Nicht nur auf die Dividendenrendite schauen!
Um die 62 Mrd. Euro werden die 100 größten börsennotierten Unternehmen in Deutschland an ihre Aktionäre ausschütten – nach der hier zitierten Berechnung der DZ Bank ein neuer Rekord. Damit würde die Dividendensumme im Vergleich zum Rekord vom Vorjahr noch einmal um rund 10% steigen. Eine gute Nachricht für klassische Dividendenfonds, die gerade von Anlegern in Deutschland so geschätzt werden?
Kommt darauf an! Hohe Dividenden und eine im Verhältnis zum Aktienkurs entsprechend hohe Rendite sind nicht notwendigerweise ein Zeichen für Qualität. Was nutzen hohe Dividendenrenditen, wenn die Kurse der Aktien stärker sinken. Schön illustriert das der Chart des einschlägigen Index Solactive Global Superdividend. Er bildet die 100 dividendenstärksten Unternehmen weltweit ab und weist für sein Portfolio eine Dividendenrendite von 9% aus. Sein Kurs ist jedoch innerhalb eines Jahres um knapp 25% gefallen.
Richtig ist zwar, dass die Ausschüttung von Dividenden ein starkes Signal dafür ist, dass es im Unternehmen Faktoren gibt, die eine langfristige Verzinsung wahrscheinlich machen: etwa ein etabliertes Geschäftsmodell, das von einer Art Burggraben gegen Wettbewerber geschützt ist, Gewinne, die nicht wild hin- und herschwanken, Kapitaldisziplin, positive Cashflows. Umgekehrt gilt aber auch: Aktien, die heute eine hohe Dividendenrendite bringen, aber nicht wachsen oder ihr Geschäft weiterentwickeln, sind oft verschwendete Investments, die das Vermögen des Anlegers auf lange Sicht schmelzen lassen.
Solche Titel dominieren aber in den meisten traditionellen Dividendenfonds – Unternehmen, deren Gewinne sehr zyklisch sind und von Faktoren bestimmt werden, die sich der Kontrolle des Managements entziehen. Das ist zum Beispiel der Fall bei den großen Ölkonzernen, die dank ihrer derzeit rekordhohen Gewinne zu den Favoriten von Dividendenfonds zählen.
Eine andere Gefahr ist, Unternehmen im Portfolio zu haben, die eigentlich zu viel ausschütten und eine hohe Dividendenausschüttung als Hauptwerkzeug nutzen, um Anleger anzuziehen. Aber allzu oft würde dies bedeuten, dass ein Unternehmen keine Wachstumsmöglichkeiten mehr sieht.
Im deutschen Leitindex Dax wird dieser Effekt besonders deutlich, weil er als Performanceindex kreiert wurde. Dabei werden die Ausschüttungen bereinigt und quasi thesauriert. Allerdings stehen auch Daten für den weit weniger bekannten Dax-Kursindex zur Verfügung. Es zeigt sich, dass in den letzten zehn Jahren der Kursindex nur halb so stark gestiegen ist wie der Perfomanceindex. Das heißt: Ein Gutteil der Gewinne, die Anleger im deutschen Premiumsegment erzielen, ist nicht dem Wachstum der Unternehmen und deren Aktienkursen, sondern ihren Ausschüttungen zu verdanken.
Ein weiteres Beispiel, wie gefährlich die Fokussierung auf eine hohe Dividendenrendite und -historie sein kann, ist ein Vergleich zwischen Microsoft und RWE. Im Jahr 2011 hatte RWE eine Dividendenrendite von über 7%. Auch waren seine Dividenden über mehrere Jahre hinweg stetig gestiegen. Also eine scheinbar perfekte Aktie für „Income“-orientierte Anleger. Im Gegensatz dazu lag die Anfangsrendite von Microsoft bei nur 2,3%, stieg jedoch jedes Jahr um 10%. Eine Investition von 100 Euro hätte in diesem Zeitraum zu Ausschüttungen von 57 Euro geführt, verglichen mit 26 Euro bei RWE.
Wie falsch eine einseitige Fokussierung auf die Dividendenrendite gewesen wäre, wird noch deutlicher, wenn man das langfristige Wachstum von Microsoft mit dem von RWE vergleicht: Während zwischen 2011 und 2022 der Kurs von RWE um 12,2% gesunken ist, ist der von Microsoft um 760% gestiegen.
Die Lehre, die wir aus diesen Beobachtungen ziehen, ist die Suche nach den neuen Dividendenhelden: Unternehmen mit nachhaltigen Geschäftsmodellen und widerstandsfähigen Dividenden. Wir glauben nicht an Dividenden um jeden Preis und sehen auch Wachstums- und Dividendenaktien nicht als Gegensätze. Unternehmen, die wachsen und gleichzeitig einen Großteil ihrer Gewinne an die Aktionäre zurückgeben, können wertvoller sein als solche, die ihre gesamten Gewinne wieder in das Geschäft stecken müssen, um die gleiche Wachstumsrate zu erzielen.
Unser Global-Income Growth-Fonds hat zum Beispiel die Technologiekonzerne Microsoft und Apple sowie den dänischen Pharmakonzern Novo Nordisk in seinem Portfolio. Zwar bietet jede dieser drei Aktien zum aktuellen Kurs eine Dividendenrendite von weniger als 1,5%. Aber alle drei Aktien haben in den letzten fünf Jahren eine Gesamtrendite von mehr als 150% erzielt.
Leider sind solche Unternehmen, die ihre Gewinne über ein Jahrzehnt oder länger um 10% und mehr steigern können, relativ selten, wie eine Analyse von Michael Mauboussin aus dem Jahr 2016 zeigt. Unter Verwendung eines globalen Datensatzes mit mehr als 37000 Datenpunkten fand der Finanzprofessor an der Columbia University heraus, dass über 70% der börsennotierten Unternehmen ihre Gewinne über rollierende 10-Jahres-Zeiträume um weniger als 10% pro Jahr steigern konnten, nur ein Viertel verzeichnete eine Compound Annual Growth Rate (CAGR) von über 10%.
Kurze Sicht vieler Investoren
Seltsamerweise sind deren Aktien häufig unterbewertet. Theoretisch und bei Verwendung eines vernünftigen Abzinsungssatzes sollten solche Unternehmen mit einem KGV von über 50 gehandelt werden, aber die meisten Anleger sind nicht bereit, dieses Bewertungsverhältnis zu zahlen. Die Gewinne steigen stetig, der Aktienkurs folgt Gewinnen und das KGV verharrt in Größenordnungen von 10 bis 20.
Warum wird diese stetige Aufzinsung von Erträgen vom Markt nicht vollständig berücksichtigt? Ich glaube, es liegt an der kurzen Sicht vieler Investoren. Wer aber seinen Kunden dabei helfen will, ihren Ruhestand über 30 Jahre zu finanzieren oder irgendein anderes finanzielles Ziel zu erreichen, das sich über Jahrzehnte erstreckt, muss auch seine Denkweise auf diesen Zeithorizont ausrichten. Dabei kann ein langfristiger, stetiger Zinseszinseffekt hervorragende Ergebnisse liefern. „Steady Compounders“, wie wir solche Aktien nennen, sind sicher nicht der einzige Weg, um eine Outperformance zu erzielen, aber jedenfalls einer, der auf dem Weg dorthin die Volatilität reduziert.