Bundestagswahl

Eine Richtungswahl für Europas Staatsanleihen

Wenn am 26. September 2021 Bundestagswahl in Deutschland ist, werden sich nicht nur die deutschen Wähler den Tag im Kalender markiert haben. Nach 16 Jahren dürfte die ganze Welt auf das Ende der Ära Merkel blicken. In vorderster Reihe werden...

Eine Richtungswahl für Europas Staatsanleihen

Von Sophia Oertmann*)

Wenn am 26. September 2021 Bundestagswahl in Deutschland ist, werden sich nicht nur die deutschen Wähler den Tag im Kalender markiert haben. Nach 16 Jahren dürfte die ganze Welt auf das Ende der Ära Merkel blicken. In vorderster Reihe werden allerdings die 26 EU-Partner­länder das deutsche Wahlergebnis verfolgen. Schließlich ist die Europapolitik eines der zentralen Themen im Wahlkampf der sechs großen Parteien und aus Marktsicht damit ein entscheidender Faktor für die längerfristige Spread-Entwicklung der EU-Staaten gegenüber Bundesanleihen. Über eine weitere politische Integration innerhalb der EU-Mitgliedstaaten sind sich die proeuropäischen, gemäßigten Parteien weitestgehend einig. Gänzlich anders sieht es bei der Frage nach einer fortschreitenden finanziellen Integration aus. Hier zeigt sich wieder einmal, dass nicht nur Freundschaften, sondern auch politische Allianzen beim Thema Geld schnell an ihre Grenzen stoßen.

Union und FDP sind gegen weitere Schritte in Richtung einer EU-Fiskalunion und sehen den EU-Wiederaufbaufonds (Next Generation EU, NGEU) als temporäre Maßnahme. SPD und Grüne befürworten hingegen eine Verstetigung von NGEU und fordern höhere EU-Investitionen. Um eine rein innerdeutsche Debatte handelt es sich hierbei keineswegs. Schließlich hat die Bundesrepublik schon häufig eine Vermittlerrolle zwischen den sparsamen vier Ländern („Frugal Four“: Österreich, Niederlande, Dänemark und Schweden) und den ausgabenfreudigeren Ländern (Frankreich sowie die Peripherie-Staaten) eingenommen. Eine veränderte deutsche Haltung zum Thema EU-Fiskalunion besitzt daher das Potenzial, das bestehende Kräfteverhältnis auf europäischer Ebene zu verschieben.

Ernsthaftere Hürden

Dennoch ist nicht damit zu rechnen, dass sich aus den Differenzen der Parteien über die finanzielle Zukunft der EU ernsthafte Hürden für eine Koalitionsbildung ergeben. Schließlich steckt der Prozess hin zu dauerhaften Transferzahlungen noch in den Kinderschuhen, und die Parteien dürften sich darauf verständigen, zunächst den Erfolg von NGEU abzuwarten. Blickt man auf die Haltung der Linkspartei zur Außen- und Sicherheitspolitik, so scheinen deutlich ernsthaftere Hürden bei einigen möglichen Koalitionspartnern im Weg zu stehen.

Bekanntlich gilt jedoch, dass an den Märkten die Zukunft gehandelt wird. Insofern hätte der Sieg eines Linksbündnisses bei der Bundestagswahl durchaus das Potenzial, eine deutliche Marktreaktion hervorzurufen. Denn die Anleihen des Peripheriesegments dürften davon profitieren, dass die langfristige Wahrscheinlichkeit einer Fiskalunion mit einer Regierung links der Mitte sprunghaft ansteigt. Eine denkbare Folge wären somit sinkende Risikoprämien innerhalb der EU, aber auch eine zunehmende Skepsis bezüglich der Bonität von Kernstaaten. Andere Marktimplikationen dürften sich aus einer Regierung mit Beteiligung der Union ergeben. In der kurzen Frist wäre mit vergleichsweise geringen Marktreaktionen zu rechnen, da es bei der abwartenden Haltung mit Blick auf NGEU bleiben dürfte. Erst eine spätere klare Absage zu weiteren Transferzahlungen könnte zu Spread-Ausweitungen führen und würde die relative Attraktivität von Bundes- und anderen Staatsanleihen des EU-Kernsegments gegenüber Peripherie-Anleihen steigern. Doch noch ein weiteres zentrales Konfliktthema dürfte von entscheidender Bedeutung für die Spread-Entwicklung der EU-Staaten sein: der künftige Stellenwert des Stabilitäts- und Wachstumspakts.

CDU/CSU und FDP befürworten die bestehenden EU-Fiskalregeln, welche eine maximale Staatsschuldenquote von 60% des BIP sowie ein maximales jährliches Haushaltsdefizit von 3% des BIP vorsehen. SPD und Grüne bezeichnen diese Regelung als zu strikt und würden höhere nationale Defizite sowie größere EU-Schulden in Kauf nehmen. Ohnehin schaffen es seit Jahren nur wenige Mitgliedstaaten, die bestehenden Fiskalregeln einzuhalten. Die Corona-Pandemie hat diese Notlage nochmals verstärkt. Eine offizielle Abkehr von den sogenannten Maastricht-Kriterien könnten Investoren in EU-Staatsanleihen allerdings mit der Forderung höherer Risikoaufschläge quittieren. Schließlich hat insbesondere Italien bereits jetzt einen Schuldenberg beträchtlicher Höhe angehäuft, der bei einer schlussendlichen Abkehr von der fiskalischen Disziplin den Investoren dann doch unüberwindbar erscheinen dürfte. Die Brisanz der italienischen Schuldenlage hat sich bereits 2018/19 beim Streit zwischen Brüssel und Rom um den italie­nischen Staatshaushalt gezeigt. Damals weitete sich der Spread zwischen zehnjährigen italienischen Staatspapieren und laufzeitkongruenten Bundesanleihen auf bis zu 326 Basispunkte (BP) aus.

Umfangreiche EZB-Käufe

Dank der umfangreichen Anleihekäufe der Europäischen Zentralbank (EZB) im Rahmen des Pandemic Emergency Purchase Program (PEPP) befindet er sich aktuell wieder bei knapp über 100 BP. Angesichts des nahenden Endes des PEPP, das nach aktuellem Stand im März 2022 auslaufen soll, strahlen die engen Spreads aber eine trügerische Sicherheit aus. Eine Lockerung der Fiskalregeln käme da zur Unzeit für die italienische und damit auch europäische Finanzstabilität. Bunt gemischt und nicht weniger beunruhigend erscheinen darüber hinaus die Vorstellungen der Parteien über die Rolle der EZB. Gewohnt konventionell betont die Union die Unabhängigkeit der Notenbank und lehnt Formen der monetären Staatsfinanzierung weiter ab. Die Grünen wollen hingegen das EZB-Mandat um das Ziel der „Wohlstandsmehrung“ erweitern. Die Linke legt noch etwas drauf und wünscht sich eine explizite Finanzierung der Staaten durch die EZB bei gleichzeitiger Kontrolle der Notenbank durch das EU-Parlament. Die AfD scheint mögliche Verwerfungen in Folge einer Straffung der Geldpolitik wenig zu fürchten und fordert das Ende der EZB-Bondkäufe und die parallele Einführung einer nationalen Währung in Ergänzung zum Euro.

Ironischerweise war es einst der Maastricht-Vertrag, der den Mitgliedstaaten abverlangte, ihre nationalen Zentralbanken in die Unabhängigkeit zu entlassen. Dass die empirische Evidenz der vorigen Jahrzehnte die Unabhängigkeit der Zentralbanken als Schlüssel zur Preisstabilität herausstellt, scheint bei einigen Parteien wenig Beachtung zu finden. Solange sich die Staaten nicht auf eine Transferunion einigen können, bleibt die EZB vorerst der Anker, der die Eurozone zusammenhält und durch massive Anleihekäufe möglichen Spread-Ausweitungen entgegenwirkt. Derweil beschreiben die Maastricht-Kriterien weiter das gemeinsame Ziel der Mitgliedstaaten, die Verschuldung langfristig zu reduzieren. NGEU bleibt außerdem ein erster Versuch, durch Transferzahlungen innerhalb der EU das strukturelle Wachstum nach der Pandemie zu erhöhen. So lautet der Status quo nach 16 Jahren unter Angela Merkel. Mit der Bundestagswahl am 26. September könnte ein neues Kapitel für die europäische Spread-Landschaft beginnen.

*) Sophia Oertmann ist Rentenmarktanalystin bei der DZ Bank.

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