Wachstumswerte

Growth-Anleger wittern Morgenluft

Die Aussicht auf langsamere Zinserhöhungen durch die Fed verleiht Growth-Investoren Hoffnung. Analysten glauben allerdings an den langfristigen Vorteil von Value-Anlagen.

Growth-Anleger wittern Morgenluft

Von Alex Wehnert, Frankfurt

Nach schwierigen Monaten wittern Growth-Investoren derzeit wieder Morgenluft. Hoffnung weckt bei ihnen insbesondere, dass die Federal Reserve im Protokoll zu ihrer November-Zinssitzung ein vorsichtigeres Zinserhöhungstempo in Aussicht stellt. Schließlich belasten die starke geldpolitische Straffung der US-Notenbank und die steigenden Finanzierungskosten Wachstumswerte mit luftigen Bewertungen im bisherigen Jahresverlauf besonders. Die Spekulation darauf, dass die Falken innerhalb der Fed ihres restriktiven Kurses müde werden, haben den MSCI World Growth Index bereits in den vergangenen Wochen gestützt: Seit Mitte Oktober, als das Protokoll zur September-Sitzung der Währungshüter veröffentlicht wurde, hat das Barometer um über 12% zugelegt

Seit Jahresbeginn gerechnet notiert der Wachstumswerte-Index indes noch mit 26% im Minus und hinkt seinem Value-Pendant somit weit hinterher – die Analysten des Produktanbieters Leverage Shares gehen nicht davon aus, dass sich die Performancelücke zwischen Growth- und Fundamentalwert-Strategien innerhalb der kommenden Monate schließt. Die Inflationsbekämpfung bilde für die Fed weiterhin die oberste Priorität, womit wahrscheinlich sei, dass die Anleiherenditen insbesondere in den USA weiter anzögen und anschließend auf hohem Niveau blieben – auch die Investoren am Markt für Übernachtzinsswaps positionierten sich bereits entsprechend. Bei attraktiveren Renditen auf Festverzinsliche würden typischerweise Mittel aus dem Aktienmarkt abgezogen, was gerade hoch bewertete Titel wie Big-Tech-Aktien belaste.

Fundamentale Sorgen

Hinzu kommt die schwächere fundamentale Entwicklung der Branchenvertreter. Der trübe Ausblick für die globale Konjunktur und die damit einhergehende sinkende Ausgabebereitschaft von Konsumenten und Kunden im Werbegeschäft setzen Tech-Riesen wie Alphabet und Meta Platforms zu. Auch der E-Commerce-Riese Amazon lag mit seinen Erlösschätzungen für das Schlussquartal zuletzt weit unter den Markterwartungen.

Der massive Job-Abbau im Big-Tech-Segment trägt laut Analysten ebenfalls nicht dazu bei, die Anlegerstimmung zu heben. Meta Platforms kündigte Anfang des Monats mehr als 11000 Entlassungen an, Amazon könnte wohl 10000 Stellen streichen, um Kosten zu drücken. Beim von Milliardär Elon Musk über- und von der Börse genommenen Kurznachrichtendienst Twitter musste zuletzt gar die Hälfte der Belegschaft gehen. Analysten führen den singapurischen Internetkonzern Sea als Beispiel dafür an, dass Tech-Konzerne durch radikale Einsparungen durchaus wieder attraktiver für Anleger werden können. Das Unternehmen, das eine E-Commerce-Plattform für den südostasiatischen Markt und einen Videospiele-Publisher betreibt, begrenzte seine Verluste im dritten Quartal drastisch und übertraf damit die Markterwartungen. In der Folge sprang der Kurs der in New York gelisteten Sea am Dienstag der vergangenen Woche binnen eines Handelstages um 36%, aktuell liegt der Titel rund 20% über den Anfang November verzeichneten Niveaus.

Investoren, deren Risikofreude im laufenden Jahr unter der Liquiditätsverknappung an den Märkten gelitten hat, tun Sea indes als positiven Ausreißer ab. Ihr Fokus liegt vielmehr auf den großen amerikanischen Growth-Werten – und dass der Appetit auf diese derzeit kaum ausgeprägt ist, zeigt auch die jüngste globale Fondsmanagerumfrage der Bank of America. Denn deren Teilnehmer haben, sofern sie noch zu Exchange Traded Funds auf Aktien griffen, zuletzt vorrangig auf Indexfonds mit dem S&P 500 als Basiswert gesetzt.

Abflüsse aus Large Caps

Auf ein kleineres Portfolio an Large Caps konzentrierte Vehikel verzeichneten im Umfragezeitraum Anfang November indes Nettomittelabflüsse. Die Investoren setzten also lieber auf den breiten Markt als auf die Gruppe an Technologie- und Internetwerten, die während der langanhaltenden Growth-Rally zwischen März 2020 und Ende 2021 den Großteil der Wertschöpfung an der Wall Street generierten.

Allerdings zeigen detailliertere Daten vom ETF-Markt, dass die Investorenstimmung durchaus stärker schwankt als vielfach angenommen. Zwar sind Value-ETFs laut dem Informationsdienstleister Bloomberg Intelligence im laufenden Jahr mit Nettomittelzuflüssen von insgesamt fast 56 Mrd. Dollar wesentlich beliebter als Growth-Vehikel, die auf 34 Mrd. Dollar kommen. Jedoch verzeichnen börsengehandelte Fonds auf Wachstumswerte im November bisher deutlich stärkere Zuflüsse als Value-Produkte.

Niedrige Bewertungen

Eine Momentaufnahme, glauben die Analysten von Bloomberg Intelligence, die eine weitere Outperformance des Value-Faktors erwarten. Die Profitabilität der Unternehmen aus dem Segment liege gegenüber dem Median marktbreiter Indizes auf den höchsten Niveaus seit mehr als einem Jahrzehnt, zugleich fielen die Bewertungen historisch niedrig aus. Dies sei gerade im aktuellen unsicheren Marktumfeld positiv.

Auch die Schweizer Großbank Credit Suisse empfiehlt Anlegern in ihrem Investmentausblick für das kommende Jahr, sich auf Sektoren mit geringen Verschuldungsgraden, einem robustem Gewinnwachstum und hohen Eigenkapitalrenditen zu konzentrieren. Attraktiv seien zunächst Unternehmen, die dank einer hohen Preissetzungsmacht ihre Margen halten können. Sobald die Zuversicht steige, dass die Zinserhöhungen der Notenbanken ihren Zenit erreicht hätten, würden auch Wachstumswerte wie Technologieaktien wieder interessanter. Damit bleibt für Growth-Investoren wohl die entscheidende Frage, wann die Notenbanken tatsächlich umschwenken.