Treasury-Renditen zu weit vorausgelaufen
Die US-Konjunktur gewinnt signifikant an Dynamik, und Fantasien eines „Taper Tantrums“ schließen sich an. Markterwartungen über einen beschleunigten Ausstieg aus der sehr expansiven Geldpolitik treffen auf einen angepassten geldpolitischen Rahmen, der den Modus Operandi vergangener Jahrzehnte über Bord wirft. Die jüngste FOMC-Sitzung hat dies verdeutlicht. Ohne Fed-Eingriffe ist für Treasury-Renditen noch Luft nach oben.
Vor dem Hintergrund der dynamischen US-Konjunktur samt steigenden Verbraucherpreisen hat sich die US-Renditestrukturkurve deutlich versteilert. Nachdem die zehnjährige Treasury-Rendite das Jahr 2020 bei 0,91% beschlossen hatte, kletterte die Benchmark-Rendite jenseits des Atlantiks am Tag nach der geldpolitischen Sitzung der Fed Mitte März 2021 auf zeitweise rund 1,75%.
Wenngleich die größtenteils sehr positiven US-Konjunkturaussichten die skizzierte Renditebewegung weitgehend erklären, ist das Ausmaß des aktuellen Renditeanstieges dem Konjunkturaufschwung (zu) weit vorausgelaufen. Abgeleitet von der Konjunktur- und Reflationsdynamik häufen sich Vergleiche mit dem sogenannten „Taper Tantrum“ aus dem Jahr 2013 über Gebühr. Im Gegensatz zu damals hat sich die Fed heute explizit dem Ziel der maximalen Beschäftigung und der Realisierung einer Durchschnittsinflationsrate von 2% verschrieben. Dies steht in deutlichem Kontrast zum vormaligen geldpolitischen Rahmenwerk, bei dem die Fed u. a. lediglich „erwarten“ musste, dass die Inflation das 2-%-Ziel erreicht, um an der Zinsschraube zu drehen. Der heutige Fed-Chef Jerome Powell wies in den vergangenen Wochen ferner darauf hin, dass das FOMC nicht auf eine Inflationsentwicklung reagieren werde, die sie derzeit als „temporär“ einstuft, und dass es bis zu drei Jahre dauern könne, bis das Inflationsziel von 2% im Durchschnitt erreicht sei.
Zur Erinnerung: Bei einer zukünftigen Anpassung der Geldpolitik hat sich die Fed selbst ins Handbuch geschrieben, zuerst die Anleihekäufe zu reduzieren und schließlich einzustellen, bevor sie in einem zweiten Schritt den Zinserhöhungszyklus einleitet. Der Beginn dieser Phasen ist dabei klar an die vorgenannten Ziele gekoppelt, wobei der Vollbeschäftigungsgrad natürlich Raum für eine gewisse Flexibilität gibt. Diese wird jedoch durch das gleichzeitig zu erfüllende numerische Durchschnittsinflationsziel wieder limitiert.
Selbst wenn die Arbeitslosenquote Anfang 2022 nur noch rund einen Prozentpunkt oberhalb des Vorkrisenniveaus rangiert, kaschiert diese Statistik negative Effekte am US-Arbeitsmarkt, die durch die Pandemie verstärkt wurden (Stichwort: Aufgabe der Arbeitssuche). Zudem berücksichtigt die Reaktionsfunktion der Fed in Sachen Arbeitsmarkt verstärkt sozialpolitische Aspekte. Nur eine heiß laufende Wirtschaft, so die Fed, könne benachteiligten Bevölkerungsschichten eine hinreichende Partizipation am Arbeitsmarkt ermöglichen.
In Sachen Konsumentenpreisentwicklung bleibt abzuwarten, ob sich hinreichend viele Inflationspunkte nördlich der Marke von 2% realisieren, um das Durchschnittsziel zu erreichen. Wichtigster und spannendster Aspekt dürfte hierbei die von der Fed bewusst nicht a priori festgelegte Zeitachse für die Durchschnittsberechnung sein. Denn während die Inflationsrate im Sommer/Herbst sicherlich deutlich klettern sollte, könnte der Preisdruck ab 2022 schon wieder merklich abnehmen. Unter Annahme einer positiven US-Konjunkturentwicklung erwarten wir ein Tapering im ersten Halbjahr 2022 und eine entsprechende Ankündigung im ersten Quartal 2022. Die erste Zinserhöhung erwarten wir mithin nicht vor Mitte 2023.
Ausweitung der Fälligkeiten
Grundsätzlich ist die vorliegende Renditebewegung bislang noch im Rahmen einer von der US-Notenbank akzeptierten Weglänge und macht den Fed-Akteuren keine Sorgen. Allerdings dürften weiterhin deutlich steigende Renditen am mittleren und langen Ende der Renditestrukturkurve, in Kombination mit einer anziehenden Volatilität am US-Treasury-Markt, die Ziele der Fed konterkarieren. Im Falle von zehnjährigen Treasury-Renditen, die in zu kurzer (!) Zeit jenseits der Marke von 2% rangieren, erwarten wir eine Ausweitung der durchschnittlichen Fälligkeit der ankaufbaren Bonds und/oder ein höheres Volumen der Fed-Anleihekäufe. Damit würde unser Basisszenario eines Taperings im ersten Halbjahr 2022 nach hinten verschoben.
Der größte Lackmustest für das FOMC dürfte ohnehin noch ausstehen: Wenn die BIP-Wachstumsraten für das zweite und dritte Quartal und in deren Fahrwasser nochmals höhere Inflationsraten eintrudeln, muss die Fed auf der Hut sein. Für einen nachhaltigen Aufschwung müssen die Finanzierungskonditionen für die gesamte Wirtschaft noch lange sehr günstig bleiben. Um dies zu gewährleisten und konsistent mit ihrem Average Inflation Targeting zu bleiben, dürfte die Fed wie oben geschrieben ihre Anleihekäufe 2021 durchweg aufrechterhalten. Die Nichterfüllung von Markterwartungen an einen schnellen Ausstieg könnte daher im Herbst 2021 temporär zu moderaten Renditerückgängen führen.
Dieses Bild wird zusätzlich dadurch unterstützt, dass empirisch betrachtet die Inflation und Zinsen nach einer Rezession, bei der die Zinsuntergrenze (Lower Bound) erreicht wurde, persistent niedrig blieben. Damit einhergehend war auch die jeweilige geldpolitische Normalisierung vergleichsweise langsam. Ferner dürfte auch das Zusammenspiel von Geld- und Fiskalpolitik (Stichwort: Debt Overhang) für einen längeren Verbleib im Lower-Bound-Regime sprechen; sowohl für die Fed Funds Target Range als auch mittelbar für die Renditen im mittleren und längeren Laufzeitenspektrum.