Erdgasmarkt

Krise mit Ansage

Längerfristig wird es die EU nicht vermeiden können, stabilen Lieferbeziehungen auf dem Markt für Erdgas eine höhere Priorität einzuräumen und fehlgeleitete Liberalisierungen zurückzudrehen.

Krise mit Ansage

Der enorme Anstieg des Erdgaspreises in der EU ist auf eine ganze Reihe kurz- und langfristiger Faktoren zurückzuführen. Eine der wichtigsten fundamentalen Ursachen ist der Rückgang der Produktion von Erdgas in Europa – vor allem in der Nordsee und in Norwegen. Bereits im Jahr 2019 warnte die Internationale Energieagentur IEA vor einer entstehenden und sich vergrößernden Versorgungslücke. Die EU ist in steigendem Ausmaß von Importen abhängig, mit Russland als dem wichtigsten Lieferanten.

In einer solchen durchaus misslichen Situation sollte in Europa eigentlich die langfristige Sicherung der Energieversorgung im Mittelpunkt aller Erwägungen stehen. Im Rahmen der Liberalisierung der Energiemärkte hat die Europäische Kommission jedoch andere Prioritäten verfolgt. Auch als eine Reaktion auf den russisch-ukrainischen Gasstreit der Jahre 2006/07 kam es der Kommission darauf an, zur Verhinderung von Marktmacht dominanter Anbieter wie Gazprom die Vorherrschaft langfristiger Lieferverträge zu brechen – mit der Folge, dass der europäische Spotmarkt mit seinen kurzfristigen Verträgen an Bedeutung gewann, an dem sich nach dem Vorbild amerikanischer Rohstoffmärkte auch spekulative Finanzinvestoren tummeln dürfen. Der damit entstandene Spotmarkt mit seiner hohen Liquidität hat durchaus über eine längere Zeit für niedrigere Gaspreise gesorgt. Unberücksichtigt blieb aber die beschriebene Verschlechterung der fundamentalen Versorgungslage in Europa, die nun für eine strukturelle Verteuerung des Energieträgers sorgt.

Die Krise verschärft haben kurzfristige Einflussfaktoren wie beispielsweise die aktuelle Verteuerung fast aller Energieträger. Außerdem haben sich viele europäische Gasimporteure schlicht verzockt. Sie setzten im Frühjahr und Sommer darauf, dass der Preis am Spotmarkt wieder sinkt, um dann zu niedrigeren Kosten die durch den Winter geleerten Lagerbestände kostengünstig aufzufüllen. Zu dem erhofften Preisrückgang ist es jedoch nicht gekommen. Nun sind die Lager nur unzureichend gefüllt, zumal auch US-Flüssiggas mit Blick auf die dort höheren Preise nach Asien umgeleitet wurde. Kurzfristig gibt es für die Krise kaum eine befriedigende Lösung. Europa muss sich im kommenden Winter möglicherweise auf Versorgungssperren und sogar Stromausfälle einstellen. Längerfristig wird es die EU nicht vermeiden können, sta­bilen Lieferbeziehungen eine höhere Priorität einzuräumen und fehlgeleitete Liberalisierungen zurückzudrehen.

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