Vorsicht angezeigt bei "Buy the Dip"

Studie sieht Überrendite, wenn systematisch nach Kurseinbruch gekauft wird - Fondsmanager skeptisch

Vorsicht angezeigt bei "Buy the Dip"

Je länger der Konjunktur- und der Aktienmarktaufschwung anhalten, desto größer die Sorge vor einer Korrektur. Im laufenden Jahr gab es im Januar und Oktober bereits größere Rückschläge für den Gesamtmarkt. Zugleich haben Einzeltitel teilweise stark korrigiert. Ist dies nun eine Einstiegsgelegenheit? Von Dietegen Müller, FrankfurtSollen Investoren Aktien kaufen, die einen Kurseinbruch hinter sich haben? Gerade in unruhigen Zeiten an den Aktienmärkten kommt diese Frage verstärkt hoch – und spaltet die Gemüter. In diesem Jahr haben viele Aktien stark korrigiert, teilweise mit prozentual hohen ein- bis zweistelligen Verlusten an einem Tag, am deutschen Markt etwa im Dax Bayer, Continental oder Fresenius oder im MDax Metro (vgl. Charts). Lohnt sich ein systematischer Ansatz, hier jedes Mal nach einem Kurseinbruch einzusteigen?Dieser Frage ist auch das Finanzdatenanalysehaus S&P Global Market Intelligence nachgegangen. Die Analysten sind zum Schluss gekommen, dass sich die Buy-the-Dip-Strategie lohnen kann. Dazu wurde der US-Index Russell 1 000 im Zeitraum von Anfang 2002 bis Oktober 2017 untersucht. Der Russell 1 000 enthält die 1 000 Unternehmen mit der höchsten Marktkapitalisierung in den USA.Laut S&P Global Market Intelligence hat sich eine Strategie ausgezahlt, in der systematisch Aktien gekauft worden sind, die relativ zur Benchmark an einem Tag über 10 % verloren haben. Jene Titel haben am folgenden Handelstag wie auch über eine längere Phase von 240 Handelstagen eine signifikante Überrendite erzielt. Dabei gebe es einen Zusammenhang zwischen dem Anteil institutioneller Investoren, die einen Titel halten. Ist dieser höher, neigen Aktien, die einen Kurseinbruch erlitten haben, in dieser Betrachtung zu einer besseren späteren Entwicklung. Value verbessert das ErgebnisAuch meinen die Analysten von S&P Global Market Intelligence, dass es hilfreich sei, auf die Momentum-Entwicklung zu achten. Zudem spiele die Bewertung eine Rolle. Aktien, die in einem Value-Modell als “günstig” bewertet eingestuft sind, schneiden demnach ebenfalls besser ab. Die Bewertungssignale, auf die sich der Bewertungsfaktor stützt, umfassen das Preis-zu-Buchwert-Verhältnis, das Verhältnis von freiem Cash-flow zu Preis, das Ergebnis vor Zinsen, Steuern, Goodwill und Amortisationen (Editda) zum Unternehmenswert, das Kurs-Gewinn-Verhältnis, die Dividendenrendite und das Verhältnis von Umsatz zu Unternehmenswert.Es gibt auch eine Intraday-Betrachtung: So hat das US-Researchhaus Bespoke Investment Group etwa festgestellt, dass am US-Aktienmarkt die Kurse in der letzten halben Stunde des Handels sich deutlich schlechter entwickeln als zu Beginn. Dieses Muster habe sich umgekehrt – während der Zeit der quantitativen Lockerungspolitik durch die US-Notenbank Fed habe es sich ausgezahlt, in einer schwachen Markteröffnung einzusteigen und von einer Erholung bis zum Handelsschluss zu profitieren.Ulf Becker, Co-Chief Investment Officer von Shareholder Value Management, hält der Studie von S&P Global Market Intelligence zugute, dass sie signifikante Resultate zeigt. “Darauf systematisch zu handeln könnte sich auszahlen”. Allerdings sieht Becker auch Mängel, da Transaktionskosten nicht einbezogen worden sind und es sich um eine reine Rückwärtsbetrachtung handelt. Zudem gebe es keine Portfoliokonstruktion: “Dadurch können beispielsweise Effekte von Sektorkonzentrationen nicht ausgeschlossen werden”. Auch Stefan Hofrichter, Chefökonom des Vermögensverwalters Allianz Global Investors, hinterfragt die Studie: “Ein Rückblick über lediglich fünfzehn Jahre, noch dazu unter Ausklammerung der Jahre der Dotcom-Blase zu Beginn dieses Jahrtausends, halte ich für nicht repräsentativ.” Zu geringer ZusatzertragUlf Becker hat selbst Erfahrung mit Buy-the-Dip-Strategie und für einen Fonds eine Zeit lang systematisch darauf gesetzt. Dies habe eine annualisierte Rendite von rund 0,5 % bis 0,75 % nach Kosten gebracht, doch sei der Zusatzertrag zu gering gewesen, um ein eigenes Produkt darauf aufzubauen. “Die Marktmikrostrukturen anzusehen kann sich aber lohnen”, so der Portfoliospezialist.Er stellt aber auch fest, dass brauchbare Indikatoren wie etwa der Smart Money Flow Index in den vergangenen Jahren nicht zuletzt auch wegen der hohen Liquiditätszufuhr der Notenbanken verzerrt worden seien. Weil die meisten Anlagestrategien zudem momentumbasiert seien, sieht er auch durch den Vormarsch sogenannt passiver Anlagestrategien wie in Indexfonds (ETFs) das Risiko steigender Marktschwankungen. “Da viele passive Strategien automatisierten Strategien folgen und volatilitätskontrolliert sind, können sie selbstverstärkende Effekte auslösen.” Ablesbar sei dies an den Kurseinbrüchen Ende Januar und Ende Oktober.Wegen verschiedener Risiken, darunter einer möglichen Konjunkturabkühlung, dem Handelskonflikt und der Lage in Italien, rät Becker, in den nächsten ein bis eineinhalb Jahren mehr Liquidität auf der Seite zu halten. Dann ließen sich auch bei weiteren Kursrückschlägen Kaufgelegenheiten nutzen.Raik Hoffmann von FPM Frankfurt Performance Management sagt: “Wir haben eine Reihe Unternehmen auf der Watchlist, die wir in Schwächephasen nachkaufen.” Derzeit sei das Umfeld aber gerade für Value-Investoren schwierig: “Value-Aktien sind derzeit besonders günstig – billige Aktien sind in den letzten Monaten noch viel billiger geworden.” Hoffmann stellt eine abnehmende Marktbreite fest. Viele Indizes hätten in der jüngsten Korrektur zwar etwas verloren, doch spiegle dies nicht die teilweise hohen Kursverluste vieler Einzeltitel, wie etwa Lufthansa oder Wacker Chemie. Mit Blick auf möglicherweise steigende Zinsen schließt Hoffmann eine weitere Korrektur nicht aus. “Buy the Dip in einem Bärenmarkt kann eine teure Strategie sein”, fügt er an. AGI rät zu RisikoabbauStefan Hofrichter von Allianz Global Investors, ist im Gespräch ebenfalls vorsichtig. “Wir raten, Stärkephasen im Markt zu nutzen, um risikoreiche Positionen abzubauen.” Ein Nachkaufen bei Kursrückschlägen sei derzeit nicht ratsam. “Es gibt drei Gründe, die dagegensprechen”, erklärt Hofrichter. Zum einen die sehr hohe Bewertung von US-Aktien, dann eine sich abschwächende Konjunkturdynamik und eine weniger locker werdende Geldpolitik. “In den USA ist es sogar möglich, dass die Geldpolitik im Jahr 2019 neutral bis restriktiv wird. Das ist kein guter Zeitpunkt, um Aktien zu kaufen”, sagt der Anlagestratege. Hinzu kämen verschiedene politische Risiken. Auch im Credit-Bereich sei es ratsam, risikoreichere Positionen abzubauen, also etwa den High-Yield-Anteil zu verringern. “Ein Buy the Dip ist für uns nicht empfehlenswert, und wir raten zu einer höheren Kassenquote für die kommenden Quartale.”