Rally vor Bewährungsprobe
Von Christopher Kalbhenn,
Frankfurt
Nach dem fulminanten Start ins Jahr, bei dem der Dax in den ersten beiden Handelswochen um mehr als 8% zugelegt hat, haben die europäischen Aktienmärkte in der abgelaufenen Woche zwei Gänge zurückgeschaltet. Der deutsche Standardwerteindex hielt sich aber über der Marke von 15000 Zählern und lag am Freitag zuletzt mit einem Wochenminus von 0,4% bei 15034 Punkten.
Eine Konsolidierung und Gewinnmitnahmen sind nach so einem Lauf nur allzu normal. Den Anstoß dazu gaben zum einen schwache Konjunkturdaten aus den USA, die Rezessionssorgen schürten. Zudem bemühten sich führende Offizielle sowohl der Fed als auch der EZB zum wiederholten Male, die ungläubigen Marktteilnehmer davon zu überzeugen, dass sie es für notwendig halten, zur Eindämmung der Inflation die Zinsen durchaus noch um einiges zu erhöhen.
Insofern steuert die Ende September gestartete Rally in den kommenden Wochen auf eine Bewährungsprobe. Ihr Haupttreiber sind nachgebende Inflationsindikationen und daraus abgeleitete Erwartungen, dass die Währungshüter die Leitzinsen weniger deutlich anheben werden als zunächst gedacht und die Fed im Verlauf des Jahres sogar mit Zinssenkungen aufwarten wird. Anfang Februar finden die nächsten zinspolitischen Tagungen beider Notenbanken statt, und wenn es bis dahin nicht zu einer abrupten Kehrtwende kommt, werden die Währungshüter weiterhin Zinserhöhungsbedarf bekräftigen, was die Aktienmärkte belasten könnte.
Ebenfalls von entscheidender Bedeutung wird die nun angelaufene Berichtssaison sein. In den ersten drei Quartalen 2022 haben die Unternehmensgewinne mit einer überaus robusten Entwicklung überrascht. Die DZ Bank schätzt, dass die Gewinne je Aktie der Unternehmen im Dax und im S&P 500 2022 um knapp 7% und 8% gestiegen sind. Allerdings haben sich die Trends verschlechtert. Das Gewinnwachstum im Vorjahresvergleich der S&P 500-Firmen ist sukzessive zurückgegangen, die UBS glaubt, dass sie im vierten Quartal nur noch das Niveau des Vorjahres erreicht haben.
Etliche Häuser befürchten, dass die Unternehmensgewinne enttäuschen werden und die Aktienmärkte belasten könnten. Auf mittel- bis langfristige Sicht sei es regelmäßig der konjunkturelle und monetäre Zyklus, der den Trend der Unternehmensgewinne geprägt hat, so die Commerzbank. Und hier hätten die Warnsignale zugenommen. In den USA sei die Zinsstrukturkurve mittlerweile so stark invers wie seit 40 Jahren nicht mehr und die Geldmengen M1 und M2 wüchsen nicht mehr. Wie in früheren Konjunkturzyklen verschlechtere dieses zunehmend restriktive monetäre Umfeld die Gewinnaussichten am deutschen Aktienmarkt. So sei das für 2023 erwartete Dax-Gewinnwachstum seit Mitte 2022 von 7% auf 2% gesunken. Für die Dax-Unternehmen habe es im vergangenen Quartal 27 negative und nur 13 positive Gewinnrevisionen gegeben, für 10 der 40 Dax-Unternehmen seien die Gewinnerwartungen sogar um mehr als 5% gesenkt worden. „Das restriktive monetäre Umfeld dürfte die Gewinnmargen-Erwartungen weiter drücken, so dass die Dax-Unternehmensgewinne 2023 schließlich 10% fallen dürften. Daher erwarten wir in den kommenden Monaten nervöse Aktienmärkte mit überdurchschnittlich hohen Kursschwankungen.“