Vertrauensvorschuss für den neuen Adidas-Chef
Von Joachim Herr, München
Der Kurssprung war gewaltig. Anfang November bestätigte Adidas Gespräche mit Bjørn Gulden, wenige Tage später stand der Wechsel des Vorstandsvorsitzenden von Puma zum Nachbarn im fränkischen Städtchen Herzogenaurach fest. Der Aktienkurs von Adidas machte in dieser kurzen Zeit einen Satz um mehr als 44% nach oben. Zuvor hatte der Börsenwert des Sportartikelkonzerns seinen tiefsten Stand seit Anfang 2016 erreicht. Seitdem ging es um mehr als 60% aufwärts. Zum Vergleich: Der Kurs von Puma legte in dieser Zeit 39 % zu, der von Branchenführer Nike 43 %.
Der Vertrauensvorschuss der Investoren für den neuen Vorstandschef von Adidas ist sehr groß. Am 8. März wird Gulden die Jahreszahlen präsentieren, „seine“ Zahlen sind es freilich noch nicht. Interessanter werden deshalb der Ausblick und die Pläne des 57 Jahre alten Norwegers mit dem Unternehmen und der Drei-Streifen-Marke sein. Zahlreiche Analysten versprechen sich viel vom neuen Vorsitzenden, wissen aber auch, dass Erfolge nicht so schnell zu erreichen sind.
Adidas schlägt sich seit einiger Zeit mit einer ganzen Reihe von Schwierigkeiten herum und muss mehr Probleme bewältigen als die Konkurrenten. Kasper Rorsted hat seinem Nachfolger ein dickes Paket hinterlassen. Zum einen stockt das Geschäft im wichtigen Markt China. Vor der Pandemie und dem Boykott westlicher Produkte war Adidas dort stärker als die Wettbewerber gewachsen. Zeitweise hatte China am Konzernumsatz des Unternehmen einen Anteil von rund einem Viertel und am Gewinn sogar von mehr als der Hälfte.
Umsatz und Gewinn verlor Adidas auch wegen der jäh gestoppten Kooperation mit Kanye West (Ye), die wegen antisemitischer Äußerungen des Rappers und Designers im vergangenen Herbst untragbar wurde. Wegen des sofortigen Ausfalls der margenstarken Produktlinie „Yeezy“ musste der Vorstand im November die Geschäftsprognose zum wiederholten Mal im vergangenen Jahr senken.
Seitdem rechnete er für den Umsatz nur noch mit einem währungsbereinigten Wachstum um einen niedrigen einstelligen Prozentwert. Die Erwartungen für den Gewinn wurden viermal nach unten korrigiert, zuletzt auf rund 250 Mill. Euro halbiert. Bis Anfang Mai hatte der Vorstand des zweitgrößten Sportartikelkonzerns 1,8 bis 1,9 Mrd. Euro in Aussicht gestellt.
Günstig aus der Sicht Guldens ist, dass es von dem niedrigen Niveau aus in diesem Jahr mit großer Wahrscheinlichkeit nur besser werden kann. Voraussetzung für einen Erfolg ist ein möglichst schonender Abbau der Vorräte. Bis Ende September war der Wert der Lagerbestände innerhalb von zwölf Monaten währungsbereinigt um fast zwei Drittel auf 6,3 Mrd. Euro gestiegen. Das Ziel, die Vorräte bis zur Jahresmitte wieder auf ein normales Niveau zu reduzieren, wird nur mit Rabattaktionen gelingen, denn auch die Lager von Nike und Puma haben sich kräftig gefüllt. Niedrigere Verkaufspreise nagen wie die gestiegenen Kosten für den Einkauf in Asien sowie für den Transport an der Marge.
Aktienanalysten trauen aber nicht nur Gulden zu, die Probleme besser als sein Vorgänger Rorsted in den Griff zu bekommen. Sie rechnen auch mit einer verbesserten Marktentwicklung. Das Bankhaus Metzler etwa erwartet, dass Adidas von der Wiederaufnahme der öffentlichen und wirtschaftlichen Aktivität in China profitiert. Die Analysten erhöhten ihr Kursziel von 136 auf 165 Euro. Nach Meinung von Jörg Philipp Frey von Warburg ist Adidas bereit für ein Comeback. Nach der enttäuschenden Umsatzentwicklung und dem Margenkollaps im vergangenen Jahr garantiere das niedrige Vergleichsniveau ein besseres Jahr 2023. Frey, der die Aktie mit einem Ziel von 180 Euro zum Kauf empfiehlt, erwartet, dass Adidas ausgehend von der niedrigen Profitabilität Nike eine Zeit lang abhängt.
Dagegen sind die Analysten von Goldman Sachs für die gesamte Branche nach wie vor skeptisch: Die Inflation und die Lagerbestände sprächen gegen ein Aufwärtspotenzial für die Profitabilität der Hersteller von Sportartikeln und Lifestyle-Produkten.
Die kanadische Bank RBC bezeichnet 2023 als Übergangsjahr für Adidas – wegen des Abbaus der Vorräte, der eingestellten Produktlinie „Yeezy“, der Wiedereröffnung in China und wegen des neuen Vorstandschefs. RBC senkte das Kursziel von 140 auf 130 Euro und stuft Adidas mit „Sector Perform“ ein.
Dass sich das Geschäft zum Ende des vergangenen Jahres hin belebt hat, lässt sich an den Zahlen von Nike fürs zweite Quartal ablesen. Das Geschäftsjahr endet traditionell am 31. Mai. Von September bis November steigerte der Konzern in allen großen Regionen den Umsatz währungsbereinigt um jeweils mehr als 30% – ausgenommen China. Dort zog der Erlös nach vielen schwachen Monaten aber immerhin um 6% an. Der Anstieg des Konzernumsatzes enthält allerdings einen Wermutstropfen, denn Nike erkaufte ihn zum Teil mit niedrigeren Preisen. So sank die Bruttomarge um 3 Punkte auf 42,9%. Vor allem in Nordamerika hatte Nike einen erheblichen Lagerbestand angehäuft. Das lag auch daran, dass der Konzern und seine Konkurrenten relativ viel Ware von ihren Herstellern in Asien bestellt hatten. Grund für diesen Sicherheitspuffer waren Lieferengpässe im Jahr zuvor, als Fabriken im wichtigen Produktionsland Vietnam wegen der Corona-Pandemie zeitweise geschlossen waren. Positiv nahmen die Nike-Aktionäre auf, dass der Vorstand die Umsatzprognose auf ein währungsbereinigtes Wachstum von 13 bis 15 % erhöht hat.
Das weckt auch Hoffnungen der Investoren für die Entwicklung von Adidas. Die Analysten von J.P. Morgan verweisen jedoch auf einen erheblichen Unterschied: Nike verlasse die Zeit der Pandemie als gestärkte Marke. Das trifft auf Adidas nicht zu – im Gegenteil. Da schließt sich der Kreis zu Gulden. Denn als Vorstandschef von Puma bewies er seine Stärken: einer Marke neue Kraft zu geben. Gulden ist nah an den Produkten, wohl näher als Rorsted, und kennt die Branche und die Handelslandschaft in- und auswendig. Und der ehemalige Fußballprofi kennt auch Adidas. Eine seiner früheren Karrierestationen war eine Führungsaufgabe im Geschäft für Bekleidung und Accessoires von Adidas.