Erdgas

Ende der Erdgaskrise nicht in Sicht

Die Krise am europäischen Erdgasmarkt ist noch lange nicht vorüber. Letztlich liegen die Probleme in einer verfehlten Energiepolitik der Europäischen Union begründet.

Ende der Erdgaskrise nicht in Sicht

Von Dieter Kuckelkorn, Frankfurt

Der Anstieg der Preise am europäischen Spotmarkt für Erdgas ist beeindruckend. Im Vergleich zum Stand per Jahresbeginn hat sich der Preis des marktführenden Monatskontrakts am niederländischen Knotenpunkt TTF um 380% erhöht. In der Spitze vor wenigen Tagen war sogar ein Anstieg von 570% festzustellen. Dann jedoch haben Bemerkungen des russischen Präsidenten Wladimir Putin, Russland werde sich bemühen, so viel Gas wie möglich zu liefern, den Markt beruhigt und übermäßige Spekulation vorerst beendet. Gleichwohl ist das Preisniveau auf dem Spotmarkt nach wie vor als exorbitant zu bezeichnen.

Auch Öl betroffen

Von massiven Preisanstiegen betroffen sind auch andere Energieträger. So ist der Brent-Ölpreis mit fast 84 Dollar je Barrel auf den höchsten Stand seit drei Jahren geklettert. Ähnliches lässt sich auf dem Strommarkt beobachten – mit teilweise enormen Folgen für die Volkswirtschaften. So haben sich beispielsweise die Stromkosten für die spanische Industrie seit Jahresanfang um 300% erhöht, was etwa Stahlhersteller bereits zur Einstellung der Produktion gezwungen hat.

Forscht man nach den Gründen für die Misere, so lässt sich feststellen, dass hinter den Preisanstiegen eine ganze Reihe von Faktoren steht. Fast alle fossilen Energieträger, auf denen die Versorgung der Welt nach wie vor basiert, leiden bereits unter den Folgen einer von der Politik dilettantisch in die Wege geleiteten grünen Energiewende. Zurückgefahren und vor allem in der EU als unerwünscht be­trachtet werden besonders schmutzige Energieträger wie Kohle und Erdöl. Bei den weltweiten Investitionen in diese Energieträger ist bereits ein deutlicher Rückgang festzustellen.

Kernkraft zurückgefahren

In Deutschland als der bedeutendsten Volkswirtschaft innerhalb der EU wurde allerdings auch die CO2-neutrale zivile Nutzung der Kernkraft zur Energiegewinnung fast vollständig zurückgefahren als ein Zugeständnis der CDU-geführten Bundesregierung gegenüber den aufstrebenden Grünen. Damit hat sich Europa neben den regenerativen Energiequellen, die sich allerdings als stark wetterabhängig und damit als unzuverlässig erwiesen haben, auf Erdgas als einen weniger schmutzigen fossilen Brennstoff festgelegt.

Dank der beschriebenen Politik ist die Europäische Union also in einem hohen Maße auf eine zuverlässige Versorgung mit Erdgas angewiesen. Letztere wurde allerdings gleichzeitig durch Initiativen früherer europäischer Kommissionen, unter anderem durch den lettischen Energiekommissar Andris Piebalgs, erfolgreich sabotiert. Die EU wandte sich gegen langfristige Verträge und entwickelte stattdessen den europäischen Spotmarkt für den Energieträger, was zugegebenermaßen für ein paar Jahre für sinkende Gaspreise sorgte.

In diesem Umfeld aus einem langfristigen und durchaus politisch ge­wollten Mangel an fossilen Energieträgern und der mit Blick auf die Unzuverlässigkeit der regenerativen Energieträger steigenden Abhängigkeit von Gas konnten nun kurzfristige negative Einflussfaktoren ihre volle Wirkung entfalten. So fiel der Winter 2020/21 kalt und lang aus, und bis in den Sommer hinein sorgte ein Mangel an Wind dafür, dass unter anderem für die Stromversorgung mehr Gas eingesetzt werden musste. Die Gasspeicher in der Europäischen Union waren leer, während die Gasversorger angesichts der bereits gestiegenen Gaspreise darauf spekulierten, dass es über den Sommer zu einem Preisrückgang kommen würde, so dass sie die Wiederauffüllung der Speicher zeitlich nach hinten verschoben.

Allerdings kam es nicht zu dem erwarteten Preisrückgang auf dem Spotmarkt, so dass die Reserven für den Winter in Europa nun unzureichend sind. So waren die Speicher in Deutschland kürzlich nur zu 71% gefüllt, nach neuesten Zahlen der Bundesregierung sollen es nun immerhin 75% sein, was aber immer noch ein niedriger Wert ist.

Dass es über den Sommer nicht zum erwarteten Rückgang des Gaspreises kam, ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass die Amerikaner ihr in Europa gerne als „Freedom Gas“ angepriesenes Flüssiggas LPG zunehmend nach Asien umleiteten, weil dort höhere Preise zu erzielen waren. Außerdem stand auch Russland vor der Aufgabe, nach dem dort ebenfalls harten Winter die leeren Speicher wieder aufzufüllen – es wird gerne übersehen, dass auch Russland ein großer Energieverbraucher ist. Zudem bemüht sich Russland angesichts der aus seiner Sicht zunehmend konfrontativen Politik der Europäischen Union um eine Diversifizierung der Kundenbasis: China nimmt gerne russisches Gas ab, ohne politischen Druck auszuüben.

Langfristige Verträge

Putin hat zwar mehrfach seine Bereitschaft geäußert, zusätzliches russisches Erdgas für die Europäische Union bereitzustellen. Allerdings bevorzugt Russland langfristige Lieferverträge, und es ist auch aus technischen Gründen gar nicht möglich, zusätzliches Gas sehr kurzfristig zur Verfügung zu stellen. Wenn man dann noch die politisch gewollte Verzögerung der Inbetriebnahme der Pi­peline Nord Stream 2 ins Kalkül einbezieht, wird deutlich, dass in Europa die Gaspreise weiter hoch und die Gasmengen knapp bleiben werden.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.