Serie:Börsenbetreiber im Beauty Contest (2)

Schaufenster für internationale Investoren

Ob in Rumänien oder in den USA: Die London Stock Exchange lockt Börsenkandidaten, die entweder zu klein oder zu groß für ihre lokalen Märkte sind.

Schaufenster für internationale Investoren

SERIE – BÖRSEN-BETREIBER IM BEAUTY CONTEST: LONDON STOCK EXCHANGE (Teil 2)

„Schaufenster für eine internationale Investorenbasis“

Ob in Rumänien oder in den USA: Die London Stock Exchange lockt Börsenkandidaten, die entweder zu klein oder zu groß für ihre lokalen Märkte sind

Von Andreas Hippin, London

Londons Börse plagen ähnliche Probleme wie andere Handelsplätze auch: Die Zahl der notierten Gesellschaften sinkt stetig. Doch zeichnet sich eine Wiederbelebung des IPO-Geschäfts ab. Vor allem internationale Börsenkandidaten wie Canal+, Ebury und Shein zieht es an die Themse.

Verfolgt man die britischen Finanzmedien, gehen an der London Stock Exchange bald die Lichter aus. Initial Public Offerings (IPO) sind selten geworden. Attraktive Börsenkandidaten wie der britische Chipdesigner Arm gehen lieber nach New York. Und auch Firmen wie den Baustoffhersteller CRH, die einen Großteil ihres Geschäfts in den Vereinigten Staaten machen, lockt die Wall Street.

Start-ups gehen oft erst an die Börse, wenn es sich bereits um herangereifte Unternehmen mit einem beständigem Geschäft handelt. Doch der erste Eindruck täuscht. „Der Londoner Aktienmarkt gewinnt nach zwei Jahren lähmender makroökonomischer und geopolitischer Ungewissheit stetig an Schwung“, sagt Scott McCubbin, UK IPO Leader bei EY. Er rechnet mit einem Wiederaufleben der IPO-Aktivität in der zweiten Jahreshälfte und im kommenden Jahr.

Nummer 5 weltweit

„In der ersten Jahreshälfte wurden in London 18 Mrd. Pfund Eigenkapital eingeworben“, sagt Tom Attenborough, Head of International Business Development, Primary Markets bei der LSE. „Das ist grob das Dreifache dessen, was an der nächstgrößten europäischen Börse in Frankfurt eingesammelt wurde.“

London ist damit weltweit die fünftgrößte Börse zwischen den beiden US-amerikanischen und indischen Börsen. Zwei der fünf größten Aktienemissionen, dies es in diesem Jahr bislang gegeben hat, fanden in London statt. Dabei handelte es sich um Kapitalmaßnahmen des Stromnetzbetreibers National Grid und der von GlaxoSmithKline ausgegliederten Haleon.

Tiefe und Liquidität

„Das zeugt von der Tiefe des Markts und der Liquidität“, sagt Attenborough. „Das sehr erfolgreiche IPO von Raspberry Pi war so etwas wie eine Wasserscheide, was die Wahrnehmung der Lebendigkeit der Londoner Märkte angeht.“ Der Einplatinencomputer-Hersteller stammt aus dem IT-Ökosystem der Universität Cambridge, das auch den Chipdesigner Arm hervorgebracht hat. 

Die Pipeline ist gut gefüllt: Der französische Milliardär Vincent Bolloré will den Bezahlfernsehanbieter Canal+ im Zuge der Zerschlagung von Vivendi in London an die Börse bringen. Auch der Zahlungsabwickler Ebury sondiert ein IPO an der Themse.

„Internationalen Unternehmen dabei zu helfen, Zugang zu einer weltweiten Investorenbasis zu bekommen und ihre Geschichte auf einer globalen Bühne zu erzählen, war stets ein ziemlich großer Teil von dem, was London bietet.“

Tom Attenborough, Head of International Business Development, Primary Markets bei der LSE

Weltweite Investorenbasis

Aber wie verkauft man den Handelsplatz als attraktive Plattform für IPO-Kandidaten? „Wir haben einen guten Ausgangspunkt darin, dass London im Kern immer ein internationaler Markt gewesen ist“, sagt Attenborough. Etwas weniger als zwei Fünftel der Firmen am Londoner Markt seien internationale Gesellschaften. Sie hätten ihr Geschäft und ihre Firmenzentralen außerhalb des Vereinigten Königreichs.

„Internationalen Unternehmen dabei zu helfen, Zugang zu einer weltweiten Investorenbasis zu bekommen und ihre Geschichte auf einer globalen Bühne zu erzählen, war stets ein ziemlich großer Teil von dem, was London bietet“, sagt Attenborough.

Londons Märkte öffnen morgens um acht Uhr, wenn die Investoren in Asien noch im Büro sind. Sie schließen zwei Stunden nach Beginn des Handelstags in den USA. „Rechtsstaatlichkeit, eine international gängige Sprache, die Qualität des Research-Ökosystems, das Beraternetzwerk: All diese Komponenten machen London zum Börsenplatz der Wahl für Firmen aus aller Welt“, sagt Attenborough.

Börsenkandidaten aus den USA

In London gab es dieses Jahr bereits fünf internationale IPOs: die Fluggesellschaft Air Astana aus Kasachstan, European Green Transition aus Schweden und drei aus den Vereinigten Staaten (AOTI, Helix Exploration und Microsalt).

Was bringt US-Firmen nach London? „Das überrascht die Leute immer“, sagt Attenborough. „Mit unserem Wachstumsmarkt AIM haben wir einen führenden Handelspatz für Small und Mid Caps. Für Unternehmen, die sich börsenreif fühlen, aber zu klein für den US-Markt sind, ist das wirklich attraktiv.“ Jenseits des Atlantiks sei die Idee, ein IPO für eine Firma mit einer Marktkapitalisierung von 30 Mill. Dollar durchzuführen, „nicht so verbreitet“ wie in Großbritannien oder Europa.

Jede Menge Privatisierungen

„Je weiter man nach Osten geht, desto eher sieht man das Gegenteil“, sagt Attenborough. Da könne es zum Beispiel so sein, dass der lokale Markt nicht die Kapazität für ein bestimmtes Listing hat. Deshalb dächten die betroffenen Unternehmen über ein duales Listing nach. „London könnte dieses größere Schaufenster für eine internationale Investorenbasis sein“, sagt der LSE-Manager. „In Ländern wie Kasachstan und Usbekistan könnten eine Menge Privatisierungen auf uns zu kommen.“

„Es gibt auch einige dynamische Firmen aus dem Asien-Pazifik-Raum, die noch nicht an der Börse sind und die US-Märkte nicht mehr als erste Anlaufstelle sehen.“

Tom Attenborough, Head of International Business Development, Primary Markets bei der LSE.

Osteuropäische Staaten wie Rumänien und Slowenien seien wachsende Märkte mit einer Reihe von aufregenden Unternehmen. „Es gibt auch einige dynamische Firmen aus dem Asien-Pazifik-Raum, die noch nicht an der Börse sind und die US-Märkte nicht mehr als erste Anlaufstelle sehen“, sagt Attenborough.

Er sagt es nicht, aber gemeint sind wohl Firmen aus der Volksrepublik China, die an der Wall Street nicht mehr willkommen sind. Darunter befindet sich der chinesische Einwegmode-Hersteller Shein, der London als Alternative in Erwägung zieht.

Reiseführer für das Listings-Ökosystem

Doch wie kommt man an neue Firmen? „Es gibt keine einfache Antwort darauf, wie Unternehmen zu uns finden, oder wie wir sie finden“, sagt Attenborough. „Manche Firmen kommen direkt zu uns und bitten um Hilfe bei der Suche nach einem Broker der einer Bank, die sie beraten soll. Teil unserer Arbeit, insbesondere für internationale Gesellschaften, ist, ihnen dabei zu helfen, sich im britischen Listings-Ökosystem zurechtzufinden.“

Manchmal kämen die Banken zur Börse, um mitzuteilen, dass sie ein Unternehmen gefunden haben, das sie an den Markt bringen wollen. „Es könnte aus Einzelgesprächen resultieren, aus Daten, die wir uns gezogen haben, etwa wenn wir uns eine bestimmte Branche ansehen, Firmen mit dem richtigen Profil identifizieren und mit ihnen über ihre langfristigen Finanzierungsmöglichkeiten sprechen“, sagt Attenborough. „In den vergangenen Monaten hat auch das Engagement mit Private-Equity-Gesellschaften wesentlich zugenommen.“

Konferenzen und Foren

Die LSE führt auch Veranstaltungen für Unternehmen und Marktteilnehmer durch. Dieses Jahr waren darunter bereits Foren zu Europa und Zentralasien, Israel und nordischen Tech-Unternehmen, Healthcare und britischen Scale-up-Firmen. Zudem wurden Events in Ländern wie Singapur, Polen und der Türkei abgehalten.

Trotzdem ist die Zahl der am Wachstumssegment AIM notierten Firmen so niedrig wie zuletzt im Jahr 2002. Um mehr Unternehmen an die Börse zu locken, hat sich die britische Regierung zu einer umfassenden Reform des Listing-Regimes durchgerungen.

Reform des Listing-Regimes

„Die Regulierung unserer Kapitalmärkte hat sich über mehr als 30 Jahre hinweg aufgebaut“, sagt Attenborough. „Neue Regeln kamen hinzu, weggenommen wurde dabei nicht viel.“ Dass die Financial Conduct Authority diese „radikale Überprüfung“ des Listing-Regimes durchgeführt und Änderungen vorgenommen habe, sei ein sehr positiver Schritt. Regeländerungen wie die Bewegung hin zu dualen Aktienstrukturen brächten mehr Flexibilität ins Listing-Regime.

Aus Deutschland finden sich nur wenige Unternehmen auf dem Londoner Kurszettel. Tui kehrte an den Heimatmarkt zurück. Phoenix Spree Deutschland und Sirius Real Estate sind geblieben. Auch das Cleantech-Unternehmen Proton Motor Power Systems ist noch dort notiert.

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