L3Harris’ gelungenes Beispiel einer Fusion
Von Dieter Kuckelkorn, Frankfurt
Der Krieg in der Ukraine ist auch ein Krieg der Medien. Es gibt zahllose Videos, die auch die Ausrüstungen der Kriegsparteien zeigen. Auf ukrainische Seite fällt dabei auf, dass dort umfangreich sehr teure Funktechnik aus Nato-Beständen eingesetzt wird. Stark vertreten sind hoch verschlüsselte sowie praktisch nicht abhörbare und ortbare Funkgeräte aus der „Falcon 3“-Serie des börsennotierten amerikanischen Herstellers L3Harris Technologies, die offenbar von Nato-„Beratern“ in der ukrainischen Armee verwendet werden und von den russischen Kräften gerne in Handy-Videos als Trophäen präsentiert werden, wenn sie in ihre Hände fallen.
Die Bedeutung von abhörsicheren und gegen Störungen geschützten Kommunikationstechnologien in der modernen Kriegsführung nimmt ständig zu. L3Harris ist einer der interessantesten Anbieter auf diesem Gebiet, und der Konzern sowie seine Aktionäre profitieren von dem genannten Trend und der durch den Ukraine-Krieg ausgelösten regelrechten Lawine an zusätzlichen Rüstungsausgaben in den Nato-Ländern. Im bisherigen Jahresverlauf hat der Aktienkurs bereits rund 12% hinzugewonnen, auf Sicht von einem Jahr immerhin 10%. Damit hat sich die Aktie deutlich besser geschlagen als der Gesamtmarkt. So hat der amerikanische Benchmark-Index S&P500 im laufenden Jahr knapp 13% eingebüßt und auf Jahressicht 1% verloren. Allerdings schnitt die Aktie von L3Harris deutlich schlechter ab als beispielsweise die deutlich größere Lockheed Martin mit einem Anstieg des Aktienkurses seit Jahresanfang um 24% und einem Zuwachs in den vergangenen zwölf Monaten von 14%.
47 Mrd. Dollar schwer
L3Harris wurde in der derzeit existierenden Forum im Oktober 2018 aus der Fusion von Harris mit L3 Technologies, einer Ausgründung von Geschäftsbereichen von Lockheed Martin, geschaffen. Der Konzern kommt derzeit auf eine Marktkapitalisierung von rund 47 Mrd. Dollar und bietet eine breite Palette von Produkten aus den Bereichen Kommunikationssysteme, Elektronik für militärische und zivile Raumfahrt und den Luftverkehr sowie integrierte missionskritische Systeme für Überwachung und Aufklärung, Navigation und Seefahrt an. Mit am bekanntesten sind die eingangs erwähnten taktischen Funkgeräte für das US-Militär, mit denen L3Harris etwa 10% ihrer Erlöse erzielt. Im vergangenen Jahr ergaben sich Erlöse von 17,8 Mrd. Dollar, trotz Geldsegens vom Pentagon ein Rückgang um 2,1%, bei einem allerdings deutlich um 65% gestiegenen Nettogewinn von 1,85 Mrd. Dollar. Lässt man den Einbruch durch die Coronavirus-Pandemie außer Acht, ist der Gewinn seit der Fusion, die als gelungenes Beispiel für Zusammenschlüsse gilt, stets gestiegen. Mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 17 auf Basis der Analystenerwartungen für die kommenden zwölf Monate erscheint die Aktie auch nicht überzogen teuer. Laut Berechnungen der Analysten von Barclays weist der gesamte amerikanischer Rüstungssektor ein durchschnittliches KGV von 18 auf.
Die Analystengemeinde ist dementsprechend von der Aktie überwiegend angetan. Von 22 Banken raten laut Bloomberg nicht weniger als 15 zum Kauf der Aktie, während sechs Analysten den Titel mit „Hold“ einstufen. Es gibt nur eine einzige Verkaufsempfehlung. Das durchschnittliche Kursziel auf Sicht von zwölf Monaten liegt bei 273,58 Dollar. Bezogen auf den aktuellen Kurs wäre dies immerhin ein Anstieg von 14% in einem weiterhin schwierigen Marktumfeld.
Das jüngste Quartalsergebnis für die ersten drei Monate fiel allerdings gemischt aus. Die Erlöse gaben im ersten Quartal um 10% nach, unter Ausklammerung von aufgegebenen Aktivitäten um 5%. Aktuell sind es nach Einschätzung der Analysten von J.P. Morgan vor allem Lieferkettenprobleme, die das Unternehmen belasten und auch im zweiten Quartal für Gegenwind sorgen würden. Dies legten jedenfalls die Äußerungen des Managements nahe. Besonders betroffen sei das Segment der Kommunikationssysteme, zu denen der Bereich der taktischen Funkgeräte gehört, die traditionell die höchsten Margen bei L3Harris aufweisen. Die Analysten von J.P. Morgan werten aber aktuell die Margen aller drei Sparten als solide. Allerdings seien die Lieferkettenprobleme eine Belastung für das Working Capital des Konzerns. Mit einer Verbesserung der Lage und der Lieferkettenprobleme sei im zweiten Halbjahr zu rechnen, so die Analysten.
Dann dürfte irgendwann die Branche auch der warme Regen durch die stark steigenden Rüstungsausgaben erreichen. Bei Barclays erwartet man, dass das Budget des Pentagon über die kommenden Jahre auf über 850 Mrd. Dollar pro Jahr steigt, davon mehr als 300 Mrd. Dollar für die Modernisierung der Waffensysteme – wovon die Branche besonders profitieren würde. Was Europa betrifft, wird erwartet, dass die Rüstungsbudgets um mehr als 30% auf mehr als 2% des Bruttoinlandsproduktes steigen. Dazu ist zu ergänzen, dass die westeuropäischen Länder, unter anderem Deutschland, diesmal verstärkt amerikanische Waffensysteme nachfragen. So kauft Deutschland beispielsweise keine europäischen Kampfflugzeuge mehr, sondern die amerikanische F-35 von Lockheed Martin, für die auch L3Harris ein bedeutender Zulieferer ist.
Was die Aussichten für den amerikanischen Rüstungssektor betrifft, sind die Analysten von Barclays allerdings der Meinung, dass die darauf zurückzuführende Neubewertung der Aktien weitgehend abgeschlossen ist. Die Bewertung des gesamten Sektors mit einem KGV von wie erwähnt 18 entspreche dem, was es auch in anderen Phasen mit großen geopolitischen Spannungen und einem starken Anstieg der entsprechenden Staatsausgaben gegeben habe.
Während die Aussichten der US-Rüstungsaktien allgemein mit Blick auf die bereits realisierten Kursgewinne begrenzt sein könnten, sehen die Analysten von Barclays doch Favoriten innerhalb der Gruppe. Dazu zählen sie L3Harris, die sie bei einem Kursziel von 300 Dollar mit „Overweight“ einstufen. Dies begründen sie unter anderem damit, dass die US-Armee ihre taktischen Funkgeräte auf die neue Generation „Falcon 4“ umstellt, womit es Großaufträge für L3Harris gibt. Die Altgeräte lassen sich ja gegebenenfalls an die Ukraine verkaufen, wie es Deutschland mit seinen Systemen „Leopard1“ und „Gepard“ handhabt.