Autoindustrie

Porsche-IPO und mehr als Kurstreiber für VW

Die VW-Aktie hat 2022 rund ein Fünftel ihres Werts verloren. Analysten, die überwiegend zum Kauf raten, verweisen auf kurz- und mittelfristige Kurstreiber. Dazu zählt der geplante Porsche-Börsengang.

Porsche-IPO und mehr als Kurstreiber für VW

Von Carsten Steevens, Hamburg

Nach vier Jahren und viereinhalb Monaten endet in wenigen Tagen, am 31. August, die Amtszeit von Herbert Diess als Vorstandsvorsitzender von Volkswagen. Nachfolger an der Spitze von Europas größtem Fahrzeugbauer wird Oliver Blume, der zugleich Chef der an die Börse strebenden Sportwagentochter Porsche AG bleibt. Die am 22. Juli bekannt gegebene Ablösung wurde am Aktienmarkt überwiegend skeptisch aufgenommen.

Der Wechsel an der Konzernspitze erinnere daran, dass die Interessen der großen Stakeholder von VW und möglicherweise von Porsche mit denen der Kapitalmarktinvestoren nicht voll übereinstimmen, so Bernstein-Analyst Daniel Röska. Die Doppelfunktion Blumes sei „keine gute Idee“. Beide Unternehmen benötigten in den nächsten Monaten eine „klare und präsente Führung“: der VW-Konzern für die Lösung seiner Software-Probleme, Porsche für die Durchführung des Börsengangs. Es sei zudem zu befürchten, dass die Berufung von Blume zum VW-Konzernchef und mögliche weitere Umbesetzungen im Management den Nachweis der Eigenständigkeit von Porsche erheblich erschweren. Dies werde letztlich dazu führen, dass Anleger sich fragen, wie viel Abschlag sie aufgrund der Governance-Bedenken mit Blick auf Eingriffe der Eigentümerfamilien Porsche und Piëch sowie des Konzerns auf den Wert der Porsche AG geben sollten.

Mehr als das Elffache

Der seit Ende 2021 um rund ein Fünftel auf rund 142 Euro gesunkene Kurs der VW-Vorzugsaktie hat sich seit Ankündigung des Wechsels auf dem Posten des Konzernchefs vor dem Hintergrund befürchteter Interessenkonflikte kaum verbessert – trotz zwischenzeitlich präsentierter Halbjahreszahlen von Volkswagen, die von Anlegern und Analysten positiv aufgenommen wurden. Die Marktkapitalisierung des Mehrmarkenunternehmens einschließlich Stammaktien ermäßigte sich noch stärker – um fast 30 Mrd. auf 84 Mrd. Euro. Dem Ziel, gegenüber dem beim Börsenwert seit 2020 enteilten US-Elektroautobauer Tesla aufzuholen, ist VW bis zum Ende der Ära Diess nicht näher gekommen. Im Gegenteil: Tesla bringt aktuell mehr als das Elffache auf die Waage.

Die Doppelrolle von Blume unterlaufe offensichtlich die Kommunikation um die Unabhängigkeit von Porsche, so Stifel-Analyst Daniel Schwarz. „Aus Corporate-Governance-Sicht ist das ein großes Problem.“ Corporate Governance sei aber schon länger ein Schwachpunkt von VW. Investoren mit starkem Fokus auf Governance würden insofern VW und Porsche auch ohne einen CEO mit Doppelrolle „vermutlich nicht kaufen“.

Der Analyst rät gleichwohl verbunden mit einem Zwölfmonatskursziel von 295 Euro zum Kauf der VW-Aktie – wie derzeit die große Mehrheit der mit VW befassten Research-Häuser. 20 der von Bloomberg erfassten Analysten sind für die Vorzüge positiv, fünf neutral gestimmt. Einzig negativ ist man bei Jefferies, wo die VW-Aktie mit „underperform“ eingestuft und das Kursziel derzeit mit 115 Euro angegeben wird.

Als wesentliche Kurstreiber sieht Stifel-Analyst Schwarz kurzfristig das Porsche-IPO und eine „sequenzielle Verbesserung in China“ an. Zudem verweist er auf niedrige Konsensusschätzungen für das zweite Halbjahr. Mittelfristig könnten ein wachsender Anteil batterieelektrischer Fahrzeuge sowie steigende Dividenden für Auftrieb sorgen, langfristig eine erfolgreiche Software-Strategie. Warburg-Research-Analyst Mustafa Hidir nennt neben Steigerungen der Produktionsvolumina, die noch immer durch eine geringe Verfügbarkeit elektronischer Komponenten belastet würden, ebenfalls den Porsche-Börsengang als Faktor, um die VW-Aktie zu stützen. Mittelfristig seien Themen der fortschreitenden Elektrifizierung sowie Software mögliche Kurstreiber. Das gegenwärtige Kursniveau, so der Analyst, der bei einem Kursziel von 230 Euro zum Kauf rät, impliziere eine niedrige Erwartungshaltung der Investoren.

Für den Metzler-Autoexperten Jürgen Pieper wäre eine kurzfristige Verbesserung der globalen makroökonomischen Lage – eine Entspannung an den Rohstoffmärkten, erste Erfolge bei der Inflationsbekämpfung und eine Beruhigung der Konflikte mit China – wesentlicher Kurstreiber. „Mittelfristig kommt es sehr darauf an, was der neue CEO Blume plant.“ Dabei hält er eine Korrektur der Software-Strategie „in Richtung einer größeren Kooperation“ mit anderen Autoherstellern und auch Softwarespezialisten für sinnvoll. Warburg-Research-Analyst Hidir würdigt in diesem Zusammenhang die vereinbarte Software-Kooperation mit Bosch im Bereich autonomes Fahren. Daniel Schwarz vom US-Finanzdienstleister Stifel fügt hinzu, es sei gleichwohl richtig, die Kontrolle über die zentrale Software zu behalten – ansonsten würde „riesiges Potenzial aufgegeben“.

Dass der Autosektor insgesamt derzeit bei ca. 60% Bewertungsabschlag zum Gesamtmarkt handele, hänge, so der Analyst, mehr mit Sorgen um die Softwareentwicklung als um die Elektrifizierung bei den Herstellern zusammen. Es müsse jetzt investiert werden, echte Resultate sehe der Markt aber erst in vielen Jahren. Das Vertrauen, dass die klassischen Hersteller gute Programmierer finden und dauerhaft binden, sei zudem gering. „Insofern ist Software ein wichtiger Faktor für die niedrige Bewertung im Sektor insgesamt“, sagt Schwarz. Bei VW wirke der Faktor aufgrund der besonders hohen Investitionen eher noch negativer.

Den gegenwärtigen Abstand beim Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) zwischen VW und Tesla hält Metzler-Analyst für „viel zu groß“. Er reflektiere auch „Vorurteile gegenüber der Industrie, die teilweise einer Analyse gar nicht mehr standhalten“. So sei der Gewinnverlauf der Autohersteller trotz vielfacher Herausforderungen generell weniger zyklisch als in zurückliegenden Zeiträumen. Zudem sei die Autoindustrie überdurchschnittlich innovativ, der Bewertungsabstand gegenüber Tesla nicht haltbar.

Tesla habe in jüngster Zeit eine bemerkenswerte Ergebnisdynamik aufgewiesen, so Mustafa Hidir von Warburg Research. Auch habe das Unternehmen die Verwerfungen in den globalen Lieferketten sehr gut meistern können. Andererseits unterstelle der Börsenwert von Tesla ambitionierte Marktanteilsgewinne in der Zukunft. Die VW-Aktie hingegen notiere deutlich unterhalb ihres inneren Werts, der neben einer noch immer starken Marktposition auch durch starke Cashflows gestützt werde.

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