Devisenwoche

Übersteigerte Furcht vor Kollaps bei Dollar-Assets

Die internationale Nachfrage nach US-Treasuries und Dollar-Assets bleibt insgesamt sehr solide. Die kursierenden Sorgen vor einer Kapitalflucht aus den USA sind daher übertrieben.

Übersteigerte Furcht vor Kollaps bei Dollar-Assets

Von Sonja Marten*)

Bereits seit Wochen kursieren im Finanzmarkt Berichte, die einen baldigen bzw. einen bereits begonnenen Kollaps der Nachfrage nach amerikanischen Staatsanleihen attestieren. Das Narrativ klingt auf den ersten Blick durchaus überzeugend: Der Rückzug der Fed aus dem Markt in Verbindung mit Interventionen von Zentralbanken zur Stützung ihrer nationalen Währungen beraubt den US-Treasury-Markt einiger seiner treusten Käufer. Auch für den Dollar enthält diese Story potenziellen Sprengstoff. Es wäre schließlich nicht das erste Mal, dass ihm Sorgen über eine nachlassende strukturelle Nachfrage nach Dollar-Assets gefährlich werden. Sind die aktuellen Ängste jedoch überhaupt gerechtfertigt?

Zunächst blicken wir auf die Fed. Seit Anfang Juni 2022 hat sie insgesamt 126 Mrd. Dollar an Treasuries (Bonds und Notes) abgestoßen. In den kommenden Wochen und Monaten wird sich dieser Trend fortsetzen. Pro Monat will die Zentralbank ihre Bilanz von nun an um bis zu 95 Mrd. Dollar verringern, dabei entfallen circa 60 Mrd. Dollar auf den Treasury-Markt und das Gros davon wiederum auf das Portfolio längerfristiger Anleihen. Ob die Fed als aktiver Verkäufer im Markt auftreten muss, um ihr Ziel zu erreichen, hängt von den Fälligkeiten ab. Aber ein Blick auf den bislang sehr ungleichmäßigen Verlauf der Bilanzreduzierung seit Anfang Juni suggeriert zumindest, dass die Fed sich an den Fälligkeiten orientiert – soweit möglich.

Wichtiger Käufer fällt weg

Doch auch in der Annahme, dass es der Fed gelingt, eine Reduktion ihrer Treasury-Bestände über fällig werdende Anleihen zu orchestrieren, bedeutet der Wechsel von QE zu QT dennoch, dass ein wichtiger aktiver Käufer im Markt wegfällt. Und zwar nicht irgendein Käufer, sondern der „buyer of last resort“ – ein Käufer also, der unabhängig von der aktuellen Rendite oder den wirtschaftlichen Perspektiven mit tiefen Taschen parat steht. Was die Fed betrifft, ist das Narrativ eines deutlichen Einbruchs der Nachfrage nach Treasuries also sicherlich nicht von der Hand zu weisen.

Blicken wir nun auf die ausländischen Zentralbanken. Laut den aktuellsten Daten von Ende September sind die globalen Devisenreserven im Jahr 2022 um 1 Bill. Dollar gefallen. Ein dramatischer Einbruch, der auf den ersten Blick die oben bereits erwähnten Schreckensszenarien zu rechtfertigen scheint. Auf den zweiten Blick sieht die Sache jedoch anders aus. Denn der massive Anstieg der globalen Renditen und die Stärke des Dollar dürften auch in den Bewertungen der Reserveportfolios tiefe Spuren hinterlassen haben.

Zentralbanken investieren ihre Devisenreserven zwar in eine Vielzahl an Währungen, dominant sind jedoch eindeutig der Dollar, der Euro, der japanische Yen und das Pfund. Wir unterstellen in unserer Berechnung eine Gewichtung von 60/20/10/10. Allein die Aufwertung des Dollar bzw. die Abwertung der anderen drei Währungen entspricht seit Anfang des Jahres einem Bewertungsminus von gut 5%. Anders ausgedrückt: Die (in Dollar ausgewiesenen) Reserven sind allein durch die Wechselkursbewegung drastisch gefallen. Kein Wunder: Schließlich hat der Euro gut 12% an Wert verloren, das Pfund 15% und der Yen sogar beachtliche 23%.

Deutlich komplexer wird die Schätzung der Bewertungseffekte über die Anleihen. Angefangen mit der Frage, ob Zentralbanken ihre Reserve-Bondportfolien tatsächlich immer zum aktuellen Marktwert ausweisen. Orientierungshilfe gibt der IWF, der sich klar für eine Mark-to-Market-Bewertung ausspricht. Auch der Blick auf die Website der SNB lohnt, hier werden die Anlagerenditen des Reserveportfolios klar ausgewiesen.

Letztere ist auch in einer weiteren Hinsicht hilfreich, legt die SNB doch in erfreulicher Detailtiefe die Struktur ihres Portfolios offen. In Orientierung daran veranschlagen wir, dass die Reserveportfolios in Staatsanleihen mit einer durchschnittlichen Duration von fünf Jahren gehalten werden. Gehen wir nun davon aus, dass alle Portfolien komplett einer Mark-to-Market-Bewertung unterliegen, würde sich daraus ein zusätzlicher Bewertungseffekt von −7% ergeben.

Moderater Abverkauf

Natürlich ist es unmöglich, genau zu berechnen, wie groß die Verzerrungen sind – vor allem weil nicht klar ist, ob das Mark-to-Market-Prinzip tatsächlich immer stringent umgesetzt wird. Was sich aber festhalten lässt, ist, dass der „massive Abbau“ von Devisenreserven, den die Daten augenscheinlich aufzeigen, zumindest deutlich geringer ist, als es den Anschein hat. Und selbst im unwahrscheinlichen Fall, dass die meisten Zentralbanken kein Mark-to-Market verfolgen, bleibt immer noch der massive Adjustierungsfaktor über den Wechselkurs. Der Ausverkauf von US-Treasuries über eine drastische (aktive) Reduzierung von Devisenreserven, der in manchen Kommentaren unterstellt wird, ist demnach deutlich moderater, als die Zahlen auf den ersten Blick suggerieren.

An dieser Stelle ist nun ein Blick auf die Flowdaten hilfreich – die Daten also, die nicht durch Bewertungseffekte verzerrt sind. Und hier haben die Daten des US-Treasury vom August eine echte Überraschung geliefert: Die ausländischen Käufe von US-Treasuries beliefen sich in diesem einen Monat auf satte 174 Mrd. Dollar. Dies ist ein absoluter Rekordwert und bestätigt eindrucksvoll den Trend, der sich bereits das ganze Jahr über beobachten ließ: Die Nachfrage nach US-Treasuries ist deutlich stärker als in den vergangenen Jahren.

Tatsächlich bewahrheitet sich wohl das, was sich die Befürworter eines schnellen Quantitative Tightening seitens der Fed erhofft hatten. Mit dem Rückzug der Fed und den im Zuge der Zinserhöhungen steigenden Renditen findet ein Crowding-in-Prozess statt. Investoren, die dem Markt in den vergangenen Jahren ferngeblieben sind, kehren zurück. Dies betrifft vor allem private (nichtoffizielle) Investoren aus dem Ausland (die in diesem Jahr bereits 656 Mrd. Dollar an Treasuries gekauft haben), aber auch Investoren aus den USA.

Veränderte Struktur

Bislang gibt es daher kaum harte Beweise, die die These eines strukturellen Einbruchs der Nachfrage nach amerikanischen Staatsanleihen belegen würden. Was stimmt, ist, dass die Gläubigerstruktur des Marktes sich verändert. Was ebenfalls stimmt, ist, dass die traditionell sehr solide Nachfrage seitens der Zentralbanken in den vergangenen Jahren eingebrochen ist. Ersteres resultiert jedoch nicht zwangsläufig in einem Rückgang der Nachfrage und Zweiteres ist eigentlich schon ein alter Hut. Schließlich sind offizielle Investoren bereits seit 2015 Nettoverkäufer.

Alles in allem bleibt somit die internationale Nachfrage nach US-Treasuries, und Dollar-Assets insgesamt, bislang jedoch sehr solide. Sorgen über einen Einbruch der Nachfrage halten wir zum aktuellen Zeitpunkt daher für übertrieben. Kein Grund also, davon auszugehen, dass der Dollar sich auf absehbare Zeit mit Ängsten vor einer Kapitalflucht aus den USA auseinandersetzen muss.

*) Sonja Marten ist Leiterin Research Devisen und Geldpolitik bei der DZ Bank.