Wo die geringsten Verluste anfallen
Von Michael Klawitter*)
Der Krieg in der Ukraine belastet direkt oder indirekt fast alle Segmente des globalen Anleiheuniversums. Während in vergangenen Phasen erhöhte Risikowahrnehmung und zunehmende Konjunkturrisiken zur Folge hatten, dass Staatsanleihen höchster Ratingklassen von ihrem Status als „sicherer Hafen“ profitieren konnten und ihre Renditen entsprechend fielen, ist dies aktuell nicht der Fall. Denn die Kriegsfolgen lassen die schon im Vorfeld durch Corona erhöhte Inflation weit über die Zielmarken der Zentralbanken ansteigen. Die Hoffnung, dass die Preisanstiege nur transitorisch sind, haben inzwischen auch die Notenbanken aufgegeben, und zum ersten Mal seit langem steht die Inflationsbekämpfung im Fokus der Geldpolitik. Die expansive Politik während der Coronazeit wird eher schneller als langsamer zurückgedreht, und entsprechend steigen die Renditen in allen Marktsegmenten. Seit Jahresanfang verloren US-Treasuries 5,5%, Euroland-Staatsanleihen 4,7% und Investment-Grade-Unternehmensanleihen in Dollar und Euro 8,3% bzw. 4,7%.
Zykliker meiden
Das Beispiel der US-Notenbank zeigt dabei, dass das Ausmaß und das Tempo der geldpolitischen Straffung nach Jahren der ultraexpansiven Politik größer ausfallen dürfte als in vergangenen Zinszyklen. Solch dynamische Zinsanstiege gehen mit Rezessionsrisiken einher, und die Inversion der Treasury-Kurve zwischen fünf und zehn Jahren unterstreicht diese Einschätzung am Markt. Zusätzlich zum geldpolitisch bedingten Anstieg der (Dollar-) Zinsen dürften damit auch die Risikoprämien bei Unternehmensanleihen (Credit Spreads) weiter ansteigen. Aufgrund der fast doppelt so hohen durchschnittlichen Restlaufzeit von Dollar-Investment-Grade-Anleihen (IG) gegenüber High Yield Bonds (HY) sowie deutlich gestiegener Risikoaufschläge bei HY-Anleihen sollten dabei Letztere ihre Outperformance fortsetzen können (5,3% seit Jahresanfang gegenüber –8,3% für IG-Anleihen). Zyklische Branchen wie Autos beziehungsweise Autozulieferer, Chemie und Konsumgüter sollten aufgrund der globalen Konjunkturrisiken in jedem Fall gemieden werden und stattdessen Sektoren wie Telekommunikation und Energie übergewichtet werden. Letztere dürften sogar von den hohen Energiepreisen und damit selbst von einer Verschärfung der Sanktionen gegenüber russischen Energieexporten profitieren.
Auch wenn die Europäische Zentralbank (EZB) einen deutlich moderateren Zinspfad einschlagen wird als die amerikanische Notenbank, ist der Performanceausblick für Euro-Anleihen in den meisten Fällen ebenfalls recht eingetrübt. Die Äußerungen aus dem EZB-Rat lassen kaum Zweifel daran aufkommen, dass die Inflationsbekämpfung aktuell oberste Priorität hat. Dies heißt zunächst, dass die EZB nach den im März auslaufenden PEPP-Käufen voraussichtlich bis ins dritte Quartal auch die Nettokäufe im Rahmen des APP beenden wird. Zwar werden die Fälligkeiten aus beiden Programmen reinvestiert (knapp 400 Mrd. Euro 2023), doch werden diese Käufe weniger als ein Drittel des Volumens von 2021 ausmachen. Renditen genauso wie Spreads müssen ein neues, höheres Gleichgewichtsniveau finden, was mit fallenden Kursen und negativer Gesamtperformance einhergeht.
Unabhängig von der EZB wird der Ausblick für Unternehmensanleihen stark von den Kriegsfolgen beeinflusst. Die davon ausgehenden Rezessions- und Inflationsrisiken sind aufgrund der räumlichen Nähe und der hohen Abhängigkeit der EU von russischen Energie- und Rohstoffexporten in der Eurozone deutlich höher als in den USA. Entsprechend ist mit Blick auf Unternehmensanleihen generell der Fokus auf Sektoren zu legen, die wenig zyklisch sind. Wie in den Vereinigten Staaten sind dies Telekommunikation, Gesundheit, Technologie und Energie. Dagegen sind die Sektoren, die am stärksten unter einem Rezessionsszenario leiden würden, zu meiden. Ähnlich wie im Dollar-Universum könnte es sich auch bei Euro-Unternehmensanleihen auszahlen, HY-Anleihen überzugewichten. Mit etwa 300 BP liegt der durchschnittliche Renditeaufschlag gegenüber IG-Anleihen etwa 130 BP über dem Niveau von Anfang des Jahres und damit auf den höchsten Niveaus seit August 2020. In der Zeit vor 2020 muss man bis 2013 zurückgehen, um ähnlich hohe Renditeaufschläge zu verzeichnen. Solange die Rezessionssorgen nicht zunehmen und sich materialisieren (Konsensprognose für das Euroland-Wachstum für 2022 steht aktuell bei 3,3%) und die Ausfallquoten bei HY-Anleihen nicht spürbar ansteigen, sollte das HY-Segment gegenüber dem IG-Universum outperformen. Die geringere durchschnittliche Restlaufzeit der HY-Anleihen aus der Eurozone sollte in den kommenden Quartalen ebenfalls Unterstützung bieten (4,2 Jahre gegenüber 5,6 Jahren bei IG-Anleihen).
Während die Outperformance von High-Yield-Anleihen aus der Eurozone stark von der konjunkturellen Entwicklung und damit dem Kriegsverlauf abhängt, könnten Staatsanleihen aus der Euroland-Peripherie von einer weiteren Eskalation im Ukraine-Konflikt sogar profitieren. Zwar haben Länder wie Italien und Portugal hohe Schuldenstände, und die auslaufenden Anleihekäufe der EZB in Kombination mit den Rezessionsrisiken für die Eurozone sprächen eigentlich für höhere Risikoprämien, doch steht dem die von der Politik postulierte Zeitenwende gegenüber. Sie dürfte auch mit Blick auf die EU dazu führen, dass vormalige „heilige“ ordnungspolitische Grundsätze geopfert werden. Darunter dürfte die bisher von Deutschland, aber auch von den Niederlanden und den skandinavischen Ländern abgelehnte Ausweitung einer gemeinsamen Schuldenaufnahme in der EU fallen. Angesichts der hohen Abhängigkeiten von russischen Energieexporten und amerikanischen Sicherheitsgarantien in der Nato wird die Stärkung der EU bei Energie und Verteidigung in den kommenden Jahren hohe Priorität haben und entsprechend hohe Investitionen erfordern. Diese können die fiskalisch schwächeren Länder in der Peripherie kaum allein schultern.
Chancen für Peripherietitel
Entsprechend ist es sehr wahrscheinlich, dass es in den kommenden Quartalen politische Vorstöße in Richtung gemeinschaftlich finanzierter Investitionen geben wird. Nach dem Sure-Programm, dem Next Generation Fund der Europäischen Union zur Bekämpfung der Coronafolgen, zeichnet sich ein weiteres Ausgabenpaket ab. Die wahrscheinliche Wiederwahl Macrons, der ein expliziter Befürworter gemeinschaftlicher Schuldenaufnahme ist, spricht für zunehmendes Momentum bei dieser Diskussion in den kommenden Quartalen. Die Spreadniveaus von Staatsanleihen in der Eurozone und der EU dürften auf strukturell niedrigere Niveaus fallen und die Auswirkungen der auslaufenden Anleihekäufe der EZB auf Peripheriespreads könnte sogar überkompensiert werden. Staatsanleihen aus der Peripherie sollten damit im Umfeld der insgesamt schlechten Performanceaussichten bei Euro-Anleihen eines der besseren Chance-Risiko-Verhältnisse haben.
*) Michael Klawitter ist im Floor Research der DekaBank tätig.