Indikatoren deuten auf große Bewegungen hin
Es war eine lange und beeindruckende Weihnachtsrally. 24% gewann der Dax in der Spitze zwischen Ende September und Mitte Dezember, ehe die Notenbanken dem Anstieg ein jähes Ende bereiteten. Innerhalb von nur 16 Stunden haben zuerst die Fed und anschließend die Europäische Zentralbank die Märkte mit unerwartet restriktiven geldpolitischen Ausblicken negativ überrascht.
Die Aussicht auf länger und höher steigende Zinsen bei einer gleichzeitigen Reduzierung des EZB-Anleihenbestandes hat den Dax aus seiner Handelsspanne der vergangenen fünf Wochen nach unten ausbrechen lassen. Trotzdem bleibt gegenüber dem US-Technologieindex Nasdaq 100 im laufenden vierten Quartal eine Outperformance um stolze 12 %. Seit Jahresbeginn sind es sogar 19 %. Auch im Vergleich mit dem breiteren S&P 500 schneidet der Dax dieses Jahr deutlich besser ab.
Für ein negatives Aktienjahr gab es an sich viele Gründe: allen voran den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und die in der Folge signifikant gestiegenen Energiepreise. Die Fed hat ihren Leitzins seit März in sieben Schritten um 4,25% angepasst. Die EZB hat die Zinswende erst vier Monate später vollzogen und seitdem viermal um insgesamt 2,50% erhöht. Die günstigeren Finanzierungskosten waren ein Vorteil für die Firmen aus der Eurozone und spiegeln sich in den Kursen.
Wie geht es in 2023 weiter? Die Fed gibt in ihren Dots, den Zinsprognosen ihrer Vertreter, einen erwarteten Leitzins von 5,125% für Ende 2023 an. Das wäre eine Erhöhung um weitere 0,75%. Die EZB lässt sich zwar nicht so deutlich in die Karten schauen, Präsidentin Christine Lagarde stellte jedoch weitere 50-Basispunkte-Schritte in Aussicht. Die Börsen gehen von weiteren Erhöhungen um mindestens 1,3% aus.
Hohes Open Interest
Bedeutet dies, dass die Zeit der Outperformance an den Börsen der Eurozone vorbei ist? Große institutionelle Investoren sind tatsächlich genau so positioniert. Mit der Kursrally ist das Open Interest, die Zahl der ausstehenden Kontrakte, beim Future auf den Euro Stoxx 50 kontinuierlich gestiegen. Zuletzt hat das Open Interest den dritthöchsten Stand in der 25-jährigen Historie des Futures erreicht. Hier spricht vieles dafür, dass zahlreiche Kontrakte auf der Short-Seite eingegangen wurden, um entweder auf ein Ende der Rally zu spekulieren oder Aktienbestände gegen Kursrückschläge abzusichern. Am Optionsmarkt sind die Anleger ähnlich vorsichtig positioniert: Die Zahl der ausstehenden Put-Optionen auf den Dax hat ihr Jahreshoch wieder erreicht. Gleichzeitig übersteigt die Anzahl der ausstehenden Put-Optionen die Anzahl der ausstehenden Call-Optionen so stark wie noch nie in diesem Jahr.
Anders dagegen die Situation jenseits des Atlantiks. Das Open Interest des Futures auf den S&P 500 ist zuletzt zwar leicht gestiegen – allerdings nur in einen Bereich, der in den vergangenen Jahren regelmäßig das Jahrestief markierte. Noch interessanter ist der Blick auf die ausstehenden Optionen auf den Nasdaq 100: Hier sind aktuell mehr Call- als Put-Optionen im Umlauf. Zuletzt war dies im Jahr 2016 der Fall – und damals lagen US-Anlegerinnen und Anleger mit dieser Positionierung richtig, insgesamt ging es etwa 10% nach oben. Der Dax folgte dem Nasdaq 100 im Gleichschritt.
Dagegen zeigt eine historische Analyse deutlich höhere Risiken für die bearishe Positionierung in Europa. Höher war das Open Interest des Euro-Stoxx-50-Future auf dem Hochpunkt des Covid-Sell-offs im März 2020 sowie im September 2021. Es folgten Rallys mit einem Kursplus von 31% im Jahr 2020 und in Höhe von 24% im laufenden Jahr. Die Erklärung dahinter: Die verkauften Kontrakte mussten in den steigenden Markt hinein durch Käufe glattgestellt werden und haben die Rally so zusätzlich befeuert.
Implizite Volatilität fällt
Indes mahnen die impliziten Volatilitäten zur Vorsicht. Die kurzfristige implizite Volatilität des Dax ist zunächst deutlich gefallen und trotz der jüngsten Verluste nur leicht gestiegen. Mit einem Wert von unter 20 hat der VDax New, der Volatilitätsindex des Dax, nur eine Stunde vor der EZB-Zinsentscheidung seinen tiefsten Stand seit Januar erreicht. Dagegen ist die Zwölfmonatserwartung, der entscheidende Wert für das kommende Jahr, zunächst langsamer gefallen und jetzt schneller angestiegen. Das hat die Volatilitätsstrukturkurve deutlich steiler gemacht. Den drei großen Verkaufswellen dieses Jahres ab Februar, Juni und August ging jeweils eine ähnlich steile Volatilitätsstrukturkurve voraus. Alle Indikatoren deuten auf große Bewegungen hin. Ein langweiliges Börsenjahr wird 2023 sicher nicht.