„Indien könnte 2025 als Underperformer enden“
Im Interview: Tilmann Galler
„Indien könnte 2025 als Underperformer enden“
J.P.-Morgan-Stratege sieht kurzfristig einige Risiken beim Subkontinent – Südkorea und Großbritannien könnten für Anleger interessant werden
J.P.-Morgan-Kapitalmarktstratege Tilmann Galler sieht einige Risiken für den indischen Aktienmarkt aufziehen. Im Interview der Börsen-Zeitung erklärt Galler, welche Aktienmärkte kurzfristig attraktiver erscheinen und welche Sektoren auch auf dem Subkontinent noch immer attraktiv sind.
Herr Galler, der indische Aktienmarkt musste sich in den vorigen Jahren weder hinter dem deutschen noch hinter dem starken US-Aktienmarkt verstecken. Kann das 2025 so weitergehen?
Wir werden, was Indien betrifft, zumindest kurzfristig etwas vorsichtiger. Indien ist zwar ein Markt, der in den vorigen vier Jahren die Region und die Performance der Emerging Markets deutlich hinter sich gelassen hat. Und es ist zusammen mit den USA einer der wenigen Märkte, die nicht nur konstant gut performen, sondern auch ähnliche Wachstumsperspektiven bieten, gerade was das längerfristige zukünftige Gewinnwachstum betrifft.
Und trotzdem werden Sie vorsichtiger?
Ja. Es gibt ein paar Komponenten, die uns vorsichtiger werden lassen. Die Bewertungen im breiten indischen Markt sind bereits recht hoch. Das bereitet uns eine gewisse Sorge. Dazu kommt ein makroökonomisches Momentum im Zusammenhang mit einer sich verändernden politischen Lage, auch mit der neuen Regierung in den USA. Der Freihandel steht unter Druck. Möglicherweise drohen Handelskonflikte mit China, die dann auch wieder Auswirkungen auf Indien haben. Aufgrund dieser schwierigen Gemengelage rechnen wir damit, dass Indien 2025 nicht die Performance liefern kann, die wir bisher gewohnt waren. Damit könnte Indien als Underperformer für 2025 enden.
Die Wahl Donald Trumps dürfte die Aktienmärkte weltweit noch länger beschäftigen. Aber könnten neue Zölle gegen China nicht womöglich sogar Vorteile für Indien bringen?
Es herrscht eine gewisse Unsicherheit, denn es kann in beide Richtungen gehen. Auf der einen Seite kann Indien von einem Trend zum Friendshoring profitieren, auf der anderen Seite kann man sich aber auch vorstellen, dass die Konkurrenz zu chinesischen Produkten, die nicht mehr ihren US-Absatzmarkt haben, größer wird. Indische Unternehmen könnten dann unter Druck geraten, weil chinesische Unternehmen versuchen, verstärkt mit sehr günstigen Angeboten und Preisen nach Indien selbst zu exportieren. Das ist also ein zweischneidiges Schwert. Es bleibt ein gewisser Unsicherheitsfaktor.
Werfen wir doch noch mal einen Blick zurück: Warum lief Indien in den vorigen Jahren denn so stark? Was hat das Land besser gemacht als die einstige Weltwirtschaftslokomotive China, aber auch als viele andere Emerging Markets?
Was in Indien sehr gut gelungen ist, ist die umfangreiche Investitionsoffensive, die die Regierung Modi gestartet hat. Wir haben erlebt, wie die Investitionsausgaben des Staates im Verhältnis zum Wirtschaftswachstum die vorigen vier Jahre von 4% auf 6% angestiegen sind. Dieser staatlich betriebene Investitionsboom ist ein Trend, der weiterhin anhält und die Gesamtwirtschaft und das Bruttoinlandsprodukt in Indien beflügelt. Das hat dazu geführt, dass wir seit der Pandemie und den damit einhergehenden Verwerfungen dort ein sehr starkes Wachstum gesehen haben. Das ist ein struktureller Vorteil, den Indien etwa gegenüber China hat.
Welche anderen Vorteile sehen Sie?
Die Rechtssicherheit verbessert die Ausgangslage für Indien. Die Freiheiten für das Unternehmertum. Dass man in Indien in der Lage ist, das Wachstum auch sehr gut in Gewinne umzumünzen. So konnten die indischen Unternehmen durch ein sehr starkes Umsatz- und Gewinnwachstum glänzen, und das hat den indischen Markt dann mit nach oben gezogen. Dadurch hat es in den vorigen vier Jahren zwei große klassische Wachstumsmärkte gegeben. Bei den Industrieländern war das der US-Markt, und auf der anderen Seite war das Indien. Aber das hat eben auch dazu geführt, dass eine Bewertungsausweitung stattgefunden hat.
Nun gelten indische Aktien ja fast schon traditionell als teuer. Sie finden aber dennoch, dass wir inzwischen auf einem Level angekommen sind, wo die Bewertungen bedenklich hoch geworden sind?
Ja. Man sollte sich dessen bewusst sein, dass mit dem überdurchschnittlichen Wachstumspotenzial eine gewisse Prämie auch gerechtfertigt ist. Das Problem ist aber, dass der indische Markt, auch wenn man ihn mit der eigenen Bewertungshistorie vergleicht, aktuell relativ weit oben im Bewertungsspektrum liegt. Beim KGV befinden wir uns jetzt im 26er Bereich, während der 15-jährige Durchschnitt knapp unter dem 20fachen liegt. Man kann auch auf das Kurs-Buchwert-Verhältnis schauen. Da werden indische Unternehmen jetzt mit dem über vierfachen Buchverhältnis deutlich über dem langjährigen Durchschnitt von 3,3 gehandelt. Da kann man sich jetzt überlegen, ob diese enorme Bewertungsprämie gerechtfertigt ist. Oder ist der indische Markt – und das ist unsere These – zurzeit seinen guten Fundamentaldaten etwas vorausgeeilt?
Wie bewerten Sie denn die Wahlen, die wir im Jahr 2024 hatten? Regierungschef Modi hat seine absolute Mehrheit verloren. Ist das ein Problem für weitere Reformen oder kann das eventuell auch noch mal ein Impuls, eine neue Chance sein?
Ich glaube, dass diese „Checks und Balances“ eine der Stärken der Demokratie sind. Es tut immer gut, wenn in die Regierungsgeschäfte auch etwas Kontrolle kommt. Dass Mehrheiten nicht immer gegeben sind, sondern man auch mal Konsens und Kompromisse suchen muss. Daher sehen wir die neue Regierungskonstellation in Indien durchaus als nichts Negatives an.
Und was sehen Sie abgesehen von den hohen Bewertungen negativ?
Wir haben jetzt eine Situation, in der das Wirtschaftswachstum etwas schwächer wird und ungünstigerweise die Inflation zunimmt. Das ist eine Kombination, die es für die Notenbank sehr schwierig macht, adäquat darauf zu reagieren. Und das macht auch die indische Rupie, die ja lange relativ stabil geblieben ist, verwundbar. Das ergibt einen gewissen Gegenwind und der sehr starke US-Dollar macht die Ausgangslage noch etwas schwieriger. Dazu kommt, dass wir unserer Ansicht nach im Small-Cap-Bereich eine leichte Bubble haben. Dort sind die Bewertungen mit dem 35-Fachen des KGVs noch höher als bei den Large Caps, gerade auch im historischen Vergleich. Das ist ein Bereich, wo Vorsicht geboten ist.
Sehen Sie denn in Indien auch noch attraktive Anlagemöglichkeiten, die westliche Investoren vielleicht noch nicht auf dem Schirm haben?
Ja, es gibt für uns weiterhin Bereiche, die in der Rally bisher etwas unter dem Radar liefen und die sich nicht ganz so dynamisch entwickelt haben. Beispielsweise ist der Finanzsektor für uns weiterhin sehr attraktiv, weil die Marktdurchdringung mit Finanzdienstleistungen in Indien noch viel weiteres Potenzial bietet. Der Prozess, dass immer mehr Inder ein Konto haben und regelmäßig Bankdienstleistungen nutzen, wurde von Modi erfolgreich beschleunigt. Das ist ein wachsender Markt, der anders als in unseren Breitengraden auch nicht von Verdrängungswettbewerb geprägt ist.
Gibt es noch weitere interessante Bereiche?
Den Technologiesektor finden wir strukturell ebenfalls attraktiv, obwohl er höher bewertet ist. Im Software-Services-Bereich gibt es indische Unternehmen, die teilweise schon Weltmarktstatus oder sogar die Weltmarktführung innehaben. So qualitativ gute Unternehmen finden wir selten in Emerging Markets.
Und in welchen Sektoren wird es schwieriger?
Ein Bereich, der sich für uns schwieriger darstellt, ist der Konsumsektor, gerade auch was Verbrauchsgüter betrifft. Da gibt es teilweise sehr hohe Bewertungen mit KGVs über 50, bei manchen Einzeltiteln ist dies sogar dreistellig. Bei allem Wachstumspotenzial, das wir sehen - aber da ist schon sehr viel Zukunft im Markt eingepreist. Das gilt auch für Industrietitel. Mit einem 40er-KGV steht der Sektor auch eher am oberen Ende des Spektrums. Längerfristiger wird Indien sicher wieder attraktiver, aber kurzfristig sehen wir zurzeit wie eingangs erläutert Gegenwind. Daher erwarten wir zunächst eine gewisse Beruhigung, auch weil indische Unternehmen erst einmal in ihre erhöhte Bewertung „hineinwachsen“ müssen.
Welche Aktienmärkte sollten Anleger 2025 denn dann auf dem Schirm behalten?
Der US-Markt ist einer, den wir weiterhin als attraktiv erachten, allerdings weniger mit den bisherigen Flaggschiffen, sondern eher mit Unternehmen aus der zweiten und dritten Reihe. Wir erwarten eine gewisse Verbreiterung. Bei den Emerging Markets sehen wir mit Südkorea einen Markt, der nach den politischen Turbulenzen mit einem enormen Discount zum Rest des Marktes gehandelt wird. Auch wenn dort politisch momentan einiges unklar ist, sehen wir, dass sich ein gewisser Konsens aufbaut, dass es ähnlich wie in Japan die Notwendigkeit gibt, den Unternehmenssektor zu ermuntern, viele der bestehenden Ineffizienzen anzugehen und zu beseitigen. Und ähnlich wie Japan ist Südkorea ein Markt, bei dem die Corporate Governance noch Verbesserungspotenzial hat, wo die Kapitalallokation eher schwach ist und wo die Maßnahmen die Rentabilität der Unternehmen und deren Bewertung steigern könnten. Das hat das Potenzial, den koreanischen Markt wieder auf die Füße zu bringen, nachdem er zuletzt stark zurückgefallen ist und einer der schlechtesten großen Emerging Markets war.
Was ist mit Europa?
In Europa finden wir den britischen Markt attraktiv. Da gibt es durchaus Wachstumsmomentum. Zudem sehen wir dort einen Aktienmarkt, der inzwischen im Vergleich zu den USA mit einem 50-prozentigen Discount notiert.
Zur Person: Tilmann Galler arbeitet als globaler Kapitalmarktstratege für
die deutschsprachigen Länder bei J.P. Morgan Asset Management in Frankfurt. Er
ist Teil des globalen „Market Insights“-Teams, das auf Basis von umfangreichem
Research für institutionelle und Retail-Kunden Informationen rund um die globalen
Volkswirtschaften und Kapitalmärkte erstellt, analysiert und Implikationen für die
Investmentstrategien ableitet.
Das Interview führte Tobias Möllers.
Das Interview führte Tobias Möllers.