterungen in den USA oder der hohen konjunkturellen Dynamik in Fernost.
Wie wird sich Euro/Dollar in diesem Umfeld entwickeln? Erreichen wir die Parität?
Bottermann: Eine Abwertung des Euro auch deutlich unterhalb der Parität wird zumindest immer wahrscheinlicher: Während sich die Wachstumsperspektiven für die Eurozone immer weiter eingetrübt haben, könnte die US-Konjunktur aufgrund der Resilienz des privaten Sektors noch mehr Atem haben, als bislang zu vermuten stand. Setzen sich die aktuellen Trends in der Eurozone vor allem mit Blick auf die Entwicklung der Arbeitslosigkeit fort, könnte die transatlantische Zinsdifferenz neue Maximalwerte erreichen. Im Saldo sehen wir derzeit in etwa eine gleichgewichtige Bewertung des US-Dollars – bei einem spürbaren Rückgang der Beschäftigung in Europa wäre aus unserer Sicht dann auch der Weg zu Kursen unterhalb der Parität frei.
Von welchen Branchen sollten Anleger lieber die Finger lassen?
Wohlgemuth: Vor dem Hintergrund der schwachen europäischen Konjunktur raten wir momentan von europäischen Zyklikern ab. Die Automobilbranche befindet sich in der tiefsten Krise seit langer Zeit, diesbezüglich halten wir einen Einstieg für verfrüht. Die Chemiebranche leidet unter den anhaltend hohen Energiekosten und der persistierenden Konjunkturschwäche. Angesichts des vorherrschenden „Risk on“-Modus an den Aktienmärkten sind wir zudem für defensive Branchen, wie beispielsweise den Versorgungssektor oder die Lebensmittelbranche skeptisch. Zudem spricht wenig für Roh- oder Grundstoffe, wenn unser Szenario mittelfristig weiter fallender Inflationsraten sich bewahrheitet.
Das Interview führte Kai Johannsen.