Siegfried Ruhl

EU ist als Emittent auf dem Weg zum Super-Sovereign

Die Europäische Union (EU) gehört zu den großen Playern an den Bondmärkten. Siegfried Ruhl, der das EU-Funding managt, legt im Interview der Börsen-Zeitung dar, wie die Adresse zum Super-Sovereign wird.

EU ist als Emittent auf dem Weg zum Super-Sovereign

Kai Johannsen.

Herr Ruhl, welches Funding-Volumen plant die Europäische Union für das Jahr 2023, und wie vergleicht sich das mit dem Refinanzierungsvolumen für das Jahr 2022?

Die Europäische Kommission hat ihren Auftritt auf dem Kapitalmarkt neu ausgerichtet. Dafür haben wir im Dezember, als wir den Finanzierungsplan für das erste Halbjahr dieses Jahres veröffentlicht haben, eine einheitliche Finanzierungsstrategie vorgeschlagen. Im Rahmen dessen planen wir in den ersten sechs Monaten dieses Jahres Bond-Emissionen in Höhe von insgesamt 80 Mrd. Euro. Davon entfallen circa 70 Mrd. Euro auf den Wiederaufbaufonds Next Generation EU – kurz NGEU – und etwa 10 Mrd. Euro sind für das Hilfspaket zur Unterstützung der Ukraine vorgesehen. Im Durchschnitt bedeutet dies ein monatliches Emissionsvolumen von 13,3 Mrd. Euro. Damit liegen wir über dem Durchschnitt des Vorjahreszeitraums, der bei circa 9 Mrd. Euro lag. Für unser Liquiditätsmanagement werden wir unser EU-Bill-Programm mit drei- und sechsmonatigen Laufzeiten fortsetzen.

Es gibt einen sogenannten Unified Funding Approach. Was beinhaltet diese neue, einheitliche Finanzierungsstrategie, und warum ist die Kommission diesen Schritt gegangen?

Kurz gesagt bedeutet die einheitliche Finanzierungsstrategie die Einführung einheitlicher EU-Bonds. Wir werden künftig also nicht mehr Anleihen getrennt nach einzelnen Programmen – wie NGEU oder Sure – begeben, sondern nur noch EU-Bonds. Dadurch werden künftig alle Programme von der Flexibilität der diversifizierten Finanzierungsstrategie, die wir in 2021 für NGEU eingeführt haben, profitieren. Die einheitliche Finanzierungsstrategie ermöglicht es auch, die EU-Bonds noch näher an das Segment für Staatsanleihen bringen und somit unsere Position als regulärer Emittent sicherer und hochliquider Benchmarkanleihen zu festigen.

Was bedeutet die einheitliche Finanzierungsstrategie für die Investoren?

Dank einheitlicher EU-Bonds reduzieren wir die Fragmentierung unserer Sekundärmarktkurve. Bislang hatte die Begebung programmspezifischer Papiere dazu geführt, dass unsere Kurve sowohl aus sehr liquiden Benchmarkanleihen als auch aus kleineren, weniger liquiden Papieren bestand. Das erschwerte das Pricing und den Handel im Sekundärmarkt. Künftig wird unsere Sekundärmarktkurve transparenter sein und damit den Handel und die Liquidität im Sekundärmarkt unterstützen. Für Investoren werden EU-Bonds mehr und mehr zu einer Alternative zu den klassischen Staatsanleihen.

Sehen das auch die Investoren so? Wie ist das Zinsniveau der EU-Anleihen im Jahr 2022 gegenüber Government Bonds derzeit einzustufen, also gegenüber Bundesanleihen, und mit welcher Entwicklung rechnen Sie im Jahr 2023?

Die gestiegenen Zinsen im vergangenen Jahr waren für alle spürbar, wobei die EU ebenso wie andere supranationale Emittenten hiervon stärker betroffen war als diejenigen, die Government Bonds begeben. Das zeigt, dass die EU-Bonds noch nicht im Segment der Staatsanleihen angekommen sind, wir befinden uns aber auf dem Weg dorthin. Heute sind wir bereits der fünftgrößte Emittent im europäischen Kapitalmarkt nach den großen staatlichen Emittenten Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien. Unsere Emissionsvolumina, unser Rating, die Sekundärmarktliquidität unserer Anleihen sowie die Art und Weise, wie wir im Primärmarkt agieren, sind sehr nahe an dem, was die Investoren von den großen staatlichen Emittenten kennen und erwarten. Diese Einschätzung teilt auch die Europäische Zen­tralbank. Sie hat dementsprechend angekündigt, unsere Anleihen vom 29. Juni 2023 an bei der Bewertung der notenbankfähigen Sicherheiten wie Staatsanleihen zu behandeln. Für uns ist das ein weiterer wichtiger Schritt auf dem Weg vom „Supranational“ zum „Super-Sovereign“.

Planen Sie weitere Schritte, um die EU-Papiere im Markt für Staatsanleihen zu etablieren?

Zusammen mit der einheitlichen Finanzierungsstrategie haben wir zwei weitere konkrete Maßnahmen angekündigt, die unsere Papiere stärken werden. Zum einen werden wir im Laufe der nächsten Monate gemeinsam mit unseren Primary Dealern ein System einführen, das für sie Anreize schafft, unsere Bonds auf elektronischen Handelsplattformen regelmäßig zu quotieren. Dieses System, das von der zweiten Jahreshälfte an greifen soll, wird unsere Sekundärmarktliquidität weiter verbessern. Zum anderen haben wir ein internes Projekt gestartet, um selbst aktiver Teilnehmer im Repomarkt werden zu können. Damit werden wir unseren Primary Dealern unsere Bonds temporär überlassen können und sie somit dabei unterstützen, Liquidität im Sekundärmarkt bereitzustellen.

Was bedeutet die einheitliche Finanzierungsstrategie nun konkret für Ihr Funding im Jahr 2023? Wird sich die Laufzeitenstruktur verändern?

Wir werden unsere bisherige Strategie fortsetzen: Alle Aktiva, die wir finanzieren, sind langfristiger Natur – somit können wir weiterhin regelmäßig auf der gesamten Kurve von drei bis 30 Jahren im Markt aktiv sein, bestehende Bonds aufstocken und neue Bonds begeben.

Wie verteilt sich das Funding-Volumen auf den Jahresverlauf, und warum nehmen Sie ein Frontload vor?

Ein Finanzierungsbedarf von 80 Mrd. Euro erfordert eine gleichmäßige Verteilung über das Halbjahr: Wir haben daher acht Bond-Auktionen und sieben syndizierte Transaktionen über sechs Monate gestreut. Wir planen also kein explizites Frontloading innerhalb dieses Zeitraumes, vielmehr berücksichtigen wir die Aufnahmefähigkeit des Marktes und die geplanten Auszahlungszeitpunkte, um die Kosten des Liquiditätsmanagements gering zu halten. Unser Bill-Programm gibt uns dafür zusätzliche Flexibilität. Indem wir mehr Auktionen und Syndizierungen als im Vorjahr einplanen, können wir trotz des erhöhten Finanzierungsbedarfs das durchschnittliche Volumen pro Transaktion reduzieren. Damit tragen wir einerseits den erwarteten schwierigeren Marktbedingungen Rechnung, andererseits können wir so eine gleichmäßige Marktpräsenz zeigen.

Wie gestaltete sich 2022 für die EU an den Anleihemärkten? Schließlich war es ein Jahr ohne Quantitative Easing – QE – der Zentralbanken, und wie sind Sie mit den gestiegenen Zinsen beziehungsweise Bondrenditen zu­rechtgekommen?

Ich denke, wir sind sehr gut durch das Jahr gekommen – besonders wenn man berücksichtigt, dass 2022 für alle Emittenten kein einfaches Jahr war. Die Überzeichnungen der Orderbücher sind generell gesunken, während die Prämien für Neuemissionen stiegen. In diesem Kontext hielten sich die Überzeichnungen unserer Orderbücher überdurchschnittlich, während unsere Neuemissionsprämien marktüblich waren. In beiden Halbjahren des vergangenen Jahres haben wir das angekündigte Finanzierungsvolumen von je 50 Mrd. Euro für NGEU erfüllt. Zusätzlich haben wir 7,2 Mrd. Euro am Markt beschafft, um die Ukraine zu unterstützen. Außerdem konnten wir das Sure-Programm mit einer erfolgreichen Syndizierung über 6,5 Mrd. Euro im Dezember erfolgreich beenden. Darüber hinaus haben wir unsere Auktionen weiterentwickelt, indem wir in der zweiten Jahreshälfte das Auktionsvolumen auf vier Milliarden pro Auktion erhöht und das Format der Dual-Bond-Auktion eingeführt haben. Die gestiegenen Zinsen haben auch zusätzliches Interesse erzeugt, so dass wir unsere Investorenbasis verbreitern konnten.

Wie ist das Investorenfeedback in dieser Zeit ausgefallen?

Wir sind in sehr engem Kontakt mit unseren Investoren und begrüßen das Feedback, das wir regelmäßig bekommen. Es bestärkt uns, den eingeschlagenen Weg fortzusetzen und im Stil eines staatlichen Emittenten zu agieren. Dazu gehört die verlässliche und transparente Kommunikation. Auch für die Einführung des „Next Generation EU Green Bond Dashboard“ gab es sehr viel positive Rückmeldung. Dabei handelt es sich um ein interaktives Tool auf unserer Internetseite, das es den Investoren erlaubt, sich nahezu in Realtime über die Ausgaben zu informieren, die wir mit den grünen Anleihen finanzieren. Wir sind aber ebenfalls dankbar für Anregungen, unseren Marktauftritt weiterzuentwickeln. So gehen die angekündigten Initiativen zur Stärkung unseres Sekundärmarkts unter anderem auf Gespräche mit unseren Investoren zurück. Man darf nicht vergessen, dass wir erst vor etwa 18 Monaten mit der diversifizierten Finanzierungsstrategie für NGEU begonnen haben. Wir haben in dieser Zeit viel erreicht, und wir sind noch nicht am Ziel.

Was ist im Rahmen des Green-Bond-Auftritts der EU für das Jahr 2023 geplant?

Auch nach Einführung der einheitlichen Finanzierungsstrategie werden wir Next Generation EU Green Bonds emittieren. Es bleibt bei unserem Versprechen, 30% von NGEU durch die Emission grüner Anleihen zu finanzieren. Dafür wird es natürlich weiterhin die eigene Kennzeichnung dieser Bonds geben – zur deutlichen Unterscheidung von unseren konventionellen Anleihen. Im vergangenen Jahr waren wir bereits der größte Emittent grüner Anleihen gemessen am jährlichen Emissionsvolumen. Wir sind uns bewusst, dass diese führende Rolle im Markt für grüne Anleihen uns eine besondere Verantwortung verleiht. Für unsere Investoren ist es wichtig, dass sie transparent nachvollziehen können, in welche nachhaltigen Projekte ihre Gelder geflossen sind. Deshalb haben wir zusätzlich zum ‚Next Generation EU Green Bond Dash­board‘ im Dezember den ersten Bericht veröffentlicht, in dem völlig transparent aufgeschlüsselt ist, wie genau wir die Gelder im Rahmen des Programms für grüne Anleihen verwendet haben. Der nächste Schritt ist nun das Impact-Reporting, an dem die Arbeiten bereits begonnen haben.

Sie planen auch die Einführung des EU Issuance Service – EIS – dieses Jahr. Was sind die Einzelheiten?

Mit der Einführung des EU Issuance Service werden wir das Settlement unserer Emissionen umstellen. Wir werden künftig die vom Eurosystem bereitgestellte Infrastruktur Target und Target2S nutzen und dadurch das Settlement in Zentralbankgeld durchführen können. Das erhöht die Sicherheit bei den Transaktionen. Gleichzeitig stehen unsere Anleihen dann direkt in Target2S zur Verfügung, was die Übertragung der Papiere im Sekundärmarkt sowie ihre Nutzung als Sicherheit bei Geschäften mit der Zentralbank erleichtert. Durch die Einführung des EU Issuance Service erreichen wir auch hier einen Standard, der dem der großen Emittenten von Staatsanleihen entspricht. Aber auch hier gehen wir noch einen Schritt weiter: Dank der besonderen Struktur des EU Issuance Service, bei der die belgische Zentralbank als Zentralverwahrer für uns als Emittent agiert und sich verpflichtet hat, unsere Wertpapiere nur über andere nationale und internationale Zen­tralverwahrer weiterzureichen, erreichen wir ein Höchstmaß an Wettbewerbsneutralität.

Das heißt?

Alle Zentralverwahrer haben den gleichen Zugang zu unseren Papieren, und alle Investoren wiederum haben den gleichen Zugang über ihren Zentralverwahrer, es gibt also keinerlei Vorteile für bestimmte Zentralverwahrer oder Investoren, wie zum Beispiel aufgrund ihrer nationalen Ansässigkeit. Der EU Issuance Service ist also eine wirklich europäische Lösung.

Das Interview führte

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