Delta-Virusvariante

Für den Dollar liegen neue Risiken voraus

Für den Dollar birgt die nachlassende Dynamik der US-Impfkampagnen Risiken. Schwellenländerwährungen stehen indes zwar noch unter Druck, könnten aber von einem erholten Risikosentiment profitieren.

Für den Dollar liegen neue Risiken voraus

Von Sonja Marten *)

In den vergangenen Wochen hat die Angst vor der schnellen Ausbreitung der Corona-Delta-Variante das Sentiment an den Finanzmärkten zunehmend dominiert. Die Renditen deutscher und amerikanischer Staatsanleihen sind deutlich gefallen, der Dollar-Index und der Yen haben an Wert gewonnen, während der Aktienmarkt zumindest einige wackelige Momente durchlebte – eine klassische Risk-off-Bewegung, wie sie im Buche steht. Während Regierungen in der Vergangenheit jedoch mit zum Teil strengen Lockdown-Maßnahmen auf steigende Neuinfektionen reagiert haben, ermöglicht die zunehmende Impfquote nun eine etwas entspanntere Haltung. Die nächste Coronawelle wird wohl kommen (oder ist sogar bereits da), neue flächendeckende Lockdowns dürften aber ausbleiben. Der Konjunkturausblick wird nicht gänzlich unbeeinträchtigt bleiben, eine Rückkehr zu den Verhältnissen des vergangenen Jahres ist aber unwahrscheinlich. Das aktuelle Risk-off-Sentiment sollte vor diesem Hintergrund nicht dauerhaft anhalten. Dennoch wird diese aktuelle Phase der Unsicherheit Spuren hinterlassen.

Mutationen als Belastung

Zum einen bleibt die Erkenntnis, dass wir Corona auf absehbare Zeit nicht besiegen werden – trotz vorhandener Impfstoffe. Eine mangelnde Impfbereitschaft und die schnelle Mutationsfähigkeit des Virus bedeuten, dass uns das Thema Corona wohl noch (sehr) lange Zeit beschäftigen wird. Damit erweisen sich zum Teil gehegte Hoffnungen, dass sich der Post-Corona-Boom des Jahres 2021 auch in die kommenden Jahre erstrecken könnte, als zu optimistisch. Die Angst, dass neue Mutationen die Wirksamkeit der Impfstoffe deutlich beeinträchtigen könnte, wirkt als zusätzlicher Belastungsfaktor.

Zum anderen unterstreicht die aktuelle Entwicklung die weiterhin hohe Abhängigkeit von der expansiven Geldpolitik. Umso länger die Angst vor Delta besteht, desto mehr dürfte sich die Meinung verstärken, dass Fed, EZB & Co. ihre ultraexpansive Gangart äußerst vorsichtig werden auslaufen lassen können oder müssen. Aus Sicht der Zentralbanken hat die aktuelle Neubewertung der Gesamtlage damit durchaus auch etwas Gutes: Die etwas vorsichtigere Einschätzung der konjunkturellen Perspektiven (und damit einhergehend auch das geringere Risiko eines nachhaltigen dynamischen Inflationsanstiegs), verschafft ihnen etwas Luft zum Atmen. Die Inflationssorgen sind sicherlich nicht aus der Welt, sie haben aber zumindest etwas von ihrer Dringlichkeit verloren und stehen nicht mehr ganz so stark im Rampenlicht.

Dies wird auch an den Reaktionen auf die Ankündigung der neuen Strategie der EZB deutlich. Die „Öffnung“ des Inflationsziels in beide Richtungen ist zwar symmetrisch, das Hauptaugenmerk liegt aber sicherlich auf dem Potenzial für höhere Inflation. Die geldpolitischen Falken haben dies wenig überraschend als Anlass genommen, vor einer „davongaloppierenden Inflation“ zu warnen. Der Finanzmarkt jedoch ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Hier gibt es keinerlei Anzeichen dafür, dass die Öffnung des Inflationsziels unter Marktteilnehmern größere Besorgnis ausgelöst hätte. Ein klares Zeichen dafür, dass der Markt weiterhin bereit ist, dem Mantra von der temporären Inflation Glauben zu schenken. In der Eurozone wird dieser Glaube in einer Woche sicherlich auf die Probe gestellt, wenn die EZB ihre erste Pressekonferenz unter der neuen Strategie abhält. Zwar werden Ratsmitglieder es nicht müde immer wieder zu betonen, dass das neue Inflationsziel „einfacher“ ist, viele Fragen bleiben jedoch offen. Und Christine Lagardes Kommentare vom Wochenende dürften kaum dazu beigetragen haben, die Transparenz zu erhöhen oder mehr Klarheit zu schaffen.

Renditen nur langsam erholt

Solange die erhöhte Risikoaversion anhält, ist davon auszugehen, dass Bund- und Treasury-Renditen auf relativ niedrigen Niveaus handeln (die Lücke zwischen Renditen und aktueller Inflation also sehr groß bleibt) und sich das Risk-off-Sentiment auch in weiterhin soliden Dollar- und Yen-Notierungen sowie fragilen Schwellenländerwährungen niederschlägt. Lässt die akute Sorge über Delta nach, werden diese Trends zwar auslaufen, von einer schnellen Gegenbewegung ist, zumindest was die Renditen betrifft, ist allerdings nicht auszugehen – eben weil der Glaube an eine vorsichtigere Herangehensweise der Zentralbanken gestärkt aus dieser Phase der Unsicherheit hervorgehen wird. Somit ist durchaus vorstellbar, dass die Renditen sich nur langsam von ihren Rücksetzern erholen bzw. die Korrektur schnell an Dynamik verliert.

Was den Währungsmarkt be­trifft, könnte dies anders aussehen. Für den Dollar birgt insbesondere die rapide nachlassende Dynamik der Impfkampagne in den USA neue Risiken. Von der Erreichung der Herdenimmunität sind die USA zwar statistisch nicht allzu weit entfernt, sie erscheint jedoch angesichts der mangelnden Impfbereitschaft fast unerreichbar. Bereits in der vergangenen Woche war zu beobachten, dass der Dollar-Index keine neuen Gewinne verbuchen konnte, obwohl die Risikoaversion hoch blieb und die Treasury-Renditen weiter fielen. Der Fokus scheint sich also bereits von Risk-off hin zu fundamentalen Faktoren (unter an­derem der weiter fallende US-Real­zins) zu verschieben. Dies gilt zwar (noch) nicht für die Schwellenländerwährungen, die nach wie vor unter Druck stehen. Erholt sich das Risikosentiment jedoch, dürften auch sie dynamisch reagieren – insbesondere dann, wenn die Erwartungen einer schnelleren Abkehr von der ultraexpansiven Geldpolitik auf globaler Ebene nachhaltig gedämpft bleiben.

*) Sonja Marten ist Leiterin Devisen-Research bei der DZ Bank.