Frauen krempeln die Kryptowelt um
Von Björn Godenrath, Frankfurt
Jede Branche erlebt die Zeit ihres Erwachens für inklusive Strukturen zu ihrem eigenem, in der Regel verspäteten Zeitpunkt. Während der Fortschritt von „female finance“ vor allem am Aufrücken in das C-Level gemessen wird, geraten Führungspositionen ein, zwei Ebenen darunter häufig schon aus dem Blickfeld. Doch infolge hartnäckiger Bemühungen, flankiert von gesetzlichen Regelungen, ist allerdings Bewegung entstanden. Mittlerweile finden sich in der Finanzbranche zahlreiche Vorbilder für junge Frauen, und es existieren Kapitalvehikel, die sich in Frauenhand befinden und Investment-Themen aus ihrer Perspektive heraus adressieren. Umso bedauerlicher, dass sich in der Fintech-Szene vor allem Männerclubs gebildet haben: Männliche VCs investieren in Start-ups ihrer Bekannten aus Studienzeiten und animieren andere junge Kerle, ebenfalls Fintech-Millionär zu werden.
Ein wenig differenzierter läuft es im vom Open-Source-Gedanken geprägten Kryptobereich ab, wo Frauen sich von Anfang an Gehör verschafft und sich – wenn auch als Minderheit – digital vernetzt haben und über informelle Netzwerke Reichweite gewonnen haben. Einige sind selbst auf Venture-Capital-Seite aktiv und rücken in die Nähe einer Partnerposition auf oder haben eigene Vehikel auf den Weg gebracht. Andere sind in Investmentfirmen oder bei Handelsplattformen tätig, so wie Alesia Haas als CFO bei Coinbase, wo sie einen milliardenschweren Börsengang managte. Solche Vorreiter braucht die Kryptobranche – drei von ihnen, die ihren Weg gefunden haben und dazu beitragen, dass „female finance“ in allen Facetten Gehör findet, stehen derzeit besonders im Fokus. Und eine davon ist noch lange nicht volljährig, aber so großartig, dass man sie gar nicht ignorieren kann.
Meinungsstarke Stimme
Eine der einflussreichsten Stimmen der Kryptobranche gehört Meltem Demirors. Mit einem MBA der Kaderschmiede MIT Sloan School of Management in der Tasche wurde sie Vice President of Development beim Kryptoriesen Digital Currency Group und baute ein ertragreiches Portfolio mit auf. Vorher hatte sie schon für einen Ölmulti im Treasury Management gearbeitet, ein Auge auf Bitcoin warf sie erstmals in ihrer Zeit am MIT. Seit 2017 ist sie Chief Strategy Officer beim Digital-Asset-Spezialisten Coinshares, wo sie an der Seite von Chairman Daniel Masters arbeitet; er ist der Ex-Mann von Blythe Masters, die 2015 als erste Promi-Frau mit Digital Asset Holdings in den Blockchain-Bereich vordrang, aber Ende 2018 auf eigenen Wunsch als CEO ausschied. Der Legende nach war es Daniel Masters, der bei Blythe die Neugier für Blockchain als Infrastruktur am Kapitalmarkt weckte. Ihre ehemalige Firma baut das Post-Trade-System der australischen Börse ASX, und auch bei der Deutschen Börse ist Digital Asset Holdings als Partner für den Bereich elektronische Wertpapiere dabei.
Bei Coinshares hat Demirors ein Umfeld gefunden, in dem sie ihre profunde Sachkenntnis einbringen und sich ihrem Temperament entsprechend entfalten kann: Davon hat sie viel, was ihre Auftritte als Expertin bei CNBC, Bloomberg TV und anderen Sendern sowie Konferenzen bezeugen. Demirors verblüfft Gesprächspartner mit ihrer Gedankenschnelle und ist immer für einen Spaß zu haben. Ihre Twitter-Bio „I like sci-fi books, #bitcoin, and talking with my hands“ unterstreicht ihre positive Energie und Offenheit, mit der sie Menschen mitreißt. Viele andere Frauen aus der Finanzszene suchen den Austausch mit Demirors, indes zeigte sie einer Investment-Kollegin einst mit den Worten „Girl, we talked about this“ die Grenzen auf, als die beiden sich bezüglich einer Investmentstrategie uneins waren: Wer natürliche Autorität besitzt, kann einen vertraulichen und doch entschlossenen Umgangston anschlagen.
Am besten bekannt ist Demirors als Vorkämpferin für Bitcoin. In Bezug auf die führende Digitalwährung springt sie häufig in die Bresche, um falschen Aussagen zum Energieverbrauch des Mining zu widersprechen. Über ihr eigenes Investment-Vehikel Athena Capital ist sie mitunter auch in Firmen wie Compass Mining investiert, die ebenfalls zum Coinshares-Portfolio gehören. Ihre Anlageentscheidungen teilt sie transparent mit und diskutiert diese auch mit anderen Nutzern auf Twitter.
Einfache Herkunft
Über ihren Lebensweg und ihre Wurzeln hatte sie im April 2015 in dem Medium-Beitrag „Reflecting on the Journey Thus Far“ Auskunft gegeben. Leser erhalten einen Eindruck davon, was sie – neben ihrem natürlichen Talent – so stark gemacht hat: Ihre Eltern stammen aus einem kleinen Dorf in der südlichen Türkei, das in einem Tal des Taurus-Gebirges ohne Zugang zu Strom und fließendem Wasser gelegen ist. Ihr Vater ging Ende der 1970er Jahre zum Studieren nach Großbritannien, ihre Mutter, die einen Abschluss in Buchhaltung besitzt, folgte ihm später. Im Jahr 1984 kam das erste Kind, Meltems älterer Bruder, zur Welt, knapp drei Jahre später wurde die heutige Krypto-Vorreiterin geboren. Die Familie ging 1987 in die Niederlande und mit der dann zehnjährigen Meltem in die Vereinigten Staaten, wo sie sich in einem kleinen Ort in Michigan ansiedelte. Die von ihrer Mutter immer bestärkte Meltem verschlug es zur Ausbildung nach Houston, sie machte dort einen Abschluss in Finanzmathematik an der Rice University, wo sie getrieben von ihrer unstillbaren Neugier anfing, größere Träume zu träumen. Es folgten dann aber erst drei Jahre bei der Beratungsgesellschaft Deloitte, bevor Demirors ihre Ideen zum Gestalten nerdiger Innovationen mit Revolutionspotenzial in die Tat umsetzte – und das mit Sendungsbewusstsein.
Bitcoin-Skalierung als Ziel
Die im Moment vielleicht wichtigste Frontfrau der Kryptobranche ist Elizabeth Stark, Mitgründerin und CEO der Lightning Labs. Dort wirkt die aus dem New Yorker Stadtteil Brooklyn stammende Stark an entscheidender Stelle daran mit, die Payment-Funktionalität von Bitcoin skalierbar zu machen. Mikrozahlungen können über das Lightning Network blitzschnell und günstig abgewickelt werden. Das Netzwerk hat zuletzt zusätzliches Wachstumspotenzial gewonnen, da Twitter eine neue Funktion eingeführt hat: Über die Plattform können Nutzer mit einem auf Lightning basierenden Zahlungsdienst Trinkgelder an andere Nutzer senden.
Schon seit Jahren ist Elizabeth Stark als Vordenkerin und Architektin einer freien Informationsstruktur auf kleinen Workshops und großen Konferenzbühnen unterwegs: So hatte sie auf dem Blockstack Summit im Jahr 2017 den Anspruch formuliert, dass Bitcoin und Web 3.0 eine „opportunity to re-decentralize the Internet“ seien. Beobachter wissen: In den USA wurde den entstehenden Internetriesen kartellrechtlich freie Hand gelassen, so dass sie die monolithischen Silos schaffen konnten, aus denen heraus sie mit der Kontrolle des Plattformzugangs eine Ausbeutung der Datenströme betreiben.
An dieser Stelle kommen Distributed-Ledger-Technologien ins Spiel. Diese schaffen die Grundlage dafür, dass Daten dem Nutzer selbst gehören und sie digitales Geld peer-to-peer senden und empfangen können. Ihre Leidenschaft für freie Informationsnetze entdeckte Stark in ihrer Zeit an der Harvard Law School, während der sie Inhalte zum „Journal of Law & Technology“ beisteuerte und die „Harvard Free Culture Group“ gründete. Wie viele ihrer Kollegen aus der Bitcoin-Szene ist auch sie eine Überzeugungstäterin, die daran glaubt, dass Bitcoin und Blockchain allgegenwärtig sein werden wie die E-Mail. Sie bleibt aber immer verbindlich und gelassen in ihren Ausführungen und hebt sich so von toxischen Bitcoin-Maximalisten ab.
Die Themen ihrer Vorträge reichen von Cyberrecht und geistigem Eigentum über elektronische Musik bis hin zu offenen Software-Protokollen. Neulich berichte ein US-Software-Unternehmer, wie er vor Jahren Tausende Meilen flog, um abends einen Vortrag von Elizabeth Stark zu Lightning in einem grauen Seminarraum zu verfolgen. Er denke heute mit Freude daran, dass er damals den richtigen Riecher gehabt habe.
Während neben Meltem Demirors und Elizabeth Stark viele weitere Frauen wie Investmentexpertin Lyn Alden aktiv das Finanzsystem gestalten, hat sich eine sehr junge Dame schon positioniert, um eines Tages vielleicht selbst mitzuspielen. Die Rede ist von Lily Knight, die als Dreijährige mit ein wenig Hilfe ihrer Eltern ein großes Publikum mit ihren über Twitter verbreiteten Videos zu Bitcoin gefunden hat. Wie Bitcoin funktioniert, demonstriert Lily mit Hilfe von Skittles, das sind in Klarsichthüllen aufbewahrte Fruchtgummis. Um sie herum sind ihre Freunde Teddy, Unicorn und Dolly versammelt, und alle haben Bitcoin repräsentierende Fruchtgummis in einem eigenen Beutel, Lily natürlich auch: „This is my wallet.“ Und dann wandert ein Bitcoin-Fruchtgummi nach dem anderen in Lilys Wallet, die größte Freude bricht aus bei der Teddy-Transaktion, die sofort auf der spielerischen Blockchain eingetragen wird. Abschlussstatement: „I love Bitcoin ... and Skittles.“
Es ist Lilys Show
Auch einige Wirtschaftspromis wie Microstrategy-CEO Michael Saylor waren schon zu Gast bei Lily. Der Star der Twitter-Show zieht mit den Eltern gut behütet um die Welt, besuchte irgendwo eine Montessori-Schule/Kindergarten und hat zuletzt in Spanien die Zelte aufgeschlagen. Ihre Eltern haben ihr schon früh ein Wallet mit Bitcoin eingerichtet, deshalb steht in der Twitter-Bio „HODLer since birth“ – der Begriff HODL steht für die Überzeugung, dass man mit Bitcoin nicht kurzfristig spekuliert, sondern diesen Bestand mit der Philosophie des „stacking sats“ hält und ausbaut. „Sats“ ist die Abkürzung für die kleinste Bitcoin-Einheit der Satoshis. Lily weiß das alles, da ihre Eltern schon sehr früh ein kleines Kapitel Finanzbildung mit ihr veranstaltet haben – ihre Zuschauer haben aber nicht den Eindruck, dass Druck auf die Kleine ausgeübt wird; sie hat eine kindliche Form der Begeisterung für die Kryptowelt entwickelt und lernt, die Konzepte von Besitz und Wertschöpfung zu verstehen.
Niemand weiß, was eines Tages aus der kleinen Lily wird; aber ihre Fans gewinnen den Eindruck, dass sie gute Voraussetzungen erhält, um ein selbstbestimmtes Leben zu führen – im besten Fall als eine von vielen jungen Frauen wird, die in die Fußstapfen von Meltem Demirors und Elizabeth Stark treten können, wenn sie es denn wollen. Denn eines haben die Frauen der Kryptoszene jedenfalls gemeinsam: den Drang nach Freiheit und Autonomie.
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