Krypto-Ansteckung weitet sich aus
Von Alex Wehnert, Frankfurt
Nach dem Kollaps der Kryptobörse FTX breitet sich im Digital-Assets-Markt eine rasante Ansteckungswelle aus. So steht auch die Lending-Plattform BlockFi, die Investoren Renditen auf den Verleih von Kryptowährungen verspricht, laut Insidern kurz vor einem Insolvenzantrag. FTX hatte den Kryptodienstleister im Sommer noch mit einem Kredit samt einer Kaufoption über 240 Mill. Dollar gestützt. Unterdessen sucht der insolvente Broker Voyager, den der in die Kritik geratene FTX-Gründer Sam Bankman-Fried mittels eines 1,4 Mrd. Dollar schweren Deals retten wollte, nach einem Ersatzkäufer für seine Assets. Der Konkurrent Genesis und die Kryptobörse Gemini haben derweil die Rückzahlungen ihrer Lending-Programme gestoppt.
Aktien mit Verlusten
Die Furcht vor weiteren Zusammenbrüchen sorgt auch für Druck auf die Kurse börsennotierter Digital-Assets-Dienstleister. Die Aktie der Kryptohandelsplattform Coinbase brach zwischen Anfang November und Donnerstagabend um mehr als 28% ein – beim Softwarekonzern Microstrategy, der große Teile seiner Reserven in die führende Cyberdevise Bitcoin investiert, beläuft sich das Minus auf 37%. Noch heftiger fallen die Rücksetzer bei Minern wie Marathon Digital Holdings oder Hut 8 und der Bankholding Silvergate Capital aus – Letztere hat sich auf Kredite für und Investments in die Krypto- und Fintech-Szene spezialisiert.
Die Kursstürze rücken das Segment erneut in den Fokus von Leerverkäufern. Laut dem Informationsdienst S3 Partners haben Short Seller mit Wetten gegen börsennotierte Digital-Assets-Firmen im laufenden Monat auf dem Papier bereits 469 Mill. Dollar verdient. Die Analysten erwarten nun, dass die Short-Aktivität bei diesen Werten noch anzieht. Dabei ist der Anteil leerverkaufter Aktien in der Branche bereits hoch – bei Microstrategy summiert er sich gar auf mehr als ein Viertel der Free-Float-Marktkapitalisierung.
Dagegen gestaltet sich die Lage bei den Cyberdevisen nach den jüngsten Kursstürzen verdächtig ruhig. Bitcoin hielt sich auch am Donnerstag über der Marke von 16000 Dollar, unter die der Marktprimus in der vergangenen Woche erstmals seit November 2020 abgerutscht war.
Dass das Investorensentiment aber weiter extrem bearish ausfällt, zeigt sich am Optionsmarkt. Laut den Informationsdienstleistern The Block und Amberdata ist die Put-Call-Ratio, also das Verhältnis zwischen Verkaufs- und Kaufkontrakten, bei verschiedenen Cyberdevisen in die Höhe geschnellt. Auf der Plattform Bit.com wurden in den vergangenen Handelstagen mehr als dreimal so viele Puts wie Calls auf Bitcoin erworben. In anderen Assetklassen gilt bereits eine Put-Call-Ratio von 0,7 als Bärenmarkt-Signal, da in der Regel deutlich mehr Investoren Kaufoptionen erwerben als Verkaufskontrakte.
Auffällig ist indes, dass zwar auch Ether-Optionen Anzeichen eines deutlich eingetrübten Investorensentiments aufzeigen, die Put-Call-Quote mit 0,77 zuletzt aber noch deutlich niedriger ausfiel als bei Bitcoin. Allerdings verzeichnen Kontrakte auf die führende Cyberdevise auch insgesamt deutlich größere Handelsvolumen als Optionen auf die Nummer 2 des Segments.
Der Broker IG rechnet indes damit, dass ein steigender Regulierungsdruck in Reaktion auf die FTX-Pleite die Stimmung im Segment noch erheblich belasten dürfte. Notenbanker und Aufseher, darunter der stellvertretende Fed-Vorsitzende Michael Barr, fordern, dass sich das Bankensystem vor Auswirkungen von Krypto-Crashs auf die Finanzstabilität schützen müsse.
Behördenvertreter dürften die jüngsten Äußerungen Bankman-Frieds jedenfalls mit Missfallen aufnehmen. „Scheiß auf Regulatoren“, schrieb der FTX-Gründer in einer Twitter-Nachricht an die US-Journalistin Kelsey Piper. Zwar sei in der Kryptobranche ein höheres Maß an Verbraucherschutz notwendig, Aufseher könnten dies aber nicht leisten.
Derweil werfen die Anwälte der Kryptobörse Bankman-Fried vor, die Restrukturierung der Plattform mit seinen Social-Media-Aktivitäten zu unterminieren. Das Unternehmen distanziert sich von seinem Gründer. Bankman-Fried vertrete seit seinem Rücktritt vom FTX-Chefposten am vergangenen Freitag weder die Interessen der Handelsplattformen noch verbundener Firmen wie dem Trading-Haus Alameda Research, hieß es in einer Stellungnahme.
Kritik von Insolvenzverwalter
Inzwischen führt der Insolvenzverwalter John J. Ray, der auch die Abwicklung des Energiekonzerns Enron begleitete, die Geschäfte von FTX. „In meiner gesamten Karriere habe ich noch nie ein so umfassendes Versagen der Unternehmenskontrolle und ein solch vollständiges Fehlen vertrauenswürdiger Finanzinformationen gesehen“, schrieb Ray in einer Mitteilung an das Insolvenzgericht. Bisher habe für die Überreste von Bankman-Frieds Geschäftsimperium nur ein Bruchteil der Cash- und Krypto-Assets von FTX ausfindig gemacht werden können.
Beobachter befürchten nun einen nachhaltigen Vertrauensverlust institutioneller Investoren in digitale Assets. Nach anderen Venture-Geldgebern hat auch der singapurische Staatsfonds Temasek sein 275-Mill.-Dollar-Investment in FTX inzwischen vollständig abgeschrieben.