Kolumbien könnte attraktiv werden
Von Martin Marinov *)
Vor wenigen Wochen, im Juni, gelang Gustavo Petro, dem ehemaligen Mitglied der Guerillagruppe „Movimiento 19 de Abril“, etwas, was vor ihm noch niemandem gelungen war: In einer langen Geschichte konservativer Präsidentschaften wurde er zum ersten linken Präsidenten Kolumbiens gewählt. Ein Wendepunkt in der Geschichte des südamerikanischen Schwellenlands, inmitten eines global sehr herausfordernden Marktumfeldes mit steigenden US-Leitzinsen. Ein Umfeld, das den kolumbianischen Peso seit Anfang Juni 15 Prozent seines Wertes gekostet hat.
Mit diesem Machtwechsel stellt sich Kolumbien in eine Reihe mit anderen großen Ländern Lateinamerikas, die ihre konservativen Regierungen abgewählt haben: Argentinien, Chile, Peru und auch Mexiko. In Brasilien wird im Oktober neu gewählt. Umfragen zufolge, soll auch dort der Linke „Lula“ da Silva die besten Karten für einen Sieg haben.
Ausbau des Sozialstaats
Für Investoren stellt sich nun die Frage, welche wirtschaftspolitischen Änderungen der neue Präsident umsetzen wird, denn er möchte das Land stark verändern und den Sozialstaat ausbauen. Die wichtigsten Bereiche sind der Ölsektor sowie eine Pensions- und Steuerreform. Auch wenn Kolumbien nicht zu den ganz großen Playern auf dem Ölmarkt zählt, sind die Öleinnahmen fürs Budget ganz wesentlich. In diesem Zusammenhang hat Petro bereits angekündigt, keine Neuexplorationen mehr durchführen zu wollen, sondern stattdessen nachhaltige Energieformen voranzutreiben.
Bildungsreform
Weitere Vorhaben sind die Umsetzung einer umfassenden Pensions- und Bildungsreform und der Ausbau von Sozialleistungen, was unweigerlich zu höheren Staatsausgaben führen wird. Die Lücke, die sich durch weniger Einnahmen aus der Ölförderung auf der einen Seite und den Zusatzausgaben für soziale Reformen auf der anderen Seite ergibt, möchte der neue Präsident mit einer progressiven Steuerreform finanzieren. Diese sieht die Streichung von Steuerausnahmen und eine höhere Besteuerung der höchsten Einkommen vor. Alles in allem soll die Reform ein Ausmaß von rund 5% des BIP an Mehreinnahmen bringen und ist somit ein sehr ambitioniertes Vorhaben.
Also bleibt die Frage der Umsetzbarkeit. Mittlerweile gibt es auch mehr Klarheit bzgl. der Verhältnisse im Kongress: Die regierende Koalition wird voraussichtlich 51% im Unterhaus und 49% im Senat haben. Dazu ist die Koalition bunt formiert, was radikale Änderungen unwahrscheinlich erscheinen lässt. Vielmehr wird der neue Präsident Konsensus suchen müssen. Bemerkenswert ist auch die Liste der nach und nach nominierten Ministerinnen und Minister, denn viele davon sind Expertinnen und Experten. Die Nominierungen zeigen einen umsichtigen und pragmatischen Kurs. So hat Petro für das Finanzministerium den Wirtschaftsprofessor José Antonio Ocampo gewinnen können, der sich für Kolumbien „einen fairen Kapitalismus nach westeuropäischem Vorbild“ wünscht. Für den Markt der Beste der für den Posten gehandelten Kandidaten. Die Regierung werde die Autonomie der Zentralbank respektieren und mit Ratingagenturen zusammenarbeiten, um die finanzielle Leistungsfähigkeit der Nation wiederherzustellen, so der neue Finanzminister. Ausländische Investitionen seien in Kolumbien weiterhin willkommen. Also mehr Pragmatismus.
Starke Wachstumsdynamik
Der neue Präsident Petro übernimmt das Land mit einer sehr starken Wachstumsdynamik. Kolumbien weist momentan die höchste BIP-Wachstumsrate der großen Länder der Region aus. Im zweiten Quartal des Jahres hatte der Peso aufgrund des gestiegenen Ölpreises sehr starken Rückenwind. Doch zuletzt hat sich die Dynamik gedreht. Petro hat nach knappen Umfragen gewonnen und zunächst für Unsicherheit gesorgt; die Ankündigung der US-Notenbank, ihre Leitzinsen im Laufe des Jahres aggressiv zu erhöhen, tat ein Übriges. Und die Kehrseite des starken Wachstums für Kolumbien ist das hohe Leistungsbilanzdefizit, das in Marktphasen mit geringerer Liquidität problematischer gesehen wird. Auch Kolumbien wurde von der Inflationsproblematik nicht verschont, die Notenbank musste die Zinsen stark anheben und wird es wohl weiter tun. Der Leitzins hatte jedoch bisher geringen Einfluss auf die Währungsentwicklung, vielmehr liegt der Fokus auf der politischen Änderung, der globalen Liquidität und dem Wachstum.
Solange sich das Inflationsbild in den USA nicht entspannt und sich die Rezessionssorgen somit nicht abschwächen, dürfte das für den Peso (sowie für andere Schwellenländerwährungen) negative Umfeld anhalten und die Dollar-Stärke weitergehen.
Überproportional gelitten
Sobald sich dieses globale Bild dreht, ist Kolumbien aus mehreren Gründen ein sehr attraktiver Markt. Der kolumbianische Peso hat zuletzt überproportional stark gelitten und würde daher von einer Markterholungsphase stärker profitieren. Die große Sorge, dass der Präsident einen radikalen politischen Wandel herbeiführen wird, dürfte sich entschärfen. Kolumbien bietet mittlerweile eine sehr attraktive Realverzinsung und das Wachstumsumfeld ist unterstützend. Es ist sehr wahrscheinlich, dass diese Verzinsung in einem besseren Marktumfeld die Investoren sehr stark anziehen wird.
*) Martin Marinov ist Fondsmanager im Team „Anleihen, CEE & Global Emerging Markets“ bei Raiffeisen Capital Management.