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Suche nach dem angemessenen Wert für Delivery Hero

Bereinigt um die Tochtergesellschaft Talabat bleibt für den großen Rest der Delivery-Hero-Geschäfte nur eine sehr niedrige Börsenkapitalisierung übrig. Liegt eine Bewertungsanomalie vor?

Suche nach dem angemessenen Wert für Delivery Hero

Geld oder Brief

Ringen um Delivery-Hero-Bewertung

Von Helmut Kipp, Frankfurt

Wie gewonnen so zerronnen: Der Kursimpuls für Delivery Hero durch den Börsengang der Tochter Talabat in Dubai ist weitgehend verpufft. Im Vergleich zum Zwischenhoch Ende Oktober von 41,60 Euro hat die im MDax vertretene Aktie 29% an Wert verloren, obwohl sie zuletzt einen Teil der Abschläge wieder aufgeholt hat. Die mit dem IPO verbundene Hoffnung auf eine grundlegende Neubewertung hat sich also fürs Erste zerschlagen.

Während der Platzierung waren die Talabat-Aktien stark gefragt. Infolgedessen wurde das Emissionsvolumen um ein Drittel aufgestockt und der Ausgabekurs am oberen Ende der Preisspanne festgesetzt. Der Börsengang spülte Delivery Hero knapp 2 Mrd. Euro aufs Konto. Doch in den ersten Wochen seit Handelsbeginn am 10. Dezember hat der Börsenneuling eher enttäuscht.

Rest-Börsenwert gering

Das in Talabat gebündelte Liefergeschäft in den Vereinigten Arabischen Emiraten und anderen Nahostländern sowie in Nordafrika, das sowohl zubereitete Mahlzeiten als auch Supermarktartikel umfasst, kommt aktuell auf umgerechnet 10 Mrd. Euro Marktkapitalisierung. Für den bei Delivery Hero verbliebenen 80-%-Anteil sind demnach 8 Mrd. Euro Eigenkapitalwert anzusetzen. Dieser Betrag liegt nur wenig unter dem Gesamt-Börsenwert von Delivery Hero von 8,4 Mrd. Euro. Dabei ist der Talabat-Anteil am Geschäftsvolumen viel geringer. Gemessen am über die Plattform abgewickelten Bruttowarenvolumen (GMV) der ersten drei Quartale 2024 sind es knapp 15%. Das restliche Geschäft, das sechs Siebtel des Konzern-GMVs umfasst, bringt es also nur auf knapp eine halbe Milliarde Euro Börsenwert. Angesichts dieser Diskrepanz drängt sich die Frage auf, ob eine Bewertungsanomalie vorliegt.

Taiwan-Deal blockiert

Geplante und frühere Transaktionen scheinen diese Einschätzung zu bestätigen. So hat der in Berlin ansässige Lieferdienst mit dem Konkurrenten Uber den Verkauf des Foodpanda-Geschäfts in Taiwan für 950 Mill. Dollar vereinbart. Schon dieser Betrag überschreitet den Börsenwert von Delivery Hero ex Talabat. Allerdings hat die Kartellbehörde in Taiwan den Deal während der Weihnachtstage untersagt, weil sonst ein Monopol in dem Land entstanden wäre.

Für die im Dezember 2019 angekündigte und knapp 15 Monate später abgeschlossene Woowa-Übernahme legte Delivery Hero 1,7 Mrd. Euro in bar und 40 Millionen eigene Aktien auf den Tisch. Der Transaktionswert belief sich ursprünglich auf 3,6 Mrd. Euro. Daraus wurden infolge des pandemiebedingten Kursanstiegs schließlich 5,7 Mrd. Euro. Dieser Betrag übersteigt die aktuelle Bewertung von Delivery Hero ex Talabat bei weitem, auch wenn man konzedieren muss, dass der Woowa-Wert infolge rückläufiger Multiples für Lieferdienste und der geschäftlichen Schwäche der Korea-Tochter heute weit niedriger ist als vor vier Jahren.

Kernmarkt Südkorea

Südkorea ist mit einem Anteil von etwa 75% der Kernmarkt in Südostasien. Diese Region wiederum stellt die Hälfte des Konzern-GMVs. Insgesamt ist Delivery Hero in rund 70 Ländern in Asien, Europa, Lateinamerika, dem Nahen Osten und Afrika unterwegs. In vielen Ländern gilt der 2011 gegründete Lieferdienst als marktführender Player.

Ein anderes Bild ergibt sich allerdings, wenn man auf den Unternehmenswert abstellt, also Verbindlichkeiten einbezieht. Hintergrund ist die hohe Verschuldung der Muttergesellschaft: 88% der Konzernbilanzsumme entfielen im Halbjahresabschluss 2024, also per Ende Juni, auf Fremdkapital – die Eigenkapitalquote belief sich auf mickrige 12%. Wie die Finanzagentur Bloomberg Mitte Dezember festhielt, stellt Talabat etwa 65% des Delivery-Hero-Unternehmenswerts. Das entspreche grob dem Anteil am Konzernergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda). Aus diesem Blickwinkel wäre Delivery Hero also halbwegs angemessen bewertet, wenngleich dabei außen vor bleibt, dass auch Geschäfte und Kundenbeziehungen, die (noch) keinen Profit abwerfen, einen Wert haben, etwa im Falle von Anteilsverkäufen an Konkurrenten.

Wandler belasten Aktienkurs

Hinzu kommt, dass die diversen Wandelanleihen den Aktienkurs der Obergesellschaft belasten. Dieser Faktor schmälert mithin die Börsenkapitalisierung von Delivery Hero. Im Falle einer Wandlung würde sich der Eigenkapitalwert nämlich auf mehr Aktien verteilen. Allerdings liegen die Umtauschpreise allesamt meilenweit über den gegenwärtigen Börsenkursen, sodass eine Wandlung aus heutiger Sicht unwahrscheinlich ist.

Aufschlag gerechtfertigt

Nun gibt es ohne Frage einige Argumente, die einen saftigen Bewertungsaufschlag für Talabat im Vergleich zum Restgeschäft rechtfertigen wie das überdurchschnittliche Wachstum, die angekündigten ungewöhnlich hohen Ausschüttungen und vor allem die weit über dem Durchschnittswert liegende Profitabilität. Für das Geschäftsjahr 2024 strebte Talabat eine operative Ebitda-Marge von 6,5% des Bruttoverkaufsvolumens an. Der Delivery-Hero-Gesamtkonzern hingegen kam im ersten Halbjahr 2024 erst auf 1%. Für 2025 peilt Talabat 6,5 bis 7% und mittelfristig zwischen 7 und 8% Marge an.

Banken bullish

Neben der Korea-Schwäche und dem Veto gegen den Taiwan-Verkauf belasten die Kartellstrafen der EU die Delivery-Hero-Aktie. Wenigstens hat der Konzern die Diskussion um Eventualverbindlichkeiten aus möglichen Verstößen gegen das Arbeitsrecht entschärft, weil bisher als Freiberufler beschäftigte Lieferkuriere in Spanien fest angestellt werden. Der Analyst Marcus Diebel von der US-Bank J.P. Morgan hält das Risiko-Ertrags-Verhältnis der Aktie für attraktiv. Das Margenpotenzial werde noch immer nicht verstanden und die Bewertung sei günstig. Das Management sei endlich bereit, Vermögenswerte zu veräußern und die Bilanz zu sanieren. Die Bank Morgan Stanley hebt hervor, dass sich das Chartbild aufhelle. Die Aktie notiere knapp über der 21-Tage-Linie für den kurzfristigen Trend und auch über der 200-Tage-Linie für die längerfristige Tendenz. Der Analyst Ed Young gibt ein Kursziel von 40 Euro aus. Noch mehr Chancen sieht er jedoch bei der Tochter Talabat.