Hellofresh muss neue Investmentstory kochen
Geld oder Brief
Hellofresh muss neue Aktienstory kochen
Von Helmut Kipp, Frankfurt
Den 8. März 2024 werden die Aktionäre von Hellofresh noch lange in schlechter Erinnerung behalten. Damals stürzte die im MDax vertretene Aktie an einem Tag 42% ab – ein historisches Kursdebakel. Denn am Vorabend hatte der Kochboxenversender eine auf ganzer Linie enttäuschende Prognose für das Geschäftsjahr 2024 veröffentlicht. Es war die zweite Gewinnwarnung binnen vier Monaten. Darüber hinaus suspendierte Hellofresh die für 2025 geltenden Mittelfristziele.
Die Auswirkungen gehen weit über eine normale Gewinnwarnung hinaus. Denn der in Berlin ansässige Konzern, der in seinen besten Zeiten um mehr als die Hälfte im Jahr oder sogar auf das Doppelte gewachsen war, verliert am Kapitalmarkt seinen Status als Wachstumsunternehmen, weil das Hauptgeschäft, der Verkauf von Kochboxen mit den Zutaten für die Zubereitung einer Mahlzeit, schrumpft beziehungsweise stagniert. Die Folge: Die Bewertung und damit der Aktienkurs schnurren zusammen. Die Firmenleitung um CEO und Mitgründer Dominik Richter sowie Finanzvorstand Christian Gärtner ist sich des zerstörten Vertrauens durchaus bewusst. Noch eine Woche später hinterließ das Duo auf einer Investorenkonferenz einen arg zerknirschten Eindruck.
Clément Genelot, Analyst von Bryan, GarnierDie langjährige Wachstumsstory von Hellofresh scheint tot zu sein.
„Investment Case vollständig ausgelöscht, keine Wachstumsstory mehr“, kommentierte der Analyst Clément Genelot von der Investmentbank Bryan, Garnier die verheerende Ad-hoc-Meldung. „Da die gläserne Decke bei der Akzeptanz von Mahlzeitenpaketen viel früher als erwartet erreicht wurde und 80% des Geschäfts nun bestenfalls stagnieren werden, scheint die langjährige Wachstumsstory von Hellofresh tot zu sein.“ Anleger investierten jetzt in ein profitables, aber rückläufiges Geschäft, gibt die Investmentbank Jefferies zu Bedenken. Zwar gebe es mit Ready-to-Eat (Fertigessen) eine neue wachstumsstarke Sparte, doch sei es schwierig, dieser eine höhere Qualität zuzumessen als den Kochboxen. Ein wenig versöhnlicher klingt Barclays-Analystin Emily Johnson, die der Firmenleitung „die offene und ehrliche Einschätzung“ zugutehält, dass man die Pandemietrends, also das von den Corona-Beschränkungen getriebene rasante Wachstum, zu stark in die Zukunft extrapoliert habe.
Keine klare Gegenbewegung
Anders als nach Kursabstürzen häufig zu beobachten zeigt die Aktie bis heute keine klare Gegenbewegung. Im Trend geht es bestenfalls seitwärts. Aktuell notiert die Aktie bei 6,60 Euro. Zum Vergleich: In der Hochphase des Corona-Booms 2021 waren es zeitweise mehr als 90 Euro. Der Börsenwert des Unternehmens, das ein Jahr lang sogar dem Blue-Chip-Index Dax angehörte, ist auf überschaubare 1,1 Mrd. Euro geschrumpft.
Das durchschnittliche Kursziel der Analysten liegt laut einer Zusammenstellung des Finanzdienstleisters Bloomberg bei 9,60 Euro. Wobei die in den letzten beiden Wochen veröffentlichten Analysen mit gut 7 Euro zu tieferen Zielwerten kommen. Die Anlageurteile sind gleichmäßig verteilt: Acht Kaufempfehlungen stehen sieben Halten- und sieben Verkaufseinstufungen gegenüber.
„Die enttäuschenden Aussichten für 2024 sind nun größtenteils verarbeitet“, meint Deutsche-Bank-Analystin Nizla Naizer. Die positiven Aspekte lägen in der Free-Cashflow-Generierung, denn der Investitionszyklus normalisiere sich.
Neue Märkte für Fertigessen im Blick
Für die Investmentbank Stifel bleibt die Visibilität im Kochboxengeschäft gering. Das zeige sich auch daran, dass Hellofresh bis dato keinen revidierten Ausblick für 2025 vorgelegt habe, konstatiert der Analyst Benjamin Kohnke. Er erwartet, dass die Sparte 2024 um 6,5% schrumpfen und 2025 wieder um 3% wachsen wird. Für das Fertigessensegment kalkuliert Kohnke mit 40% Wachstum auf 2,02 Mrd. Euro Umsatz im Jahr 2024 und weiteren 29% Erlösausweitung 2025. Die fertigen Mahlzeiten werden vor allem in den USA verkauft, in Europa steht das Geschäft noch am Anfang. „Derzeit bereiten wir den Markteintritt in mehreren europäischen Ländern vor, angefangen mit Skandinavien“, sagte CEO Richter Mitte März.
Positiv äußert sich Kohnke zur Bilanz. Sie biete noch genügend finanziellen Spielraum, um (selektiv) in Wachstum zu investieren. Gehandelt werde Hellofresh mit dem 0,21-Fachen des Umsatzes und dem 4,4-Fachen des Ebitda. Diese Bewertung liege deutlich unter den Multiples des europäischen Lebensmitteleinzelhandels (0,58 bzw. 5,8), was zeige, „dass der Markt nicht an nachhaltige Margenverbesserungen zum jetzigen Zeitpunkt glaubt“.