Japan – ein Aktienmarkt mit versteckten Schätzen
Auf den ersten Blick ist Japan für Aktieninvestoren äußerst unattraktiv: Das Land leidet unter hohen Schulden und der alternden Bevölkerung. Dazu kämpft die Binnenwirtschaft noch mit den Auswirkungen der deflationären Spirale der vergangenen Jahrzehnte. Entsprechend niedrig ist das Interesse am nationalen Aktienmarkt: Auch institutionelle Anleger investieren meist nur in passiver Form, um das Benchmark-Risiko abzusichern. Ihren traurigen Höhepunkt fand diese Entwicklung in der globalen Finanzmarktkrise, als selbst nationale Investoren dem eigenen Markt den Rücken kehrten und nur noch 25% der heimischen Marktkapitalisierung hielten.
Dabei kann sich ein Blick hinter die Fassade lohnen: Gemessen am BIP ist das Land seit mehr als zwei Jahrzehnten die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt und mit einer ganzen Reihe weltbekannter Marken auch in Europa präsent. Gleichzeitig ist der japanische Aktienmarkt mit mehr als 3700 gelisteten Aktien einer der größten der Welt. Auch sonst wird der negative Eindruck, den ausländische Investoren von Japan haben, der Realität nicht mehr gerecht. So konnte die Wirtschaft seit Beginn der Abenomics Ende 2012 die jahrzehntelange Stagnation und Deflation abschütteln, und viele japanische Unternehmen haben ihre wechselseitigen Kapitalbeteiligungen abgebaut und damit begonnen, sich um Minderheitsaktionäre zu bemühen.
Hohes Alpha-Potenzial
Mit einem aktiven Investmentansatz lassen sich viele der genannten Herausforderungen umgehen. Insbesondere für Wachstumsinvestoren bietet Japan daher ein hohes Alpha-Potenzial. Viele japanische Titel stehen im Vergleich mit US-amerikanischen oder europäischen Konkurrenten sehr viel besser da: Sie sind in den letzten Jahren mehr gewachsen und haben bessere Gewinnmargen erzielt. Darüber hinaus haben sie hohe globale Marktanteile, die im Bereich von 50 bis 80% liegen, und sind sehr resistent gegenüber Marktzyklen. Der japanische Markt bietet hier eine ganze Reihe hochwertiger Unternehmen aus Hightech-Segmenten wie Robotik, Sensorik, Materialwirtschaft oder Halbleiter. Hinzu kommt eine wachsende Zahl von Unternehmen, deren Produkte zunehmend bei der aufstrebenden asiatischen Mittelschicht als trendige Lifestyle-Marken wahrgenommen werden, wie etwa die Bekleidungsmarke Uniqlo oder Kosmetika von Kosé und Pola Orbis.
Die kürzlich vollzogene Aufhebung aller Beschränkungen sowie die Wiedereröffnung des Landes für ausländische Touristen sollten sich als förderlich für die japanische Wirtschaft erweisen. Für viele Unternehmen erweist sich der Tourismus zunehmend als Wachstumstreiber, nachdem sich die Anzahl der Touristen, allen voran aus Südkorea und China, von 2012 bis 2019 von 8 Millionen auf fast 32 Millionen vervielfacht hat. Als Betreiber des drittgrößten Flughafens in Asien, des Haneda International Airport in Tokio, dürfte Japan Airport Terminal mit der Wiederbelebung der Wirtschaft und dem Anstieg der Touristenzahlen einen deutlichen Aufschwung erleben. So strebt die japanische Regierung bis zum Jahr 2030 eine Zielgröße von jährlich 60 Millionen Touristen an, was eine Steigerung von 87,5% gegenüber dem Jahr 2019 bedeuten würde.
Konsum zieht an
Auch die durch die Corona-Pandemie aufgestaute Verbrauchernachfrage beschert vielen wiedereröffneten Restaurants wie jenen der Sushi-Restaurantkette Sushiro, aber auch Geschäften und Hotels ein hohes Wachstum. So vermeldete etwa Kobe Bussan, die sich auf den Groß- und Einzelhandel von Lebensmitteln konzentriert, ein deutliches Anziehen der Umsätze. Auch der stationäre Einzelhandel profitiert von einer Wiederkehr der Offline-Konsumenten, nachdem sich der Konsum während der Pandemie-Jahre weitgehend ins Internet verschoben hatte. Dies kommt etwa Fast Retailing, der Muttergesellschaft des Textilriesen Uniqlo zugute, die nicht nur den heimischen Markt dominiert, sondern auch mit über 3500 Filialen weltweit etabliert ist.
Nicht zuletzt ist Japan einer der besten ESG-Märkte weltweit. Da das Land über kaum eigene Ressourcen verfügt, legt es einen großen Fokus auf erneuerbare Energien und die Erhaltung natürlicher Ökosysteme. Rein aus Notwendigkeit sind die Unternehmen sehr auf Nachhaltigkeit fokussiert. Dazu kommt, dass der Markt auch unter Governance-Aspekten sehr positiv auffällt – während CEOs europäischer und US-amerikanischer Unternehmen ein Vielfaches der Gehälter ihrer Angestellten verdienen, liegt dieser Wert für japanische Unternehmen sehr viel niedriger. Viele Investoren wissen jedoch nichts von diesen positiven Aspekten, da sich die Unternehmenskultur im Land stark von der in westlichen Märkten unterscheidet – die Unternehmen kommunizieren sehr viel zurückhaltender und geben weniger Informationen über sich preis. Hier zeigt sich sehr deutlich der Vorteil regionaler Teams mit lokaler Marktkenntnis.
Für aktive Investoren bietet der japanische Aktienmarkt also attraktive Investmentopportunitäten – mit einem entsprechenden Bottom-up-Ansatz lassen sich wachstumsstarke Unternehmen finden, die sowohl im Binnenmarkt als auch in den Exportmärkten sehr erfolgreich sind. Diese Attraktivität haben nicht nur nationale Investoren, sondern auch die US-amerikanische Investmentlegende Warren Buffett erkannt. So hat Buffett im Jahr 2020 für etwa 6,2 Mrd. US-Dollar etwas mehr als 5% der japanischen Konzerne Itochu, Marubeni, Mitsubishi, Mitsui und Sumitomo erworben. Vielleicht ist dies das Signal für Investoren weltweit, Japan wieder in ihren Anlagestrategien zu berücksichtigen.
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