Polen steht auf der Watchlist der Investoren
Von Ronald Schneider*)
Seit der Invasion Russlands in die Ukraine hat sich das Image Polens in Europa grundlegend geändert. Auch wenn sich das Land formell noch immer in einem Rechtsstreit mit der EU befindet – diese verweigert aufgrund von Verstößen Polens gegen die Rechtsstaatlichkeit Zahlungen aus dem Corona-Wiederaufbaufonds –, sind die beiden Parteien nun im gemeinsamen Kampf gegen den Aggressor Russland so eng zusammengerückt wie noch nie. Polen spielt innerhalb der EU eine Schlüsselrolle bei der Unterstützung der Ukraine, nicht nur bei der Aufnahme von inzwischen Millionen Flüchtender, sondern auch in Hinblick auf Waffenlieferungen. Das Land hat sich klar exponiert und sich dabei als relevanter politischer Player im Zentrum Europas positioniert. Was den Anleihemarkt betrifft, waren heuer bislang weder die Renditen noch die Zinsanhebungen für Bondanleger positiv. Und auch bei der Währungsentwicklung hat der Zloty gegenüber dem Euro seit Jahresbeginn um mehr als 4% eingebüßt.
Doch das könnte sich schon bald ändern. Denn internationale Investoren haben Polen inzwischen auf ihre Watchlist gesetzt: Denn wenn es in Europa nicht zum Schlimmsten kommt, der Ausbreitung des Krieges in weitere Länder und damit zu unabsehbaren Folgen, dann könnte Polen schon bald ein sehr attraktiver Markt für (Anleihe-)Investoren werden. Polen hat aufgrund seiner Größe eine – verglichen mit Ungarn und Tschechien – wesentlich stärkere Binnenwirtschaft und ist so weniger abhängig von der konjunkturellen Entwicklung der EU, auch wenn diese natürlich trotzdem von großer Bedeutung ist. Hinzu kommt, dass Polen inzwischen nicht mehr von russischen Gaslieferungen abhängig ist.
Doch dem Preisauftrieb, der der Weltwirtschaft zu schaffen macht, kann sich auch Polen nicht entziehen. Die Inflation stieg in Polen im April im Vergleich zum Vormonat um weitere 2% und zum Vorjahreszeitraum um 12,4%. Die höchste Teuerungsrate seit 24 Jahren. Ein weiterer Anstieg auf 14, 15% ist aus Sicht von Analysten nicht nur möglich, sondern wahrscheinlich. Um die Konsequenzen der massiven Teuerung für die Konsumenten etwas abzuschwächen, hat die polnische Regierung einige – vorerst auf sechs Monate begrenzte – Maßnahmen ergriffen. Seit Februar ist die Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel ausgesetzt, und der Steuersatz für Benzin und Diesel wurde um fast zwei Drittel auf 8% gesenkt. Diese Maßnahmen haben dazu geführt, dass die Konsumentenpreise in Polen nicht ganz so stark angestiegen sind wie beispielsweise in Tschechien. Während Tschechien bereits im Juni 2021 damit begonnen hat, der hohen Inflation mittels Zinsanhebungen auch geldpolitisch etwas entgegenzusetzen, hat sich die polnische Zentralbank damit bis Oktober 2021 Zeit gelassen. Inzwischen haben aber auch die polnischen Notenbanker sehr deutlich in Richtung Zinserhöhungen umgeschwenkt und den Leitzins zuletzt um 75 Basispunkte auf 5,25% angehoben. Das hat zu stark steigenden Renditen geführt und vor dem Hintergrund der steigenden Inflation den Druck auf Anleihen, der sich bereits in der zweiten Jahreshälfte 2021 aufgebaut hat, nochmals erhöht. Auf diese Entwicklung folgte eine starke Korrektur des Marktes, die dazu geführt hat, dass die Währung mittelfristig wieder attraktiver geworden ist.
Sollte sich die geopolitische Lage nicht weiter zuspitzen, geht der Markt davon aus, dass Polen die Inflationsspitze noch im zweiten oder dritten Quartal erreichen wird. Das würde bedeuten, dass wir uns bereits auf den Höhepunkt und das Ende des Zinsanhebungszyklus hinbewegen. Dann ist der Zeitpunkt gekommen, dass Polen für Anleiheinvestoren wieder attraktiv wird. Denn schon jetzt haben wir Renditen von 6,60% am längeren Ende.
Währungsseitig hat sich der Zloty unter den genannten Entwicklungen abgeschwächt und sich zuletzt wieder ein wenig erholt. Aufgrund der Tatsache, dass Polen ein Energieimporteur ist, wirken sich die höheren Energiekosten entsprechend negativ auf die Handels- und Leistungsbilanz aus. Jedoch kann die Finanzierung zu einem Gutteil über die EU-Fonds ausgeglichen werden. Auch deshalb sind diese Fonds für die Kapitalbilanz der meisten osteuropäischen Länder, insbesondere aber für Ungarn und Polen, sehr wichtig. Aufgrund der erwähnten Maßnahmen zur Abmilderung der Inflation seitens der polnischen Regierung ist zu erwarten, dass das Budgetdefizit Polens relativ hoch bleiben wird. Auch die bevorstehenden Wahlen im kommenden Jahr werden die Regierung eher nicht zum Sparen motivieren. Die Annäherung Polens an die Europäischen Kommission und der daraus resultierende mögliche Zugriff auf die EU-Mittel aus dem Next-Generation-Fonds und aus dem Budget hätten sicherlich positive Auswirkungen auf die weitere konjunkturelle Entwicklung Polens und werden ein relevanter Faktor zur Bewältigung der Herausforderungen des Landes, die sich aus der Klimawende ergeben, sein.
Die osteuropäischen Emerging-Markets-Währungen werden von globalen Investoren aufgrund der Handelsverflechtungen zum Euroraum und der geografischen Nähe immer im Kontext von Euro-Dollar gehandelt. Der Euro-Dollar-Kurs hat sich zuletzt stark zugunsten des Dollar bewegt, der global und auch gegenüber dem Euro deutlich aufgewertet hat. Investoren, die davon ausgehen, dass sich diese Entwicklung wieder Richtung Euro drehen wird, greifen in der Regel auch gerne bei osteuropäischen Währungen zu, denn diese haben zusätzlich zur positiven Währungseinschätzung auch noch höhere Renditen und Zinsen zu bieten. Auch aus diesem Grund ergeben sich für den polnischen Zloty gute Aussichten.
*) Ronald Schneider ist Leiter des Teams „Anleihen, CEE & Global Emerging Markets“ bei Raiffeisen Capital Management.