Eine verlorene Börsengeneration
Von Christoph Geyer*)
Unsere Kleinsten sind mit einem Lockdown, Kontaktbeschränkungen und Maskenpflicht ins Leben gestartet und konnten meist noch nicht einmal ihre Großeltern kennenlernen. Die etwas Größeren litten darunter, ihre Freunde nicht treffen zu dürfen. Die psychischen Schäden, die bei diesen jungen Menschen angerichtet wurden, sind heute noch nicht absehbar. Ebenso wenig absehbar sind die Folgen bei der neuen Börsengeneration, die nach der Finanzkrise 2009 die Aktienmärkte für sich entdeckt hat.
Ähnlich der verlorenen Aktiengeneration nach dem Millennium-Debakel, als sich der deutsche Aktienmarkt innerhalb von rund drei Jahren mehr als gedrittelt hatte, könnte auch die heutige Generation von Börsenneulingen den Märkten zunächst entnervt den Rücken zuwenden. Wer es gewohnt war, nur steigende Notierungen zu kennen, so wie dies von Ende 2011 bis Anfang 2015 der Fall war, der dürfte jetzt so langsam nervös werden. Börse ist nun mal Psychologie, und wer seine Psyche nicht im Griff hat, der hat an der Börse schon verloren.
Auf lange Sicht aufwärts
Nun kommt es also darauf an, dass die junge Börsengeneration zum einen gut ausgebildet wird und zum anderen konstruktiv lernt, dass Aktienkurse eben nicht nur nach oben gehen, sondern auch rückläufig sein können. Die Erfahrung zeigt nämlich, dass auf lange Sicht die Aktienmärkte immer nach oben gehen. Natürlich gibt es Phasen, in denen auch fallende Notierungen zu beobachten sind. Diese können durchaus auch mehrere Jahre andauern. Da die Wirtschaften aber selbst nach Kriegen immer wieder auf die Beine gekommen sind, musste man nur einen langen Atem und Geduld haben, um solche Zeiten zu überstehen. Die ganz Mutigen haben in diesen schwachen oder gar Panikphasen sogar ihr Portfolio auf- oder ausgebaut. Den exakt richtigen Zeitpunkt zum Einstieg zu finden, ist verständlicherweise eine kaum lösbare Aufgabe.
Statistischer Anhaltspunkt
Allerdings bietet die technische Analyse hier sinnvolle Instrumente, die man nach einiger Übung und Training dazu nutzen kann, zumindest gute Einstiege zu finden. Eine dieser Methoden ist die Zyklusanalyse, die einen statistischen Anhaltspunkt bietet. Sie kann auch vor einem Einstieg zum falschen Zeitpunkt bewahren. So sind Jahre, die auf eine 2 enden, meist wenig erfolgreiche Jahre im Dax. Dies zeigt zumindest der Dekadenzyklus. Auch wenn man diesen außen vor lässt, darf man in der aktuell bevorstehenden Phase bis Ende September nicht unbedingt mit steigenden Notierungen rechnen. Zumindest stehen 20 negative Jahre nur 14 positiven in diesem Zeitraum gegenüber.
Diese Statistik gestaltet sich in den USA ganz anders. Auch wenn hier eine längere Datenbasis untersucht wurde, kommt der S&P 500 auf ein positives Verhältnis von 43:29 Jahren im gleichen Zeitraum. Sollte der US-Leitindex auch in diesem Jahr positiv performen können, besteht trotz der bedenklichen statistischen Situation im Dax eine reelle Chance darauf, dass die US-Märkte den deutschen Markt mitziehen. Statistik ist aber nicht alles. Das aktuelle Umfeld aus Krieg, Inflation und Lieferproblemen lässt auch den Techniker manchmal verzweifeln.
So wird jede Meldung, die aus dem Kriegsgebiet kommt, oder jede neue Inflationszahl derzeit von den Marktteilnehmern mit großer Nervosität aufgenommen. In der aktuellen Lage kann man da schon einmal die Nerven verlieren.
Abwärtstrend unübersehbar
Der seit Anfang des Jahres bestehende Abwärtstrend ist unübersehbar. Zuletzt hat der deutsche Leitindex das Tief, welches im März nach dem Kriegsausbruch generiert wurde, kurzfristig unterschritten. Die anschließende Erholungsbewegung dauerte nur sehr wenige Tage, bis die nächste Abwärtsbewegung folgte. Dieser Schub nach unten blieb allerdings ohne Folgen und zog keine weiteren Verkäufe nach sich. Im Gegenteil, zum Schluss der vergangenen Woche gab es eine kräftige Bewegung nach oben, die so nicht zu erwarten war.
Noch kein Ausverkauf
Auffällig sind aber in den letzten Wochen die niedrigen Umsätze, die sowohl für einen Rutsch als auch für die anschließende Anstiegsbewegung eher ungewöhnlich sind. Was den jüngsten Rückgang betrifft, kann gesagt werden, dass ein Ausverkauf noch nicht stattgefunden hat. Die Indikatoren haben zwar Divergenzen gebildet, was auf ein bevorstehendes Ende des kurzfristigen Trends hindeutet. Der übergeordnete Trend dürfte aber davon noch unberührt bleiben.
Anders gestaltet sich die Lage an den US-amerikanischen Märkten. Hier liegen die Abwärtstrendlinien nicht so weit entfernt und die Marktteilnehmer scheinen sich so langsam mit der Situation (auch der Inflationsangst) zu arrangieren. Es ist nicht absehbar, ob diese minimal bessere Ausgangslage ausreicht, um auch einen Trendbruch zu generieren.
Jetzt schon von einer verlorenen Börsengeneration zu sprechen, ist sicher verfrüht. Allerdings gilt es für diese jetzt die richtigen Lehren aus der aktuellen Phase zu ziehen. Dies geht nur mit Finanzbildung und einem gesunden Menschenverstand.
*) Christoph Geyer ist freier technischer Analyst der VTAD e.V.