Wann wird es für den Dax wieder besser?
Von Christian Henke*)
2022 ist wahrhaftig nicht das Jahr der Aktie. Ausgehend vom Hoch Anfang Januar hat sich der deutsche Leitindex mittlerweile um mehr als 20% nach unten bewegt. Und gerade diese Zahl macht die Anleger zunehmend ängstlich. Demnach befindet sich der Dax in einer Baisse, wenngleich dies charttechnisch betrachtet bereits seit längerem der Fall ist. Die Frage ist nun, wie weit es noch abwärtsgeht.
Aber auch das fundamentale Umfeld schreckt die Börsianer ab. Die Zinswende ist vollzogen und es sieht nach einer aggressiven Zinspolitik seitens der US-Notenbank Fed aus. Aber auch in Europa wurden mittlerweile die Zeichen der Zeit erkannt. Auch die Europäische Zentralbank dürfte deutlich und schnell an der Zinsschraube drehen. Allerdings befürchten die Anleger, dass die weltweite Konjunktur darunter leiden könnte. Das unschöne Wort Rezession macht die Runde. Aber auch eine Stagflation, eine Stagnation der Wirtschaft bei gleichzeitig hoher Inflation, wird nicht ausgeschlossen.
Weitere Belastungsfaktoren sind zurzeit der Ukraine-Krieg mit der Teilmobilmachung russischer Reservisten, der schwelende Konflikt zwischen China und den USA um die Pazifikinsel Taiwan, der Rechtsruck in Italien und die Angst vor einer Energiekrise in Europa. Diese Störenfriede runden im Augenblick den bitteren Nachrichtencocktail ab.
Die Hülle und Fülle an Negativschlagzeilen haben dem Dax in den zurückliegenden Monaten arg zugesetzt. Von der schönen Zeit steigender Kurse wie noch im vergangenen Jahr ist nicht mehr viel übrig geblieben. Seit Anfang Januar befindet sich das heimische Börsenbarometer in einem intakten Abwärtstrend. Einige wichtige charttechnische Unterstützungen mussten der Angebotsseite überlassen werden. Ein Wendepunkt war der Rutsch unter das ehemalige Allzeithoch bei 13534 Punkten und dem 38,2-%-Fibonacci-Retracement bei 13125 Zählern. Wenige Tage vor Monatsschluss notiert der deutsche Standardwerteindex unterhalb des aus dem Jahr 2011 stammenden Aufwärtstrends und sogar unter dem seit März 2009 vorherrschenden Aufwärtstrend bei 13040 Punkten. Im Moment streiten sich Bullen und Bären um das Hoch bei 12220 Punkten und das 50,0-%-Retracement bei 12140 Zählern. Darunter wartet dann die alt bekannte Unterstützung bei 11800 Punkten. Fällt auch diese Bastion, müsste sogar mit weiter fallenden Notierungen bis zum 61,8-%-Fibonacci-Level bei 11152 Zählern gerechnet werden.
Nach den deutlichen Kursverlusten in jüngster Zeit macht es Sinn, sich die Oszillatoren wie beispielsweise den betagten Relative-Stärke-Index (RSI) anzuschauen. Dieser hat in den vergangenen Jahren gute Einstiegs- und Ausstiegssignale geliefert. Der RSI kündigte im Mai 2011, Juni 2015 und September 2021 scharfe Korrekturen an. Umgekehrt waren die Signale aus der überverkauften Zone heraus ebenfalls erfolgreich. Im April 2009, Oktober 2011 und April 2020 waren sehr gute Einstiegsmomente für die Anleger. Zurzeit steuert der Dax die überverkaufte Zone an. Diese wurde aber noch nicht erreicht, was noch für eine Fortsetzung der derzeitigen Abwärtsbewegung spricht. Wird der Bereich bei 30 unterschritten und dann anschließend wieder nach oben verlassen, könnte dies der Startschuss für eine nachhaltige Gegenbewegung sein.
Trotz der Aussicht auf eine Erholung befindet sich der deutsche Leitindex in einem intakten Abwärtstrend. Hierbei berücksichtigen wir den Trendbestimmungsindikator ADX und den Directional Movement Index (DMI), jeweils mit der Einstellung acht Monate. Seit April dieses Jahres ist eine zunehmende Trenddynamik zu beobachten. Seitdem signalisiert der besagte DMI einen Abwärtstrend.
Hoffen auf Herbstrally
Neben der Charttechnik gehört auch die Saisonalität zu den Werkzeugen eines jeden technischen Analysten. 2022 ist ein Zwischenwahljahr. Und diese zeichnen sich nicht unbedingt durch Kurssteigerungen aus. Vor allem aussagekräftig ist beim Dax der Zeitraum vom 20. April bis zum 7. Oktober. In den vergangenen 34 Jahren neigt das heimische Börsenbarometer zu durchschnittlichen Kursverlusten von etwa 21%. Bislang liegt ein Minus von rund 13% vor. Somit besteht aus der statistischen Perspektive noch Luft nach unten. Allerdings gibt es einen Hoffnungsschimmer in Form einer Herbstrally. Diese beginnt in der Regel am 8. Oktober und dauert bis zum 22. November. In der Vergangenheit konnte der Dax in 87,5% der Fälle in diesem Zeitraum im Mittel um 11,5% zulegen. Gegenüber einem normalen Börsenjahr bleibt in Zwischenwahljahren eine Jahresendrally aber aus. Mit anderen Worten: Nach dem 22. November könnte es auf dem Frankfurter Handelsparkett bis Jahresultimo wieder ungemütlich werden.
Auch wenn es in den kommenden Wochen zu einer Erholung kommen sollte, 2022 dürfte kein gutes Jahr für Aktien sein. Hoffnungen, dass die genannten Belastungsfaktoren mittlerweile weitgehend eingepreist sind, haben sich noch nicht bewahrheitet. Der Dax könnte daher durchaus bis in den Bereich bei 11800/11152 Punkten vorstoßen. Im kommenden Jahr könnte es dann besser werden. 2023 ist ein Vorwahljahr und diese sind eher im Sinne der Bullen. Der deutsche Leitindex konnte in diesen Börsenjahren mitunter deutlich an Wert gewinnen. Doch zuerst müssen wir 2022 erst einmal verdauen.
*) Christian Henke ist Senior Market Analyst bei IG Europe.