Erneuerbare Energien

Grüner Wasserstoff als Nachhaltigkeits-Disruptor?

Grüner Wasserstoff verfügt über das Potenzial, die Branche der erneuerbaren Energien umzuwälzen. Auch die Geschwindigkeit, in der Wasserstoff für Umbrüche sorgen könnte, darf nicht unterschätzt werden.

Grüner Wasserstoff als Nachhaltigkeits-Disruptor?

Obwohl das Konzept von Wasserstoff als Energiequelle alles andere als neu ist, war ein Einsatz in großem Maßstab – bislang – nicht möglich. Im Gegensatz zu grauem und blauem Wasserstoff wird grüner Wasserstoff durch die Elektrolyse von Wasser hergestellt, bei der Letzteres in Wasserstoff und Sauerstoff aufgespalten wird. Sofern bei diesem Prozess erneuerbare Energien zum Einsatz kommen, handelt es sich um eine emissionsfreie Energiequelle. Sollte grüner Wasserstoff also in großem Maßstab produziert werden, kann er wesentlich zur Dekarbonisierung von jenen Wirtschaftssektoren beitragen, in denen sich Emissionsreduzierungen schwierig gestalten.

Kosteneffizienz steigt

Damit Wasserstoff zu einer tragfähigen Lösung wird, sind eine stärkere Nachfrage und niedrigere Kosten vonnöten. Die Prognosen von 2021 legen einen Rückgang der Wasserstoffkosten nahe, während der Produktionsumfang ab 2030 eine deutliche Zunahme der Verbreitung in vielen verschiedenen Branchen von Chemikalien bis Brennstoffzellen für Lkw begünstigen dürfte. In einer jüngst revidierten Prognose geht Bloomberg davon aus, dass die Kosten für grünen Wasserstoff 2030 um 13% niedriger ausfallen werden als zuvor angenommen. Da sich die CO2-Preise weltweit auf hohen Niveaus bewegen, fällt das kommerzielle Potenzial von Wasserstoff als wesentliche Dekarbonisierungslösung höher aus als je zuvor. Allein zwischen Dezember 2020 und August 2021 stieg die Zahl an grünen Wasserstoffprojekten um über das Dreifache an, wobei weltweit 359 Großprojekte angekündigt wurden. Europa steht hier mit Investitionen in Höhe von 130 Mrd. Dollar an erster Stelle, doch andere Regionen ziehen nach. So hat China über 50 neue Projekte seit der Ankündigung des Landes, bis 2060 Klimaneutralität erreichen zu wollen, angestoßen. Ein Indiz zur Innovationsgeschwindigkeit bei grünem Wasserstoff und dem anhaltenden Kostenrückgang bei erneuerbaren Energien weltweit lieferte der Bericht zum dritten Quartal 2021 von NEL, dem weltweit größten Hersteller von Elektrolyseuren. Dort setzte sich die Firma bis 2025 ein Kostenziel von 1,50 Dollar/kg grünem Wasserstoff; bislang gingen Prognosen lediglich von einer Kostensenkung auf 2 Dollar/kg bis 2030 aus.

Der wohl größte Einfluss in Bezug auf den Aufstieg grünen Wasserstoffs zu einem Nachhaltigkeits-Disruptor geht von der Regierungsunterstützung aus. Regierungen rund um den Globus müssen für die Zeit nach dem Ende der fossilen Brennstoffe planen. Sie müssen Richtlinien und Vorschriften erlassen, die sowohl aus finanzieller Sicht als auch im Hinblick auf die für grünen Wasserstoff benötigte Infrastruktur sinnvoll sind. Die günstige Herstellung von grünem Wasserstoff ist eine Sache. Damit dessen Verbreitung aber auch den Netto-null-Zielen gerecht wird, muss der Vertrieb an die Endkunden zu einem im Vergleich zu fossilen Brennstoffen wettbewerbsfähigen Preis erfolgen. Um diesen Prozess zu begünstigen, bedarf es entsprechender Infrastruktur. So weisen ­beispielsweise 50% der 2021 von China geförderten Wasserstoffprojekte einen Bezug zum Transportwesen auf. Großbritannien hat im August 2021 seine Wasserstoffstrategie veröffentlicht. Sie sieht 2030 Wasserstoffproduktionsanlagen mit einer Kapazität von 5 GW vor, was einem jährlichen Gasverbrauch von mehr als drei Millionen Haushalten entspricht. Die Strategie bildet auch den Rahmen, um die Produktion, den Vertrieb, die Speicherung und die Nutzung von Wasserstoff zu ermöglichen und wirtschaftliche Gelegenheiten im gesamten Land zu nutzen. So entstehen Unternehmen, die auf die Herstellung, den Vertrieb und die Nutzung von Wasserstoff spezialisiert sind.

Weltweit gibt es über die gesamte Lieferkette hinweg 228 laufende Wasserstoffprojekte, davon 17 Produktionsanlagen im Gigawattbereich. Zwei wesentliche Übernahmen betreffen den Kauf des kanadischen Elektrolyseurherstellers Hydrogenics durch das Stromunternehmen Cummins und die Mehrheitsbeteiligung von MAN Energy Solutions am deutschen Elektrolyseurproduzenten H-TEC Systems. Interessanterweise sind auch Investitionen in riskantere Wasserstoff-Start-ups zu beobachten, die sich noch in der Frühphase befinden und den Fokus auf die ­Wasserstoffproduktion ohne Elektrolyse legen. Die Finanzierung solcher Projektentwicklungen und Inte­grationsdienste könnte auf einen reifer werdenden Sektor hindeuten. Schätzungen des Hydrogen Council zufolge könnten die Gesamtin­vestitionen in die Wertschöpfungskette bis 2030 auf über 300 Mrd. Dollar anwachsen und laut Energy Transitions Commission bis 2050 rund 15 Bill. Dollar erreichen. Die Zahlen verdeutlichen sowohl die benötigten privaten Investitionen innerhalb der Wertschöpfungskette als auch die damit verbundenen Chancen.

Fokus auf Infrastruktur

Haupthindernis für die großflächige Verbreitung von Wasserstoff ist derzeit die mangelnde Nachfrage und die geringe Akzeptanz von Wasserstoff in der Gesellschaft. Obwohl die politische Unterstützung exponentiell zunimmt, reicht sie noch nicht aus, um bis 2050 Netto-null-Emissionen im Energiesystem zu erreichen. Grüner Wasserstoff verfügt über das Potenzial, die Branche der erneuerbaren Energien umzuwälzen. Auch die Geschwindigkeit, in der Wasserstoff für Umbrüche sorgen könnte, darf nicht unterschätzt werden. Um diese Dynamik beizubehalten, sollte die Politik den Fokus aber nicht nur auf die Kostenreduzierung legen, sondern auch für die entsprechende Infrastruktur sorgen, um die erforderliche Nachfrage sicherzustellen. Unseres Erachtens ist dies mit enormen Chancen für den Infrastruktursektor verbunden. Ohne entsprechende Infrastrukturprojekte wird Wasserstoff nie großflächig zum Einsatz kommen. Der rasante Anstieg der Energiepreise könnte die politischen Bemühungen in den nächsten zwölf Monaten beschleunigen. Die Weltklimakonferenz im November dürfte mehr Klarheit in Bezug auf die politische Unterstützung und die Wachstumsdynamik grünen Wasserstoffs bringen.

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