Warum Immobilienaktien separate Indizes erhalten
Immobilien als Anlageklasse haben nicht nur in Europa eine beeindruckende Evolution hinter sich. Historisch gesehen war der Erwerb von Immobilien und Grundvermögen lange Zeit nur in direkter Form möglich. Wer ein Haus für private oder betriebliche Zwecke oder auch als Kapitalanlage kaufen wollte, der musste dies in Eigenregie leisten. Doch schon in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts entstanden neue Möglichkeiten für Kapitalanleger, sich auch mit verhältnismäßig kleinen Beträgen an Immobilien zu beteiligen. Als Kollektivanlage wurde in der Schweiz 1938 erstmals ein offener Immobilienfonds aufgelegt. Die Popularität dieser Form der Immobilienanlage breitete sich schnell aus, 1959 wurde der erste Immobilienfonds in Deutschland eingeführt.Vor allem die Risikostreuung über eine Vielzahl verschiedener Immobilien bot einen entscheidenden Vorteil gegenüber dem Einzelinvestment. Im Zuge des einsetzenden Immobilienbooms entstanden auch viele Unternehmen, die sich der Erstellung, Vermietung und Bewirtschaftung oder auch dem Handel und der Entwicklung von Immobilien widmeten. In den Vereinigten Staaten nutzten die ersten von ihnen in den 1960er Jahren die Möglichkeit, über den Aktienmarkt an Eigenkapital zu gelangen, um das Wachstum zu finanzieren. Es war die Geburtsstunde der Real Estate Investment Trusts, kurz REITs, also börsennotierter Immobiliengesellschaften, die seit dem Beginn des neuen Jahrtausends auch in Europa flächendeckend Fuß fassten. Auf Investorenebene eröffnete sich eine völlig neue Art des indirekten Immobilieninvestments, nämlich die Immobilienaktie. Über die Börse beteiligten sich Anleger an Immobilienunternehmen, deren Börsenwert sich vornehmlich über den Wert des Objektportfolios ermitteln lässt. Als logische Konsequenz des Wachstums der Immobilienbranche und der zunehmenden Beliebtheit von Indexinvestments fanden Immobilienaktien schnell auch auf Indexebene Berücksichtigung. Während es in Deutschland seit 1989 den Deutschen Immobilienaktienindex DIMAX oder auf internationaler Ebene die Indizes des europäischen Anbieters EPRA gibt, ordneten die am Finanzmarkt weltweit führenden Indexkonstrukteure Standard & Poor’s (S & P) sowie MSCI Immobilienaktien dem allgemeinen Finanzsektor zu, in dem schwerpunktmäßig Banken, Versicherungen und Börsen enthalten waren. Der Immobiliensektor blieb zunächst drastisch unterrepräsentiert. Elfter GICS-SektorAufgrund der immensen Bedeutung, die der Immobiliensektor mittlerweile erreicht hat, werden S & P und MSCI Immobilienaktien von August an als einen separaten Sektor im GICS, dem Global Industry Classification Standard, führen. Besonders im US-Markt ist die Outperformance von REITs gegenüber den Aktien anderer Sektoren seit einigen Jahren signifikant. Ein weiterer wichtiger Grund für die Herauslösung ist S & P zufolge das große Gewicht, das Immobilien auf Sektorebene mittlerweile im Bereich der Exchange Traded Funds, also börsennotierter Indexfonds, erreicht haben. Die Einführung eines neuen Sektors für Immobilienaktien durch die beiden globalen Indexmarktführer wird voraussichtlich eine noch größere Aufmerksamkeit für Immobilienaktien erzeugen, da Anleger die Märkte und ihre eigene Vermögensallokation intensiv analysieren. Eine verbesserte Profilierung von börsennotierten Immobilienunternehmen dürfte daher die Entwicklung neuer, auf die Anlageklasse fokussierter Anlageprodukte sowie die Mittelzuflüsse vorantreiben. Es ist anzunehmen, dass die im Zuge der Indexbildung zusätzliche Nachfrage von Seiten der Anleger die Kurse von Immobilienaktien künftig tendenziell stützen wird.In Europa dürfte der bevorstehende Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union indes Verschiebungen innerhalb des Immobilienmarktes mit sich bringen. So hat das Brexit-Votum bereits zahlreiche Investoren auf der Insel in die Flucht geschlagen. Viele Großanleger dürften jedoch bemüht sein, eine bestimmte Quote an Immobilieninvestments beziehungsweise Immobilienaktieninvestments in ihren Portfolios einzuhalten. Gut möglich, dass sich diese Anleger künftig Immobilienaktien in anderen EU-Ländern zuwenden, um die Quoten zu erfüllen. Dennoch sehen wir auch weiterhin eine gute Qualität im britischen Immobilienmarkt. Besonders bei den Cash-flows bietet sich ein gesundes Gesamtbild. Somit ist die Situation eine ganz andere als in den Jahren 2008/2009. Heute ist der Verschuldungsgrad geringer und die Qualität der Assets bzw. des Managements deutlich höher. Der börsennotierte Immobilienmarkt im Vereinigten Königreich musste zwischen dem 23. Juni und 5. Juli einen Rücksetzer von gut 20 % verkraften, wie sich an dem den gesamten britischen Immobilienaktienmarkt abbildenden FTSE EPRA UK ablesen ließ.Die aktuelle Bewertung von UK-REITs preist einen Abschlag der Nettoinventarwerte von 35 % ein, während sich die Abwertungen nach unseren Berechnungen auf ca. 25 % belaufen sollten. Britische Immobiliengesellschaften weisen zudem starke Bilanzen auf. So beträgt der Beleihungsauslauf, also die Höhe der Immobilienkredite im Verhältnis zum Beleihungswert der Immobilien, nur 29 % – gegenüber 41 % auf dem europäischen Kontinent. Auch der Zinsdeckungsgrad als Quotient des Unternehmensergebnisses vor Steuern und den Zinsaufwendungen ist bei britischen Immobiliengesellschaften meist komfortabel. Wenngleich wir derzeit nicht auf der Verkäuferseite zu finden sind, bleiben angelsächsische Immobilienaktien in unserem Petercam Securities Real Estate Europe leicht untergewichtet.—-Olivier Hertoghe, Senior Portfolio Manager European Listed Real Estate bei Degroof Petercam Asset Management —-Damien Marichal, Senior Portfolio Manager European Listed Real Estate bei Degroof Petercam Asset Management